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Südafrika nach den Wahlen
Kommt es zu einer Einheitsregierung wie unter Mandela?

Autor: Hanns Bühler

Nach den historischen Wahlen in Südafrika ist klar: der ANC wurde für Misswirtschaft und Korruption abgestraft. Die Zeiten absoluter Mehrheiten sind vorbei für die Partei Nelson Mandelas. Zum ersten Mal müsste eine Koalitionsregierung gebildet werden. Jetzt bringt Präsident Ramaphosa eine Einheitsregierung ins Spiel.

Der ANC hat seine absolute Mehrheit verloren. Der Absturz um 17 Prozent von ehemals 57 auf nur noch 40 bringt dem Land eine ganz neue politische Realität. Zum ersten Mal in seiner demokratischen Geschichte ist Südafrika gezwungen, über Koalitionen nachzudenken. Jetzt steht eine Einheitsregierung im Raum. Wir haben mit dem Leiter unseres Büros in Südafrika, Hanns Bühler, über den Ausgang der Wahlen und die Zukunftsaussichten für die größte Volkswirtschaft in Afrika gesprochen.

Mit 38,51 Prozent war die Wahlbeteiligung, trotz langer Schlangen, so niedrig wie noch nie: Ausdruck der Frustration vieler Südafrikaner über die politische Führung und den Zustand des Landes. Sie bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Südafrikaner der Demokratie den Rücken kehren. Vielmehr fehlt es an einer einenden Kraft im Land, die die vielen Nichtwähler mobilisieren könnte.

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HSS: Warum wird von einem historischen Wahlausgang gesprochen?

Hanns Bühler: Der Wahlausgang ist in der Tat historisch. Und zwar aus mindestens zwei Gründen: Erstens, der African National Congress (ANC), der Südafrika seit dem demokratischen Übergang allein regiert hat, verliert seine absolute Mehrheit auf nationaler Ebene und in den beiden bevölkerungsreichsten Provinzen Gauteng (34.8 Prozent / -15 Prozent) und KwaZulu‑Natal (16.99 Prozent / -37.23 Prozent). Er bekommt die Quittung für eine desolate Regierungsbilanz. Die Partei bricht auf nationaler Ebene von 57,50 Prozent auf 40,20 Prozent ein. Das ist ein Minus von 17 Prozentpunkten. 71 ANC-Abgeordnete fliegen aus dem Parlament.

Zwar bleibt der ANC stärkste politische Kraft und wird 159 Abgeordnete (von insgesamt 400) stellen, für das Land ist dies jedoch ein Schlüsselmoment, denn es gibt keine klaren Mehrheitsverhältnisse mehr. Der zweite Grund: Die Parteien müssen nun auf nationaler Ebene und in wichtigen Provinzen Vereinbarungen zur Machtteilung organisieren. Ein Novum in der jungen Demokratie. Erfahrung zur Koalitionsbildung auf nationaler Ebene gibt es nicht. Entsprechend groß sind auch das öffentliche Interesse und die Unsicherheit über den Ausgang der begonnenen Gespräche zwischen den Parteien.

400 Abgeordnete von 18 unterschiedlichen Parteien werden zukünftig im Parlament vertreten sein. In Südafrika gibt es keine prozentuale Hürde (Sperrklausel).

HSS: Was bedeutet der Einbruch des ANC für das Land?

ANC-Vorsitzender und Präsident des Landes, Cyril Ramaphosa, unterstrich in seiner Ansprache nach Verkündung des Wahlergebnisses die Notwendigkeit und den Willen, über Parteigrenzen und im Sinne des Landes zusammenzuarbeiten. Ruhe zu bewahren ist insbesondere in Hinblick auf die politisch explosive Lage in KwaZulu-Natal wichtig. Gerade hier versucht Jacob Zuma, die Stimmung weiter anzuheizen und die Verfassung zu untergraben. Beobachter und auch die Bevölkerung fragen sich: Kommt es zu einer Koalition zwischen dem ANC und linksradikalen und militanten Kräften wie den Economic Freedom Fighters (EFF) und der antidemokratischen Zuma-Partei? Oder gelingt es dem ANC und der marktorientierten Democratic Alliance (DA), eine Vereinbarung zur Machtteilung zu schließen? Im Kern geht es um die Frage, ob eine pragmatische und entwicklungsorientierte Regierung zustande kommt, oder ob kleptokratische und antidemokratische Patronagenetzwerke zukünftig an den Schalthebeln der größten Volkswirtschaft des afrikanischen Kontinents sitzen. Der Absturz des ANC ist somit Chance und Risiko zugleich.

HSS: Welche Parteien zählen zu den Gewinnern, welche zu den Verlierern?

Die zentristischen Oppositionsparteien konnten nur begrenzt vom Verlust des ANC profitieren. Die größte Oppositionspartei, die marktorientierte Democratic Alliance, gewinnt 1 Prozent hinzu und kommt auf 21,8 Prozent. Sie verteidigt die absolute Mehrheit (55 Prozent) in der bayerischen Partnerprovinz Westkap. Die DA hat sich als wichtigste Oppositionspartei etabliert und gegen Kleinstparteien und eigene Absplitterungsbewegungen durchgesetzt (BOSA, Action SA), die auf die gleiche Wählerschaft zielen. Ihr kommt nun bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen eine zentrale Rolle zu.

Zulegen konnten auch die eher konservative Inkatha Freedom Party (IFP), traditionell vor allem in KwaZulu-Natal vertreten (3.9 Prozent), und die von zwei ehemaligen Straftätern gegründete Patriotic Alliance, die als Interessenvertreterin der “Coloureds” gesehen wird. Sie kommt mit einem populistischen Programm aus dem Stand auf 2.1 Prozent.

Der große Gewinner ist jedoch Jacob Zuma, 82 Jahre alt. Der Ex-ANC Parteivorsitzende und Ex-Präsident des Landes (2009 – 2018) gewinnt mit seiner opportunistischen, autoritären und anti-demokratischen Partei „Speer der Nation“ (MK) aus dem Stand 14,58 Prozent und wird drittstärkste Kraft im Land. Als verurteilter Straftäter bleibt Zuma selbst zwar der Einzug ins Parlament versperrt, jedoch wird die Partei mit 58 Abgeordneten im nationalen Parlament vertreten sein. In KwaZulu-Natal, einer der wichtigsten Provinzen des Landes mit der Hauptstadt Durban, holt die Partei aus dem Stand bemerkenswerte 45 Prozent.

Die Rückkehr des Ex-Präsidenten und seines Netzwerks auf die politische Bühne ist vor allem der Versuch, Rache am Ramaphosa-ANC zu nehmen und der eigenen Strafverfolgung zu entgehen. Er destabilisiert damit das gesamte Land. 1000 zusätzliche Polizisten wurden bereits in die Provinz entsendet, um Unruhen wie 2021 im Zuge seiner Inhaftierung zu vermeiden. Wie der ANC unter dem Erfolg Zumas leidet, so geht es auch den linksradikalen und militanten Economic Freedom Fighters unter ihrem Vorsitzenden Julius Malema. Sie verlieren 1,3 Prozent und kommen auf 9.5 Prozent (39 Abgeordnete / - 5). Wichtig: Auch die EFF ist eine Absplitterungspartei des ANC. Die Zahl der im nationalen Parlament vertreten Parteien steigt insgesamt von 14 auf 18.

Wahlergebnisse des African National Congress (ANC) seit 2004

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HSS: Welche Koalitionsoptionen bestehen und wie sind die möglichen Szenarien zu bewerten?

Der ANC-Vorsitzende, Präsident Ramaphosa, hat vorerst vermieden, einen Koalitionspartner zu wählen, indem er eine “Regierung der nationalen Einheit” vorgeschlagen hat. Diese könnte theoretisch Parteien umfassen, die entgegengesetzte Ansichten zu fast allen wichtigen politischen Themen haben. In seiner Rede am 6. Juni, im Nachgang zur Sitzung des ANC-Parteivorstands, erklärt Ramaphosa der Nation mit allen demokratisch orientierten und verfassungstreuen Parteien verhandeln zu wollen. Dies schließt aus Sicht des ANC die Zuma-Partei aus, könnte jedoch die für Verstaatlichung und Enteignung stehenden Economic Freedom Fighers (EFF) und der Gangster-Partei, Patriotic Alliance (PA), Zugang zu den Schalthebeln der Macht verschaffen. Der südafrikanische Privatsektor hat bereits vor den Wahlen vor so einem Szenario gewarnt.

Der Knackpunkt wird sein, welche Parteien dem Angebot des ANC zur Bildung einer Einheitsregierung überhaupt folgen werden und ob es dem ANC gelingt, eine Vereinbarung zur Machtteilung zu verhandeln, die im Interesse des Landes ist. Denn die marktorientierte DA hat eine Zusammenarbeit mit den EFF im Wahlkampf ausgeschlossen und diese Position in den letzten Tagen untermauert. Und auch der EFF-Vorsitzende, Julius Malema, hat nach Ramaphosas Rede gesagt, dass er nicht mit dem “Feind”, der DA, regieren werde.

Der Vergleich zu 1994, als Südafrika unter Mandela erfolgreich eine Einheitsregierung organisierte, hinkt allein schon deshalb, weil damals drei Parteien beteiligt waren. Im neu gewählten Parlament sind 18 Parteien vertreten. Es ist daher noch völlig offen, ob die von Ramaphosa vorgeschlagene Einheitsregierung zustande kommt oder ob der ANC doch nochmal Szenarien zur Koalitionsbildung aus der Schublade ziehen muss.

Da wegen der auseinanderklaffenden Programmatik auch große Vorbehalte gegenüber einer Koalition zwischen DA und dem ANC bestehen, scheint auch eine ANC-Minderheitsregierung unter Duldung der DA möglich. In diesem Szenario würde der ANC die Regierung bilden, während die Democratic Alliance im Parlament wichtige Posten besetzen und damit eine umfassende Kontrollfunktion einnehmen würde. Dem Westminster-System folgend würden die DA-Abgeordneten die ANC-Regierung bei Vertrauens- und Haushaltsabstimmungen stützen.

Laut Verfassung müssen bis zum 17. Juni die Sprecher des Parlaments und der Präsident des Landes und sein Stellvertreter gewählt werden. Die nächsten Tage werden über den Entwicklungspfad des Landes entscheiden. Bei allem Risiko liegt hierin auch auch eine historische Chance.

Wahlergebnisse der Democratic Alliance (DA), der Economic Freedom Fighters (EFF) und Jacob Zumas MK-Partei

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HSS: Welche Bedeutung hat all dies für das Verhältnis zu Europa und zum „Westen“?

Eine neue Regierung kann je nach Zusammensetzung und ideologischer Ausrichtung die Beziehungen zum Westen, die in den vergangenen Monaten starken Spannungen ausgesetzt waren, festigen oder sie radikal infrage stellen. Jacob Zuma und seine Kinder machen aus ihrer Verehrung für den Kreml, seinen russischen Autokraten und seiner völkerrechtswidrigen Politik keinen Hehl. Auch die EFF zeigt sich gerne russlandfreundlich. EFF-Vorsitzender, Julius Malema, hat im Wahlkampf auch zur Bewaffnung der Hamas aufgerufen. Sollten die EFF in die Regierung kommen, wird der Einfluss des Kremls weiter zunehmen und die größte Volkswirtschaft in Afrika dem Westen damit immer mehr entgleiten. Mit einer Beteiligung der Democratic Alliance bestünde hingegen die Chance, dass sich Südafrikas Außenpolitik wieder moderater kalibriert. Es steht also tatsächlich viel auf dem Spiel. Nicht nur für Südafrika selbst, sondern auch für Deutschland und die EU.

HSS: Herr Bühler, vielen Dank für das Gespräch.

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