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HSS-Interview
Fünf junge chilenische Gemeinderäte zu Gast in Bayern

In Chile wächst eine neue Generation engagierter Politiker heran. Sie sind jung, technikaffin, haben realistische Pläne für ihre Städte und Gemeinden und wollen einen Aufbruch. E-Government, Elektromobilität, nachhaltige Abfallverwertung, für die jungen Gemeinderäte gab es auf ihrer Reise durch Bayern viel zu besprechen.

Die Hanns-Seidel-Stiftung ist in Chile unter anderem darum bemüht, zur effektiveren und effizienteren Gestaltung des kommunalen Managements beizutragen.

Aus diesem Grunde lud sie die jungen chilenischen Gemeinderäte Jovanka Collao (San Bernardo), Viviana Nuñez (Quilpué), Jorge Acosta (Santiago), Cristián Araya (Vitacura) und Felipe Mancilla (La Florida) vom 23. bis zum 30. Juni 2018 nach Bayern ein, um sich mit Politikern, Mitarbeitern von Ministerien und lokalen Behörden sowie Polizeibeamten über aktuelle Themen wie E-Government, Elektromobilität, nachhaltige Energieversorgung, Abfallverwertung und innere Sicherheit auszutauschen.

Bei dieser Gelegenheit führte Prof. Dr. Klaus G. Binder, Leiter des Lateinamerika-Referats der Hanns-Seidel-Stiftung, mit Jovanka Collao das folgende Interview.

Will den CO2-Fußabdruck ihrer Gemeinde verringern: Jovanka Collao, Gemeinderätin aus San Bernardo, 4. v. rechts. Die Delegation hatte in München Gelegenheit, sich mit der Vorsitzenden der Hanns-Seidel-Stiftung, Prof. Ursula Männle (Mitte), und der Leiterin des Instituts für Internationale Zusammenarbeit (HSS), Dr. Susanne Luther (links), auszutauschen.

HSS

HSS: Seit wann sind Sie politisch aktiv? Wie kamen Sie zur Politik? Warum sind Sie Mitglied der Renovación Nacional?

Jovanka Collao: Ich bin seit 2009 politisch aktiv und das habe ich Herrn Pablo Krause zu verdanken. Er war damals Mitglied im Vorstand der Jungendorganisation der Renovación Nacional und stellte mich dem Senator Francisco Chahuán vor, der mir beigebracht hat, dass es wichtig ist, aktiv an der Entwicklung unseres Landes mitzuwirken.

Ich bin Mitglied der Renovación Nacional, da ich mich mit ihren Prinzipien identifiziere, wie der Gerechtigkeit, der Solidarität, dem Pluralismus, der Toleranz, der Religionsfreiheit, der Gleichberechtigung jeglicher Art, dem Respekt vor der Freiheit und der Autonomie jedes Einzelnen und der Stärkung der Familie. Sie ist eine Partei, die weiß, wie man mit Andersdenkenden respektvoll zusammenlebt und eigene Ideen in die Gesellschaft einbringt.

HSS: Wie groß ist die Gemeinde, die Sie im consejo repräsentieren? Wie viele Einwohner zählt sie? Gibt es viele Arbeitslose? Existieren viele soziale Probleme?

Die Gemeinde San Bernardo ist ziemlich groß; sie ist mit rund 340.000 Einwohnern die sechstgrößte Gemeinde Chiles. In San Bernardo leben einerseits arme, andererseits aber auch gut situierte Leute. Es existieren viele soziale Probleme, wie familiäre Gewalt, Drogenkonsum und Drogenhandel, die in erster Linie auf den Mangel an Arbeitsplätzen zurückzuführen sind; die Arbeitslosigkeit beträgt momentan 6,5 Prozent. Trotzdem wollen die Menschen, die in San Bernardo geboren sind, in der Gemeinde bleiben; nur sehr wenige ziehen weg.

HSS: Wie setzt sich der consejo, dem Sie angehören, zusammen? Wie viele Frauen sitzen im consejo? Welche Parteien sind vertreten? Wie sind die Mehrheitsverhältnisse?

Der consejo besteht aus zehn Gemeinderäten und der Bürgermeisterin; wir sind sechs Frauen und fünf Männer. Folgende Parteien sind im consejo vertreten: Unión Demócrata Independiente (UDI), Renovación Nacional (RN), Partido Radical Socialdemócrata (PRSD), Partido por la Democracia (PPD), Partido Socialista de Chile (PS), Demócrata Cristiano de Chile (PDC) und Frente Amplio. Stärkste Partei ist die UDI. Sie stellt die Bürgermeisterin und drei Gemeinderäte.

HSS: Werden Sie als junge Politikerin, insbesondere von den anderen consejales respektiert?

Ja, weil ich die Anerkennung meiner Kollegen gewonnen habe, aufgrund meiner autonomen, proaktiven Art und meiner kritischen Einstellung. Außerdem schaffte ich es, nach nur sechs Monaten im Amt, mit der Stiftung Thing One Thing Two ein Abkommen hinsichtlich der neurologischen Rehabilitation von Kindern in der Gemeinde San Bernardo abzuschließen.

HSS: Sie kamen auf Einladung der HSS nach Bayern, um sich hier von Experten über Themen wie Abfallmanagement und Recycling, alternative Energieversorgung, Elektromobilität, E-Government und innere Sicherheit informieren zu lassen. Konnten Sie von diesem Besuch profitieren? Was nehmen Sie mit nach Hause?

Wie ich im Rahmen der Arbeitssitzungen in Bayern bereits erwähnte, ist es das Ziel der Gemeinde San Bernardo, den Kohlenstoff-Fußabdruck zu verringern. Plastik und Glas werden getrennt und Öle wiederaufbereitet. Aber organische Stoffe landen auf Mülldeponien, obwohl man daraus Energie gewinnen könnte. Es gibt einen Industriepark, Wochenmärkte und eine Kompostieranlage, die keine enge und abgestimmte Beziehung miteinander haben, weshalb ich glaube, dass die Arbeit in Form von Clustern wegweisend ist. Der Besuch beim Umweltcluster Bayern war ohne Zweifel sehr bereichernd. Deutschland hat sich sehr viel früher als Chile mit Umweltthemen auseinandergesetzt. Ich glaube, dass es unverzichtbar ist, sich erfolgreiche Modelle zum Vorbild zu nehmen und diese im Rahmen des Möglichen nachzuahmen. Obwohl eine Müllverarbeitungsanlage und die Verbrennung von Müll sehr kostenintensiv sind, ist es wichtig, dass man in diesem Bereich weiter vorankommt, auch wenn es nur kleine Schritte sind. Außerdem sollten wir uns nicht mehr davor zurückscheuen, zur Verbesserung des Abfallmanagements Bündnisse zwischen dem staatlichen und dem privaten Sektor zu schließen, und letztendlich sollte man die Einsicht gewinnen, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit der Natur nicht nur möglich, sondern sogar rentabel ist.

Unser Land ist bei der Elektromobilität sehr rückständig. Der Transantiago, der die tragende Säule des öffentlichen Verkehrsnetzes der Hauptstadt ist, besteht aus Bussen, die die Abgasgrenzwerte überschreiten und somit die Umwelt stark verschmutzen. Dies steht im Widerspruch zum eigentlichen Ziel seiner Einführung, nämlich der Verringerung des Ausstoßes luftverschmutzender Partikel. Außerdem weist dieses öffentliche Verkehrssystem Mängel auf, denn die Wartezeiten sind lang, die Zahl der Schwarzfahrer ist hoch und die Busse sind überfüllt, was dazu führt, dass immer mehr Privatfahrzeuge zirkulieren, zum Großteil Benziner, die große Umweltschäden verursachen. Wir haben kein Fahrradnetz, so wie in Bayern. Es sind zwar Fahrradwege vorhanden, aber weder erreichen diese die gesamte Gemeinde, noch erfüllen sie die Qualitätsstandards, weshalb sie kaum genutzt werden.

Dass die bayerische Polizei im Bereich städtischer Sicherheit fortgebildet wird, um effizientere Präventionsarbeit zu leisten, halte ich für überaus interessant. Leider hat man in Chile den Respekt vor der Polizei verloren, da die Gesetzeslage die Verbrecher begünstigt. D.h., wenn heute jemand festgenommen wird, wird er morgen wieder freigelassen.

HSS: Sind Sie der Meinung, dass jeder seines Glückes Schmied ist, oder plädieren Sie dafür, dass sich die Gesellschaft um die Schwächsten der Schwachen kümmern muss?

Ich glaube, dass die Verantwortung geteilt ist, da Qualitätsverbesserungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Arbeit und Transport, aber auch im Umwelt- und Sicherheitsbereich der Bevölkerung eine gute Entwicklung ermöglichen.

HSS: Nach welchen politischen Ämtern streben Sie in der Zukunft? Werden Sie in absehbarer Zeit für das Amt des Bürgermeisters oder sogar für einen Sitz im chilenischen Nationalkongress kandidieren?

Mein Ziel ist es, mich von unten her weiterzuentwickeln, weshalb ich gerne Bürgermeisterin werden würde und die Gemeinde San Bernardo aus einem anderen Blickwinkel und im Sinne der neuen Generationen verwalten würde. Die Themen, bei denen ich einen Schwerpunkt setzten würde, wären Gesundheit, Sport und Umwelt.

HSS: Wie beurteilen Sie die Arbeit der Hanns Seidel Stiftung?

Die Hanns Seidel Stiftung spielt eine proaktive und visionäre Rolle bezüglich der Verbesserung der Lebensqualität der Gesellschaft, indem sie in erster Linie hochwertige Bildungs- und Beratungsmaßnahmen durchführt. Sie fördert die politische Beteiligung junger Menschen, baut deren Kenntnisse weiter aus und stattet sie mit der nötigen Kraft und den nötigen Kapazitäten aus, um gute Führungskräfte zu werden.

HSS: Frau Collao, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Prof. Dr. Klaus Binder.