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Sicherheitskonferenz Homeaffairs in Prag
Zwischen Gambia, Jordanien, Tschechien und Bayern

Tschechien stellt sich gegen den UN-Migrationspakt. Mit dieser Entscheidung vertritt die Republik die Haltung der eigenen Bevölkerung – aber gefährdet der Fokus auf nationale Themen die wirtschaftliche Entwicklung und europäische Integration des Landes? Der deutsche Botschafter in der Tschechischen Republik, Dr. Christoph Israng, und der tschechische Europaabgeordneter Tomáš Zdechovský äußern sich im HSS-Interview zu diesem Thema.

Autor und Interviews: Christoph Mauerer, HSS, Prag

Die öffentliche Diskussion in Tschechien über innere Sicherheit wird nach wie vor vom Thema Thema Flucht und Migration dominiert – und das, obwohl es eine Phantomdiskussion ist, da es de facto keine Flüchtlinge in Tschechien gibt. Dennoch geben in einer aktuellen Umfrage des angesehenen Meinungsforschungsinstituts Stem mehr als zwei Drittel der Befragten an, dass sie Angst vor Flüchtlingen haben, die in Tschechien Asyl erhalten würden. Noch mehr, etwa 86%, fürchten sich in diesem Zusammenhang vor einer Ausbreitung des Islams. Nur 23% wären bereit, Flüchtlingen persönlich zu helfen.

Die öffentliche Diskussion in Tschechien über innere Sicherheit wird nach wie vor vom Thema Flucht und Migration dominiert.

Die öffentliche Diskussion in Tschechien über innere Sicherheit wird nach wie vor vom Thema Flucht und Migration dominiert.

O12; CC0; Pixabay

Info:

Vom 21.-23.11.2018 fand in den historischen Räumlichkeiten des Palais Kaiserstein auf der Prager Kleinseite die internationale Konferenz Homeaffairs - 4th Internal Security Forum Prague statt. Die Tagung wurde durch den tschechischen Think Tank European Values in Zusammenarbeit mit dem tschechischen Projektbüro der Hanns-Seidel-Stiftung ausgerichtet. Unweit des tschechischen Parlaments und der Prager Burg diskutierten Politiker und Experten aus sieben EU-Staaten und Israel Fragen der Inneren Sicherheit.

Ein großes Gebäude in der Stadt Prag

Sicherheitspolitischer Austausch in historischen Räumlichkeiten: Das Palais Kaiserstein am Kleinseitner Ring in Prag.

HSS

Damit hat sich die öffentliche Meinung zu diesen Fragen seit 2015 nicht geändert. Es war deswegen auch wenig überraschend, dass Tschechien, genau wie die übrigen Visegrád-Staaten (Slowakei, Ungarn und Polen), im November dem UN-Migrationspakt nicht beigetreten ist. Laut dem tschechischen Außenministerium fehle darin eine klare Unterscheidung zwischen legalen und illegalen Migranten. 

Aber warum stehen tschechische Bürger dem Thema Flucht und Migration so ablehnend gegenüber?

Sicher ist, dass man in Tschechien kaum historische Erfahrungen mit Migranten aus anderen Kulturkreisen gemacht hat. Am sichtbarsten ist mit 0.57% Bevölkerungsanteil noch die vietnamesische Minderheit (etwa 60.000 Personen), deren kleine Lebensmittelläden aus dem Straßenbild tschechischer Städte nicht wegzudenken sind.

Zwei Männer im Anzug stehen nebeneinander

Martin Kastler, MdEP a.D., Repräsentant und Regionalleiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Tschechien, der Slowakei und Ungarn begrüßt den Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Tschechischen Republik, Dr. Christoph Israng auf der Konferenz. Kastler forderte in einem Statement die Einrichtung einer europäischen Migrations-Behörde, die nicht nur für Flucht und Asyl, sondern für Migration als Ganzes einheitliche Regelungen schafft.

Arbeitsmigranten für die gut funktionierende tschechische Wirtschaft kommen vor allem aus der Ukraine und zunehmend auch aus zentralasiatischen Ländern wie etwa der Mongolei. Die Zahl der Muslime in der Tschechischen Republik liegt dagegen mit ca. 22.000 (0,2% der Bevölkerung) sehr niedrig.

Trotz der negativen Stimmung in Tschechien der Idee offener Grenzen und geregelter Migration gegenüber ist die Mitgliedschaft im Schengenraum für das Land und seine exportorientierte Wirtschaft von enormer Bedeutung. Ein Ende des Schengen-Abkommens und die Wiedereinführung von dauerhaften Grenzkontrollen würden zu empfindlichen Einbußen für die tschechischen Unternehmen führen. Im größeren sicherheitspolitischen Kontext gibt es lediglich einige Extrempositionen, wie die Tomio Okamuras von der rechtsextremen SPD-Partei, der Referenden über den Austritt aus EU („Czexit“) und Nato fordert; ansonsten stellt die Mitgliedschaft in den westlichen Bündnissystemen einen gesellschaftlichen Konsens dar.

Beim vierten Jahrgang der Sicherheitskonferenz Homeaffairs in Prag wurden heuer der Kampf gegen islamistischen Extremismus sowie die Prävention illegaler Migration aus Drittstaaten, vor allem aus Afrika, in den Fokus genommen.   

Auf der Konferenz wurde zudem das Diskussionspapier „Prevention of mass irregular immigration to Europe“ vorgestellt ; diese Publikation wurde ebenfalls von der Vertretung der Hanns-Seidel-Stiftung in der Tschechischen Republik gefördert.

Am Rande der Veranstaltung sprachen wir mit dem Deutschen Botschafter in der Tschechischen Republik, Dr. Christoph Israng, sowie mit Tomáš Zdechovský, tschechischer Europaabgeordneter für die christdemokratische KDU-ČSL.

Ein Mann im Anzug vor einem Gebäude

Botschafter Dr. Christoph Israng gehört seit 1997 dem Auswärtigen Amt an. Vor seiner Ernennung zum Botschafter in Prag war er von Juli 2014 bis Juli 2017 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen in Den Haag. Dem ging eine achtjährige Tätigkeit im Bundeskanzleramt in Berlin voraus, zuletzt als Leiter des Referats für Zentral-, Ost-, und Südost-Europa, den Kaukasus und Zentralasien.

HSS

Interview mit Botschafter Dr. Christoph Israng

HSS: Herr Botschafter, bei dem Panel, an dem Sie und Herr Zdechovský teilnahmen, ging es um Migration aus Afrika. Was genau muss getan werden, damit junge Menschen aus Afrika nicht gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und nach Europa zu gehen?

Israng: Das Allerwichtigste ist, dass wir eine Perspektive schaffen, vor Ort in Afrika, damit niemand es nötig hat, woanders hinzugehen, sei es aus ökonomischen oder aus politischen Gründen, oder für seine Sicherheit. Deswegen müssen wir die Perspektiven vor Ort schaffen, das ist das Allerwichtigste. Aber natürlich müssen wir auch den Außengrenzenschutz fördern. Wir müssen auch bei uns noch mehr dafür tun, damit sich eben die Menschen gar nicht auf den Weg machen, sondern eine Perspektive zu Hause haben.

HSS: Sie haben auch Polizeiprojekte erwähnt, zum Beispiel ein deutsch-tschechisches Polizeiprojekt in Gambia, worum geht es da?

Das ist ein Ausbildungsprojekt, bei dem deutsche Experten zusammen mit tschechischen Polizisten Kollegen aus Gambia vor Ort ausbilden. Das hat jetzt gerade angefangen und läuft so gut, dass wir das auch fortsetzen.

HSS: Lassen Sie uns von Gambia wieder zurück nach Mitteleuropa gehen. Wir haben ja aktuell das Glück, nicht nur eine Bayerische Repräsentanz hier in Prag zu haben, sondern mit Ihnen auch einen Deutschen Botschafter, der aus Bayern stammt. Wie bewerten Sie die deutsch-tschechische und bayerisch-tschechische Zusammenarbeit im Bereich der Inneren Sicherheit?

Alle Experten, die wir fragen, egal ob in Bayern, bei der bayerischen Polizei, bei der sächsischen Polizei oder auch bei der Bundespolizei äußern sich sehr, sehr positiv über die hervorragende Zusammenarbeit mit ihren tschechischen Kolleginnen und Kollegen. Und der Effekt ist ja auch sichtbar, denn die Kriminalität in den Grenzregionen ist zurückgegangen. Es ist noch nicht überall angekommen, deswegen müssen wir diese hervorragende Zusammenarbeit noch sichtbarer machen, und da sind wir im Kontakt mit den tschechischen Kollegen, um Wege zu finden, um das dann auch der Bevölkerung vor Ort sichtbar zu machen, vielleicht mit noch mehr gemeinsamen Polizeistreifen, mit gemeinsamen Dienststellen, die es im Übrigen schon gibt, aber diese müssen eben noch sichtbarer werden.

HSS: Herr Botschafter, vielen Dank für das Gespräch.

Ein Mann im Anzug mit freundlichen Gesichtsausdruck

Der tschechische PR-Berater, Schriftsteller und Politiker der christlich-konservativen KDU-ČSL ist seit 2014 als Mitglied der christlich-demokratischen KDU-ČSL im Europäischen Parlaments. Davor leitete er zehn Jahre lang eine PR- und Kommunikationsagentur. Seit 2006 gibt er an verschiedenen Universitäten Seminare für Krisenmanagement und Krisenkommunikation. Zwischen 2007 und 2008 war er als Regionalmanager seiner Partei in der tschechischen Region Pardubice tätig.

HSS

Interview mit Tomáš Zdechovský, Europaabgeordneter KDU-ČSL.

HSS: Herr Zdechovský, Sie sind seit 2014 im Europaparlament, also jetzt bereits fast eine ganze Periode, und eben auch im Jahr 2015, als die meisten Flüchtlinge nach Europa kamen. Wie hat sich seit dieser Zeit die Migrationspolitik der Europäischen Union entwickelt?

Zdechovský: Sie hat sich bedeutend verändert seit der Kulminierung im Jahr 2015. Momentan kommt es zu einer Stabilisierung. Im Jahr 2015 kamen mehr als eine Million Menschen nach Europa, ohne irgendwelche Kontrolle. Momentan kommen um die 100 000 Menschen, die einen Flüchtlingsstatus beantragen, und das, denke ich, ist ein bedeutender Unterschied.

HSS: Sie haben in ihrem Statement auch darüber gesprochen, dass es im Rahmen der Migrationspolitik sehr erfolgreiche Projekte gibt, die aber zu wenig bekannt sind. Woran denken Sie da zum Beispiel?

Die Tschechische Republik und Deutschland kooperieren zum Beispiel hervorragend bei der Versorgung jordanischer Flüchtlingslager mit Strom. Oder wir haben gemeinsame Projekte in Afrika, wo wir Schulen bauen, oder solche, die auf die Sauberkeit von Trinkwasser ausgerichtet sind. Das ist zu wenig bekannt und ich denke, dass das unheimlich schade ist.

HSS: Und welche Prioritäten sehen Sie in Zukunft für die Tschechische Republik in der Migrationspolitik?

Für die Tschechische Republik ist es wichtig, eine wirklich schnelle Migrationsprozedur einzuführen, ähnlich wie in den Niederlanden. Ein zweiter Punkt ist, dass wir uns mehr auf ein Green Card-System und legale Migration konzentrieren müssen, damit Arbeitskräfte hierherkommen können, die unsere Industrie benötigt. Drittens müssen wir besser mit den umliegenden Staaten zusammenarbeiten. Wir sollten nötigenfalls Experten oder Polizisten zur Verfügung stellen, für den Fall, dass ein Staat dies benötigt.

HSS: Vielen Dank, Herr Zdechovský.

Mitteleuropa, Osteuropa, Russland
N.N.
Leitung

Hanns-Seidel-Stiftung, Vertretung Tschechien
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Tschechische Republik

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