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Europa vor der Wahl
Superwahljahr in Rumänien

Bleibt Rumänien der gute und konstruktive Partner, an den man sich in Brüssel gewöhnt hat? Der Aufstieg antieuropäischer und populistischer Kräfte im Land zwingt die Parteien der Regierungskoalition dazu, sich für den Europawahlkampf zu verbünden. Sozialdemokraten und Nationalliberale treten mit einer gemeinsamen Wahlliste an und wollen so ihr Potential bündeln.

Das Jahr 2024 ist für Rumänien ein Superwahljahr. Am 9. Juni finden erstmals die Europa- die Kommunalwahlen zeitgleich statt. Im September entscheidet das Land dann über die Präsidentschaft und wählt Anfang Dezember ein neues Parlament.

Die Flagge Rumäniens, drei vertikale Streifen.

Um Stabilität in Rumänien zu garantieren, treten die zwei großen Parteien des Landes am 9. Juni gemeinsam zu den Europa- und Kommunalwahlen an. PSD und PNL sind traditionell eigentlich politische Gegner.

daboost; ©HSS; AdobeStock

Dass zeitgleich mit der Europawahl im Juni auch auf kommunaler Ebene gewählt wird, hat die Regierungskoalition beschlossen, bestehend aus der Sozialdemokratischen Partei (PSD) und der rechts der Mitte zu verortenden „Nationalliberalen Partei“ (PNL). Beide sind eigentlich die großen Antagonisten der rumänischen Politik und hatten sich in vergangenen Wahlkämpfen stets erbittert bekämpft. Beide Parteien dominieren die Parteienlandschaft und führen in Umfragen vor der in einem besorgniserregenden Aufschwung befindlichen rechtsnationalistischen Partei „Allianz für die Vereinigung der Rumänen” (AUR) und der liberalen Partei „Union Rettet Rumänien” (USR).

Die Regierungskoalition hat sowohl bei den Europawahlen, als auch vielerorts bei den gleichzeitigen Kommunalwahlen ein Wahlbündnis geschlossen, sodass sie in bestimmten Wahlkreisen mit gemeinsamen Kandidatenlisten antreten wird, um dadurch ihr Wählerpotenzial zu bündeln. Sie will so ihre Dominanz bestmöglich in viele Mandate überführen und die nationale Regierungskoalition auf ein noch breiteres Fundament stellen. Die „Demokratische Allianz der Ungarn in Rumänien“ (UDMR) ist der ursprünglich dritte Koalitionspartner. Sie war im Juni 2023 aus der Regierungskoalition entlassen worden, als sich die beiden großen Parteien der Haltbarkeit ihres seit November 2021 bestehenden Regierungsbündnisses sicher waren. Offiziell war der Grund damals die fehlende Distanzierung der Partei zu den als rassistisch und völkisch empfundenen Aussagen des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, nachdem dieser 2022 im rumänischen Băile Tușnad, vor vor der ungarischen Minderheit gesprochen hatte.

Folgende politischen Grundgedanken liegen dieser „großen Koalition“ zugrunde:

  • Innenpolitische Stabilität für Rumänien in schwierigen Zeiten.
  • Eine starke politische Basis, um Schocks wie die Folgen der Pandemie oder der Inflation zu bewältigen.
  • Eine entschlossene und einheitliche rumänische Position für die Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland.

Sowohl die PSD als auch die PNL sind klar pro-europäisch ausgerichtet. Rumänien ist Mitglied der NATO und unterstützt die territoriale Integrität der Ukraine.

Wie ist der Blick auf Europa und die Wahl?

Im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni hat eine Eurobarometer-Umfrage im April 2024 ein Licht auf die Stimmung der Bürger in den 27 EU-Ländern geworfen.

Links der rumänische Präsident Klaus Iohannis, rechts US-Präsident Biden

Der rumänische Präsident Klaus Iohannis bei seinem Besuch bei US-Präsident Joe Biden im Mai 2024 in Washington. Bleibt Rumänien auch nach der Wahl der verlässliche transatlantische Partner an dessen konstruktive Zusammenarbeit man sich auch in Brüssel gewöhnt hat?

newsroomworld; HSS; IMAGO

Für Rumänien ist ein bemerkenswerter Anstieg der voraussichtlichen Wahlbeteiligung zu verzeichnen: 70 Prozent. Bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren hatte die Wahlbeteiligung noch bei 51 Prozent gelegen. Unmittelbar nach dem EU-Beitritt 2009 waren es noch weniger als 28 Prozent gewesen. Laut einer von der Europäischen Kommission veröffentlichten Umfrage steht Rumänien bei der Wahlabsicht junger Leute zwischen 15 und 30 Jahren für die Wahlen zum Europäischen Parlament an erster Stelle in der gesamten EU. 78 Prozent der befragten jungen Menschen gaben an, dass sie wählen gehen werden.

Die rumänischen Bürgerinnen und Bürger sind laut Umfragen der Ansicht, dass die Unterstützung der Wirtschaft und die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die öffentliche Gesundheit sowie der Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung wichtige Themen im Europawahlkampf sein sollten. Sie sehen die Entwicklung ihres Landes eher kritisch: Nur 34 Prozent vertreten die Meinung, dass sich im Land die Dinge in die richtige Richtung entwickeln. 57 Prozent geben sogar an, dass sie die Entwicklung im Land aktuell als negativ empfinden. Die Rumänen zeigen sich jedoch im EU-Durchschnitt optimistisch, was die zukünftige Entwicklung der wirtschaftlichen Lage des Landes betrifft, die sie – wie in allen Umfragen deutlich wird – ganz eng mit der EU verknüpfen. Europa und die EU genießen ein positives Image im Land. Laut Eurobarometer glauben die meisten Rumänen, dass ihr Land vom EU-Beitritt profitiert hat. Nur 30 Prozent sehen das anders. Seit seinem Beitritt zur Europäischen Union hat Rumänien mehr als 95 Milliarden Euro erhalten und (nur) 30 Milliarden Euro zum Haushalt der Europäischen Union beigetragen. Ein Netto-Überschuss von 65 Milliarden Euro. Das heißt, für jeden Euro, den Rumänien beigesteuert hat, hat es drei Euro zurückbekommen.

Welche Positionen vertritt das Land prioritär in der EU?

Rumänien ist traditionell ein verlässlicher Partner in der EU, der den Kurs der Mehrheiten mitträgt. Angesichts der innen- und außenpolitischen Situation und seiner geographischen Lage fördert Rumänien insbesondere die Zusammenarbeit in den Bereichen Migration und Sicherheit. Es gibt ein besonderes Interesse an der Stärkung europäischer und vor allem transatlantischer Verteidigungsstrukturen und –partnerschaften und an einer Präsenz verbündeter Truppen im Land.

In diesem Sinne ist auch die enge Partnerschaft mit dem Nachbarland und EU-Beitrittskandidaten Republik Moldau hervorzuheben. Beide Länder verbindet ein historisches, sprachliches und kulturelles Band, welches sich auch in 600.000 moldauischen Bürgerinnen und Bürgern mit doppelter Staatsbürgerschaft wiederspiegelt. Vor diesem Hintergrund bestehen de facto Sicherheitsgarantien für die Republik Moldau: Rumänien versteht die Sicherheit des Nachbarlandes als Teil der eigenen Staatsräson.

Ungeachtet dessen, gehört Rumänien aktuell immer noch zu den NATO-Mitgliedern, die das 2-Prozentziel nicht erreichen. Die tatsächlichen Ausgaben im Verteidigungshaushalt lagen zuletzt bei 1,6 Prozent des BIP und damit noch unter dem NATO-Durchschnitt von 1,73 Prozent.

Prognose für die Europawahl: Der Aufstieg der extremen Rechten

Einer Euronews-Umfrage zufolge würde die gemeinsame Liste der Regierungskoalition mit 42,2 Prozent am besten abschneiden und 16 Mandate im Europäischen Parlament erringen. Die Sozialdemokraten würden acht (bislang neun) und die Nationalliberalen sieben (bislang zehn) Abgeordnete stellen. Die „Allianz für die Union der Rumänen“ (AUR) liegt mit ihrer 20,7 Prozent-Prognose an zweiter Stelle hinter dem Bündnis aus PSD und PNL. Der nationalistischen Partei wird Rechtspopulismus und Extremismus vorgeworfen, sowie eine zu große Nähe zu Russland. Sie wird voraussichtlich acht Abgeordnete in das nächste Europaparlament entsenden. Dies entspricht dem Trend des Aufstiegs populistischer Parteien mit einem starken Fokus auf Nationalismus und Euroskepsis in der gesamten EU.

Der zu erwartende Erfolg der AUR in Rumänien lässt sich auf die Unzufriedenheit zurückführen, die durch die Covid-19-Pandemie entstanden ist. Die AUR konnte die Ängste der Bevölkerung nutzen und sich als Partei der nationalen Souveränität und der traditionellen Werte inszenieren. So bekam sie bei den Parlamentswahlen 2020 über neun Prozent der Stimmen. Nach wie vor spielt die AUR mit den Ängsten der Menschen und verbreitet die klassischen Verschwörungsmythen des extrem rechten Lagers bezüglich der Klima- und Migrationspolitik, des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine oder einer generellen Bedrohung durch „Brüssel“.

Auch die nationalistische, antieuropäische Partei „S.O.S. Romania“, wird vermutlich die Wahlhürde überschreiten und  gemäß der aktuellen Prognosen  mit 5,9 Prozent zwei Sitze im Europäischen Parlament erhalten.

Das Wahlbündnis der vereinten Rechten, das sich aus den drei Parteien „Union Rettet Rumänien“ (USR), „Macht der Rechten“ sowie „Volksbewegung“ (PMP), zusammensetzt, liegt mit 14,2 Prozent der Stimmen auf dem dritten Platz. Das Bündnis würde nach der letzten Umfrage fünf Sitze im Europäischen Parlament erhalten. Auch die Ungarnpartei UDMR wird ihre zwei Sitze voraussichtlich verteidigen können.

Der Prognose zufolge würde auch die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Victor Ponta, PRO Romania, die Wahlhürde knapp überschreiten. Mit 5,1 Prozent der Stimmen würde sie ebenfalls zwei Mitglieder ihrer Liste in das Europäische Parlament entsenden. In Summe zeichnet sich somit für die rumänische Repräsentation in Brüssel und Straßburg, wie in vielen EU-Ländern, eine Kräfteverschiebung nach rechts ab.

Autoren:
Ciprian Petcu, Leiter des Projektbüros Bukarest der HSS
Benjamin Bobbe, Referatsleiter für Mittel- und Osteuropa der HSS

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