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Republik Moldau
Krisen und Corona

Autor: N.N.

Im Frühjahr fand in der Republik Moldau eine Regierungsumbildung statt. Sie festigte die Koalition der Sozialistischen Partei (PSRM) und der Demokratischen Partei (PDM). Gleichzeitig erreichte Covid-19 das Land. Seitdem beteiligt sich Präsident Igor Dodon aktiv am Krisenmanagement, geht es doch auch um die Stabilisierung seiner Position und seine Wiederwahl bei den Präsidentschaftswahlen im November. Von der Pandemie ist die Republik Moldau besonders getroffen obwohl sie frühzeitig mit Maßnahmen zur Eindämmung des Virus reagierte. Welche Folgen der Krise sind in einem der ärmsten Länder Europas spürbar?

  • Regierungsumbildung
  • Covid-19
  • Wirtschaftliche Entwicklungen
  • Gesetz über "Nichtkommerzielle Organisationen"
  • Transnistrien

Es ist schon wieder vier Jahre her, seit die Hoffnungsträgerin einer neuen, demokratischen außerparlamentarischen Opposition, Maia Sandu, es fast geschafft hätte, das politische Establishment der Republik Moldau in den Grundfesten zu erschüttern. Völlig überraschend an der Spitze der Plattform "Partidul Acțiune și Solidaritate“ („Aktions- und Solidaritätspartei, PAS“) mit 38,42 Prozent der Stimmen in die zweite Wahlrunde gekommen, verlor sie im zweiten Wahlgang am 13. November 2016 mit 47,82 Prozent der Stimmen denkbar knapp gegen den nominell unabhängigen ehemaligen Sozialistenführer Igor Dodon, der die Wahl mit 52,18 Prozent für sich entscheiden konnte.   

Das hervorragende Abschneiden von Maia Sandu belegte, dass die oft zitierte Apathie der moldauischen Bevölkerung und die Perspektivlosigkeit der Entwicklung des Landes durch engagierte und authentische politische Persönlichkeiten überwunden werden kann. Maia Sandu war als Bildungsministerin bereits im politischen Betrieb tätig – und gilt dennoch nicht als korrupt oder diskreditiert.

Was seither geschah

Das gesamte Jahr 2017 war geprägt durch Auseinandersetzungen zwischen dem direkt gewählten prorussischen Präsidenten und ehemaligen Vorsitzenden der Sozialistischen Partei der Republik Moldau (PSRM), Igor Dodon, und der durch die Demokratische Partei Moldaus (PDM) kontrollierten Regierung um Premierminister Pavel Filip. Mehrfach hatte sich Präsident Dodon geweigert, Gesetze zu unterschreiben und Minister zu ernennen. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass es sich in beiden Fällen nicht um prodemokratische und proeuropäische Akteure (handelte und) handelt. Die damalige Regierung Filip wurde durch die PDM (Vorsitzender: Oligarch Vlad Plahotnjuk) geschmiedet, die aus nur 16 Prozent der Wählerstimmen bei den Parlamentswahlen 2014 bis Ende des Jahres 2016 durch Manipulation, Versprechen und Patronage eine parlamentarische Mehrheit für sich organisiert hatte.

Unter diesem Narrativ war auch die vorgeblich zugunsten einer weniger politischen, mehr aus Fachleuten bestehenden Regierungsumbildung Ende 2017 durch die PDM-Mehrheit zu verstehen. Der PDM-Vorsitzende Plahotnjuk hatte schlechte Umfragewerte, die auch seine Partei belasteten. Die damaligen Manöver zur Imagepflege waren daher vor allem in Hinblick auf die für Ende 2018 vorgesehenen Parlamentswahlen zu verstehen.

Die Bruchlinie der politischen Landschaft verlief also nicht zwischen einem prorussischen Präsidenten und einem proeuropäischen Parlament. Die Parlamentsmehrheit versuchte vielmehr, eigene Legitimitätsdefizite durch gezielt eingesetzte proeuropäische Rhetorik und Symbolik der eigenen Bevölkerung, aber auch der Europäischen Gemeinschaft gegenüber zu überdecken.

Zwei wirklich proeuropäische und demokratisch orientierte Parteien des Landes befanden sich 2017 noch in der außerparlamentarischen Opposition. Diese – PAS (Aktions- und Solidaritätspartei) um Maia Sandu und PPDA (Partei der Plattform Würde und Wahrheit) um Andreij Nastase – wurden Ende 2017 in die EVP aufgenommen. Im Dezember hatte die politische Versammlung der Europäischen Volkspartei (EVP) diesen beiden Parteien Beobachterstaus verliehen und damit deutlich zum Ausdruck gebracht, wo die politischen Sympathien der größten europäischen Parteienfamilie damals lagen. Insgesamt sind seitdem mit der PLDM (Liberaldemokratische Partei Moldaus) drei Parteien der Republik Moldau mit Beobachterstatus in der EVP vertreten.

Bürgermeisterwahl Chişinău

Während sich die demokratische außerparlamentarische Opposition 2017 bei der Präsidentschaftswahl hinter Maia Sandu vereinigt hatte, bündelte sie sich bei der Bürgermeisterwahl in der Hauptstadt Chişinău um Andreij Nastase – der die Stichwahl am 3. Juni 2018 mit gut 52 Prozent der Stimmen für sich entscheiden konnte. Die Freude im proeuropäischen Lager währte nicht lange: Am 19. Juni wurde die Wahl zunächst vom Amtsgericht in Chişinău für ungültig erklärt und diese Entscheidung am 21. Juni auch vom Appellationsgericht sowie am 25. Juni vom Obersten Gericht bestätigt und damit rechtskräftig. Die Sozialistische Partei der Republik Moldau hatte geklagt, dass Nastase gegen geltendes Wahlrecht verstoßen habe, weil er noch am Wahltag die Wähler in Chişinău aufgerufen habe, unbedingt wählen zu gehen und damit den Tatbestand der „Agitation“ erfüllt habe.

Wahlrechtsreform

Auf das überraschende und unerwartete Signal der politischen Selbstbestimmung der Bevölkerung, dem unerwartet guten Abschneiden der außerparlamentarischen Oppositionskandidatin Maia Sandu bei den Präsidentschaftswahlen 2016, reagierte die parlamentarische Mehrheit konsequent mit einer Änderung des Wahlgesetzes, das solche "Ausreißer" in Zukunft verhindern sollte. Dabei wurde das zuvor geltende Verhältniswahlrecht mit Parteilisten durch ein gemischtes System ersetzt, bei dem 50 von 101 Abgeordneten direkt in einzelnen Wahlkreisen mit einfacher Mehrheit gewählt werden. Damit sollte vorgeblich parteiunabhängigen Kandidaten die Möglichkeit zur Wahl ins Parlament eröffnet werden. Die Venedig-Kommission des Europarates warnte davor, dass unter den gegebenen politischen Verhältnissen vorgeblich unabhängige Kandidaten" unter den Einfluss von Geschäftsleuten und ihrer speziellen Interessen" geraten könnten. Deutlicher wurde die proeuropäische Opposition im Land, die im neuen Wahlrecht vor allem ein Instrument zum Machterhalt der etablierten Parteien sah, denn nur PDM und PSRM verfügen über Mittel und ausreichend stark entwickelte lokale Strukturen, um einen Wahlkampf in 50 Einzelwahlkreisen effektiv führen zu können.

Parlamentswahl

Trotz der Wahlrechtsänderung 2018 erreichten die beiden proeuropäischen Oppositionsparteien PAS und PPDA, die sich zu dem Wahlbündnis ACUM zusammengeschlossen hatten, bei den Parlamentswahlen im Februar 2019 rund 27 Prozent der Wählerstimmen.

Ergebnis der Parlamentswahlen im Februar 2019

  • Sozialistische Partei Moldau (PSRM)               31 Prozent
  • ACUM Wahlbündnis (PPDA&PAS)                   27 Prozent
  • Demokratische Partei Moldau (PDM)               24 Prozent
  • Partei Shor                                                         8 Prozent

Unmittelbar nach den Wahlen brach in der Republik eine politische Krise um die Regierungsbildung aus, die genau drei Monate dauerte – einen Tag länger und es hätten Neuwahlen ausgerufen werden müssen. Die drei annähernd gleich großen Blöcke im Parlament konnten sich aufgrund tiefgreifender politischer Divergenzen und nicht zuletzt aufgrund der Persönlichkeitsstrukturen der jeweiligen Vorsitzenden nicht auf eine Regierung einigen. Im Juni kam es buchstäblich in letzter Minute zu einer Einigung, nur wenige Stunden bevor Neuwahlen hätten ausgerufen werden müssen. Die PSRM unterstützte die von Maia Sandu (PAS/ACUM) vorgeschlagene Regierung. Dieses Zweckbündnis mit den Sozialisten diente auch dazu, die Herrschaft der PDM und ihres Vorsitzenden Vlad Plahotnjuk zu beenden, der daraufhin umgehend das Land verließ.

Obwohl die PSRM zahlreiche Ministerposten übernommen hatte und erkennbar starken Einfluss in der Regierung ausübte, hatte diese Koalitionsregierung keinen langen Bestand. Bereits im November stimmte die PSRM gemeinsam mit PDM in einem Misstrauensantrag gegen die Regierung Sandu und am 14. November wurde eine neue Regierung eingesetzt. Die PSRM kündigte damit endgültig die Zusammenarbeit mit dem pro-europäischen Parteienblock ACUM von Ministerpräsidentin Maia Sandu auf.

Konflikte gab es in der Koalition vor allem wegen des Umfangs der politischen Reformen. Der Parteienblock ACUM, entstanden aus zivilen Protestbewegungen, tritt für weitreichende Rechtsstaats- und Verwaltungsreformen ein. Die Sozialisten hingegen gehören zum Polit-Establishment im Land und haben bei einer konsequenten Entpolitisierung des Staatsapparats und strengen Anti-Korruptionsmaßnahmen viel zu verlieren. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Koalition ausgerechnet an der Personalie des Generalstaatsanwalts zerbrach. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass ACUM in der Regierung oft ein chaotisches und unprofessionelles Bild abgab. Zudem war der Parteienblock wegen der Zusammenarbeit mit den Sozialisten auch intern gespalten. Die Diskussion darüber erhitzte sich zuletzt, weil ACUM bei der Kommunalwahl Ende Oktober 2019 schlecht abgeschnitten hatte.

Staatspräsident Dodon wollte nach eigenen Angaben vorgezogene Parlamentswahlen bis zur regulären Präsidentschaftswahl im Herbst 2020 vermeiden. Daher ernannte er seinen ehemaligen Berater Ion Chicu zum Interimspremier, dessen Minderheitskabinett von der PDM unterstützt wurde.

Nachdem Mitte März die Regierung umgebildet worden war, sah musste diese auf Covid-19 rasch reagieren. Sie beschloss zunächst einen Ausnahmezustand und anschließend einen Gesundheitsnotstand. Dennoch steigt gerade im Juli die Zahl der Erkrankten weiter.

Nachdem Mitte März die Regierung umgebildet worden war, sah musste diese auf Covid-19 rasch reagieren. Sie beschloss zunächst einen Ausnahmezustand und anschließend einen Gesundheitsnotstand. Dennoch steigt gerade im Juli die Zahl der Erkrankten weiter.

© Daniel Seiberling

Regierungsumbildung 2020

Mitte März, zeitgleich mit dem Beginn der Corona-Krise im Land, fand eine Regierungsumbildung statt, bei der die seit November 2019 bestehende Koalition der Sozialistischen Partei (PSRM) und der Demokratischen Partei (PDM) gefestigt wurde. Die PDM verfügt nun über fünf Ministerposten. Einerseits positionierte sich die PDM damit für mögliche Parlamentsneuwahlen, steuert damit andererseits auch einer Austrittswelle von Parlamentariern gegen. Geführt von Andrian Candu, ehemaliger Parlamentssprecher und enger Vertrauter von Vlad Plahotnjuk, haben bis zum Sommer 13 Abgeordnete die PDM-Fraktion verlassen und sind der neugegründeten Pro-Moldau-Fraktion beigetreten. Diese Fraktion könnte zum Zünglein an der Waage werden, falls die Vertrauensfrage gestellt und damit möglicherweise eine neue Regierung aufgestellt werden sollte. Pro-Moldau ist mit Sicherheit als ein Vehikel der Interessen von Vlad Plahotnjuk anzusehen, der sich angeblich in Miami aufhält und seine Rückkehr in die Republik Moldau vorbereitet. Die moldauische Staatsanwaltschaft hatte im Mai 2020 einen Haftbefehl gegen Vlad Plahotnjuc erlassen, dem drei Vergehen zur Last gelegt werden: die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Betrug und Geldwäsche. Obwohl es kein entsprechendes Abkommen zwischen der Republik Moldau und USA gibt, wurde seine Auslieferung (vorsorglich) trotzdem beantragt.

Wie einst die PDM unter Plahotnjuk, bedient sich Pro-Moldau ostentativ europäischer Rhetorik und versucht, sich als Ansprechpartner europäischer Integrationsbestrebungen zu platzieren – ob in Konkurrenz zu ACUM oder als mögliche Verbündete ist noch offen.

Die Differenzen innerhalb von ACUM dagegen sind zwischenzeitlich kaum mehr zu übersehen. Andreij Nastase, der keinerlei Aussichten auf Erfolg hat, hat dennoch seine Kandidatur zu der bevorstehenden Präsidentenwahl angekündigt und versperrt damit Maia Sandu, die wie bereits vor 4 Jahren als ernstzunehmende Gegenkandidatin gilt, den Weg.

Darüber hinaus könnten sowohl Nastase als auch Sandu bei einer eventuellen Regierungsumbildung die derzeitigen labilen Loyalitäten im Parlament nutzen, um sich an die Spitze der Regierung zu stellen – allerdings in jeweils deutlich unterschiedlichen Konstellationen.    

Präsident Dodon geht es dagegen klar um eine Stabilisierung seiner derzeit dünnen Regierungsmehrheit und damit seiner politischen Kontrolle, auch im Blick auf seine Ausgangsposition für die auf 1. November festgesetzte Präsidentschaftswahlen.

Am 7. Juli hat das Verfassungsgericht der Republik Moldau vorerst Spekulationen über vorgezogene Neuwahlen beendet: Nach der aktuellen Entscheidung ist die Parlamentsauflösung in den letzten sechs Monaten der präsidialen Amtszeit verfassungswidrig, selbst wenn der Präsident in dieser Zeit zurücktreten würde. Darüber hinaus ist die Durchführung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in dieser Zeit untersagt – einzig Kommunalwahlen können durchgeführt werden.

Covid-19

"Patient Null" der Republik Moldau soll eine am 7. März 2020 positiv getestete Frau sein, die kurz zuvor aus Italien zurückgekommen war. Die Regierung und die Gesundheitsbehörden der Republik Moldau haben zunächst schnell und entschlossen reagiert, trotzdem konnte die Pandemie auch in der Republik Moldau nicht aufgehalten werden. Ende Juni/Anfang Juli haben sich die Infektionszahlen noch einmal deutlich erhöht. Das ist einerseits auf eine gewisse Lockerheit der Bevölkerung im Umgang mit Corona-Beschränkungen zuzuschreiben, aber auch der deutlich gestiegenen Zahl an durchgeführten Tests.  

Ausnahmezustand 17. März bis 15. Mai
Am 17. März hatte das Parlament einen 60-tägigen Ausnahmezustand beschlossen.
Schulen und Universitäten wurden geschlossen und nur die zur Grundversorgung notwendigen Geschäfte waren geöffnet. Der internationale Flugverkehr wurde eingestellt und weitgehende Einreisebeschränkungen verhängt. Ab dem 24. März galt eine erweiterte Ausgangssperre, die in Chişinău durch das Militär überwacht wurde. Präsident Dodon hat sich von Anfang an in hohem Maße in die Krisenkommunikation eingeschaltet und hat damit auch sein politisches Prestige in die Waagschale geworfen. Viele Menschen werden in erster Linie den Präsidenten für den Umgang mit der Krise und ihre Folgen verantwortlich machen. Auch Präsident Dodon konnte zunächst dem Vergleich zwischen dem Corona-Virus und einer "normalen Grippe" nicht widerstehen. Er hat aber seitdem im Krisenmanagement merklich dazugelernt und macht im Großen und Ganzen keinen schlechten Job – jedenfalls nicht so schlecht, dass es seinen Chancen zur Wiederwahl nachhaltig schaden würde. Allerdings hat der Sommer eine Corona-Müdigkeit der Bevölkerung mit sich gebracht und die Lockerungen der Beschränkungen widersprechen den dramatisch zunehmenden Fallzahlen im Land. 

Gesundheitsnotstand 16. Mai bis 15. Juli 2020
Am 15. Mai 2020 wurde der Ausnahmezustand beendet und ein sogenannter "Notstand im Bereich der öffentlichen Gesundheit" trat in Kraft. Dabei wurden zahlreiche der vorherigen Beschränkungen gelockert oder aufgehoben, viele davon wurden aber auf Grund der Verschlechterung der gegenwärtigen Situation nach und nach wiedereingeführt.  

Aufgrund der aktuellen Fallentwicklungen in der Republik Moldau hat die Nationale Kommission für öffentliche Gesundheit, gebildet aus Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Sozialschutz und der Nationalen Agentur für öffentliche Gesundheit am 23. Juni 2020 beschlossen, den Gesundheitsnotstand zunächst bis zum 15. Juli 2020 zu verlängern.

Am 10. Juli wurde der Gesundheitsnotstand erneut bis zum 30.Juli 2020 verlängert. 

Die Republik Moldau meldete bei 3.5 Millionen Einwohnern zum 12. Juli 2020 rund 19 382 Corona-Infektionen, davon sind bislang 642 verstorben und 12 667 gelten als geheilt.

Die Republik Moldau spürt die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie deutlich. Viele Moldauer stehen nun vor dem Ruin ihrer Existenz. Das Land gilt als eines der ärmsten in Europa.

Die Republik Moldau spürt die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie deutlich. Viele Moldauer stehen nun vor dem Ruin ihrer Existenz. Das Land gilt als eines der ärmsten in Europa.

© Dan Guţu

Wirtschaftliche Auswirkungen der Krise und mittelfristige Folgen

Die Republik Moldau ist durch die Corona-Krise besonders getroffen. Bereits vor der Krise eines der ärmsten Länder in Europa, wird es für viele Menschen in der Republik Moldau kaum Kompensationen, Ersatz für entfallenen Verdienst oder Umsatz geben - das Land kann das schlicht nicht leisten. Ein soziales Netz staatlicher Unterstützung für den drohenden Verlust wirtschaftlicher Existenzgrundlagen existiert praktisch nicht. Die moldauische Wirtschaft war geprägt durch Rücküberweisungen von moldauischen "Gastarbeitern" aus Europa und der Russischen Föderation; viele dieser Menschen sind nun zeitweilig in die Republik Moldau zurückgekehrt. Damit ist der Zufluss an Auslandsüberweisungen gestoppt und das Gesundheits- und Sozialsystem wird zusätzlich belastet.

Das Gesundheitssystem ist weit weniger leistungsfähig als in EU-Staaten, genießt wenig Vertrauen in der Bevölkerung und hat schon jetzt seine Leistungsgrenze erreicht. Das Land steht daher noch mehr als andere europäische Länder vor dem Dilemma, gesundheitliche und wirtschaftliche Folgewirkungen von Maßnahmen gegeneinander abzuwägen. Premierminister Chicu erklärte beispielsweise, dass ab dem 1. Juli die wirtschaftliche Tätigkeit trotz der Corona-Krise im Land wieder im vollem Umfang aufgenommen werden solle; das Land habe keine andere Wahl, als wieder zur Arbeit zu gehen.

„Ohne die schrittweise Wiedereröffnung der wirtschaftlichen Aktivitäten steht das Land vor dem finanziellen und budgetären Zusammenbruch. Wenn die Menschen ohne Gehälter und Renten auskommen müssen, hat das noch stärkere kumulative Auswirkungen, auch auf die Gesundheit der Bürger“, schrieb Chicu auf Facebook. "Wir können wirtschaftliche Aktivitäten nicht mehr unterbinden, wir können die Menschen nicht ohne Existenzquelle lassen."

Dieses Kalkül wird der Regierung aber teilweise übelgenommen; gerade die ältere Generation erinnert sich an sowjetische Zeiten, als das Gesundheitssystem scheinbar" von allein" funktionierte und keine wirtschaftliche Grundlage benötigte. In den nächsten Jahren soll das moldauische Gesundheitssystem weiter reformiert werden, gefördert durch eigene Anstrengungen und durch Gebermittel. Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, dass Kapazitätsengpässe vorliegen. Neben einer Verbesserung der medizinischen Infrastruktur muss ein entsprechendes Versicherungssystem eingeführt werden, das die Finanzierung der medizinischen Leistungen gewährleisten kann.    

Um die sozioökonomischen Auswirkungen der durch das Virus verursachten Krise zu mildern, stehen der Republik Moldau mehrere finanzielle und soziale Hilfen zur Verfügung, wie z.B. medizinische Ausrüstung, Produkte und Schutzmittel von verschiedenen Ländern, medizinisches Personal aus Rumänien, Notkredite, usw.

Die Regierung hat Maßnahmen für die Unterstützung von Betrieben während des Ausnahmezustands eingeleitet. In der Mehrheit beziehen sich diese auf Steuererleichterungen für bzw. Rückzahlungen von Sozial- und Krankenversicherungsbeiträgen an Firmen, die trotz Kurzarbeit oder Produktionsstopp weiter Löhne ausbezahlen.

Der Internationale Währungsfonds befürchtet wegen der anhaltenden Pandemie eine noch drastischere Rezession als bislang angenommen. Demnach dürfte die Weltwirtschaft um insgesamt -4,9 Prozent schrumpfen. Die Prognosen für die Republik Moldau der Weltbank gingen vor der Corona-Krise von einem Wirtschaftswachstum von +3,8 Prozent aus. Inzwischen nehmen aber selbst die optimistischsten Szenarien von einem Rückgang um - 3,1 Prozent an – realistisch dürfte das Jahr aber eher eine Bilanz von -5,2 Prozent aufweisen, das wäre für das Land der größte Rückgang nach der Weltfinanzkrise 2008.

Am 10. Juli wurde in Brüssel das zweite Makrofinanzhilfepaket über 30-Millionen € freigegeben, das 10 Mio. € als Zuschüsse und 20 Mio. € als langfristige Kredite für die Republik Moldau vorsieht. Die Freigabe dieser Tranche war auch an die Annahme des längst überfälligen Gesetzes zu „Nichtkommerziellen Organisationen“ geknüpft, das seit 2018 in Arbeit ist.

Eine zusammenfassende Darstellung über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Republik Moldau gibt die Weltbank in ihrem "Moldova Economic Update Spring 2020" (in englischer Sprache).

Hintergrundinformation

Gesetz über „Nichtkommerzielle Organisationen

Am 11. Juni 2020 hat das moldauische Parlament das neue "NGO-Gesetz" (Gesetz über Nichtkommerzielle Organisationen) im vierten Anlauf verabschiedet. Drei Plenarsitzungen fielen zuvor wegen des nichterreichten Quorums aus. Diese Gesetzesnovelle ist seit 2018 in Arbeit und wurde in einem für moldauische Verhältnisse offenen Dialog mit gesellschaftspolitischen und NGO-Vertreter ausgearbeitet. Zwischen erster und zweiter Lesung des Gesetzes lagen fast zwei Jahre und rund 100 Änderungen. Hätte die EU-Kommission das Gesetz nicht zur Voraussetzung für weitere millionenschwere Finanzhilfen an das Land gemacht, wäre wohl auch weiter nichts passiert.

Wichtigste Neuerung in der Gesetzesnovelle ist die Klärung der Frage, wie politisch „Nichtkommerzielle Organisationen“ sein dürfen. Das Gesetz ist dabei teilweise restriktiver als bestehende Gesetze (wie das Gesetz über öffentliche Vereinigungen), da es ausdrücklich verbietet, Wahlkampagnen durchzuführen oder zu unterstützen. Es verbietet weiterhin die direkte Unterstützung politischer Parteien und ist dabei kongruent u.a. mit dem Parteiengesetz und der Steuergesetzgebung der Republik Moldau. Allerdings liegt auch Mitte Juli noch kein veröffentlichtes Dokument darüber vor, was am 11. Juni im Parlament tatsächlich als Gesetz angenommen wurde.

Die ursprüngliche Gesetzesvorlage liest sich in den relevanten Punkten folgendermaßen:

Artikel 6 Absatz 4 

Eine nichtkommerzielle Organisation kann für politische Parteien oder gesellschaftspolitische Organisationen weder materielle Unterstützung leisten noch Dienstleistungen erbringen. Nichtkommerzielle Organisationen, die von den politischen Parteien oder gesellschaftspolitischen Organisationen gebildet werden, können politischen Parteien und gesellschaftspolitischen Organisationen kostenlose Dienstleistungen zum Zwecke der Stärkung ihrer organisatorischen Fähigkeiten anbieten." 

Artikel 6 Absatz 5

Während des Wahlkampfes können nichtkommerzielle Organisationen im Wahlkampf keine materielle Unterstützung oder kostenlose Dienstleistungen für Kandidaten erbringen und keine Wahlkampagnen durchführen."

Diese an sich klaren und nachvollziehbaren Vorschriften werden in der moldauischen politischen Realität sicher noch mehrfach das Verfassungsgericht beschäftigen, vor allem in der Definition der einzelnen Bestandteile des Gesetzestextes: Wo endet die "Stärkung der organisatorischen Fähigkeit" einer Partei und wo beginnt eine eigentliche politische Arbeit, wie ist mit den beiden neugeschaffenen Kategorien "normale" nichtkommerzielle Organisationen und "von den politischen Parteien oder gesellschaftspolitischen Organisationen gebildete nichtkommerzielle Organisationen" umzugehen und was sind die jeweiligen Kriterien dieser beiden Kategorien, wie genau ist der Zeitraum des Wahlkampfes definiert, etc. 

Transistrien

Die Beziehungen zur abtrünnigen Provinz Transnistrien haben sich auch unter dem pro-russischen Präsidenten Dodon nicht merklich gebessert. Die Politik der "kleinen Schritte", die unter anderem vom damaligen Bundesaußenminister Steinmeier 2016 während des deutschen OSZE-Vorsitzes (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) initiiert wurde, kam über diese kleinen Schritte nicht hinaus.     

Auch die Corona-Krise hat zu keiner weiteren Annäherung geführt. Einerseits unterstützt die Republik Moldau Transnistrien mit Medizintechnik und Know-How. Die Weltgesundheitsorganisation hat gemeinsame Trainings für moldauische und transnistrische Mediziner und medizinisches Personal durchgeführt. Andererseits hat Transnistrien als Isolationsmaßnahmen Kontrollpunkte an den sogenannten Grenzübergängen eingerichtet und die Trennung des Landes dadurch noch unterstrichen.

Quarantänemaßnahmen wurden in Transnistrien ab dem 14. März eingeführt und am 18. März wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. 

Transnistrien meldet bei rund 400 000 Einwohnern bislang 1 282 Corona Infektionen, davon sind 1 071 genesen und 49 Personen verstorben.  

Fazit

Die Bewohnerinnen und Bewohner der Republik Moldau sind Kummer gewohnt. Wenn gerade keine Regierungskrise herrscht, gibt es Ernteausfälle durch Trockenheit; wenn nicht gerade 1 Milliarde USD aus dem Sozialsystem über dunkle Kanäle in Offshore-Konten verschwindet, brechen unvorhersehbare Ereignisse wie Covid-19 über das Land herein. Wie jeder Krise liegt aber auch der Corona-Pandemie die Chance inne, umzudenken und neue Prioritäten zu setzen - in der Gesundheitsreform und in anderen Bereichen. Die Republik Moldau liegt im weltweiten Vergleich sowohl was die Zahl der Infektionen pro 1 Million Einwohner, als auch was die Todesfälle pro 1 Million Einwohner betrifft ungefähr gleich auf mit Portugal – und das ist für das Land positiv zu bewerten. 

Mitteleuropa, Osteuropa, Russland
N.N.
Leitung
Republik Moldau
N.N.
Projektleitung