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Der Verbraucher in der digitalen Welt
„Wir brauchen ein digitales Bauchgefühl“

Autor: Silke Franke

Die Digitalisierung ändert alles: wie wir kommunizieren, arbeiten, einkaufen und den Alltag managen. Wir stehen dabei erst am Anfang einer Entwicklung - und die Dynamik ist groß! Wie gut kommt der Verbraucher damit zurecht? Wie gut ist er in der neuen digitalen Welt geschützt?

„Die Digitalisierung sprengt schier unsere Vorstellungskraft“, so Prof. Dr. Klaus Mainzer. Der Emeritus of Excellence der TU München ist gefragter Experte für Komplexität, Künstliche Intelligenz und Big Data. Und diese „Big-Data-Welt“ wächst nicht nur exponentiell, sie durchdringt auch immer mehr Schichten. Mainzer bringt die vier Dimensionen mit den englischen Begriffen volume, velocity, variety und analytics auf den Punkt. Das heißt: die Datenmengen und die Geschwindigkeit, in der sie übertragen werden, nehmen ständig zu. Gleichzeitig handelt es sich dabei um immer vielfältigere Daten, die zahlreiche Verknüpfungs- und Analysemöglichkeiten zulassen. Um die Komplexität der Daten zu bewältigen, muss das Netz lernen, selbständig Bedeutungen zu erkennen und zu verstehen, unvollständiges Wissen zu ergänzen und logische Schlüsse zu ziehen [Vgl. Klaus Mainzer: Künstliche Intelligenz. Verlag Springer, Berlin und Heidelberg, 2016, S. 155.]. Im Bereich der Medizin könnte dies helfen, Krankheiten zu bekämpfen, und daher von enormen Nutzen für die Menschheit sein. Ob es auch so gut ist, dass die Börsenmärkte heute von Algorithmen gesteuert werden, die Veränderungen in Millisekunden erfassen und automatisierte Transaktionen veranlassen, sei dahingestellt.

Zahlenreihen laufen auf einem Bildschirm in Spalten nach unten. Sieht sehr kryptisch aus.

Wer in der digitalen Welt die besten Algorithmen hat, ist der stärkste am Markt. Werden Unternehmen ihre neue Macht maßvoll und mit Weitblick einsetzen oder gefährden die neuen Technologien Verbraucherrechte?

Algorithmen und die dunkle Seite der Macht

Das bedeutet auch: Wer die besten Algorithmen hat, ist der Stärkste am Markt. Algorithmen werden damit zu einem mächtigen Werkzeug. Offenbart sich hier eine „dunkle Seite der Macht“ oder eine gute? Für Mainzer ist es dringend erforderlich, sich mit ethischen, rechtlichen und sozialen Normen auseinanderzusetzen, um Wildwuchs zu vermeiden und eine „digitale Würde“ zu erhalten. Schulen müssen dabei v.a. zu lebenslangem Lernen anleiten, Werteorientierung vermitteln und die Urteilskraft stärken- „nur so können die Zusammenhänge und Folgen unserer Handlungen erkannt werden“.

Aufgabe der Politik ist zum einen die Technologieförderung, damit Deutschland im internationalen Wettbewerb weiterhin erfolgreich mithalten kann. Aber natürlich, so Eric Beißwenger, Verbraucherschutzpolitischer Sprecher der CSU-Fraktion, muss sie sich genauso damit auseinandersetzten, dass nicht alles, was technisch möglich ist, auch gesellschaftlich erwünscht ist. Neben dem Verbraucherschutz spielt Verbraucherbildung für ihn eine essentielle Rolle, nicht nur in der Schule und in der Familie, sondern auch in der Weiterbildung und in der Arbeitswelt, denn auch hier sind zunehmend neue Kompetenzen gefordert.

Angesichts der wachsenden Informationsflut ist für ihn der zielgerichtete, souveräne und auch ethisch verantwortungsvolle Umgang mit Information zu einer Schlüsselkompetenz geworden. Ist das, was ich im Internet zu lesen bekomme, überhaupt echt oder sind das automatisch generierte Inhalte? Haben das unabhängige Personen geschrieben oder sind das „Influencer“, die dafür bezahlt wurden, dass sie ein Produkt gut bewerten? Dabei geht es nicht nur darum zu erkennen, wie seriös die Informationsquelle ist. Es gilt auch den Umgang mit Datenschutz und Urheberrechten zu beachten, auch wenn das „copy and paste“ so einfach wäre. Schließlich will man ja selbst auch wissen, was mit den Texten, Bildern und sonstigen Informationen geschieht, die im Internet veröffentlicht hat: werden diese weitergegeben? Kann ich sie auch wieder löschen?

Junge Frau bezahlt gerade eine Ware mit einem Geldschein.

Verbraucher können sich beim Online-Shopping nicht auf die Intuition verlassen, die sie in der analogen Welt geleitet hat. Ganz im Gegenteil.

quinntheislander; CC0; Pixabay

Der verführte Konsument?

Verbraucher können sich in der Online-Welt nicht immer auf ihre Intuition verlassen, die sie durch die analoge Welt geleitet hat. Prof. Dr. Martin Schmidt-Kessel, Direktor der Forschungsstelle für Verbraucherrecht an der Universität Bayreuth, verweist in dem Zusammenhang auf die neuen Methoden, die Konsumenten in ihrer Kaufentscheidung beeinflussen wollen. Dies beginnt bei der Individualisierung von (Werbe-)Angeboten und Suchergebnissen, geht über „Influencer“ (Personen, die in sozialen Netzwerken stark präsent sind und dabei kommerzialisierte Werbung einfließen lassen) und „Nudging“ (Informationen, mit denen der Verbraucher überzeigt werden soll, sein Verhalten zu überdenken) bis hin zu den „Dash-Buttons“ (Verbrauchsartikel lassen sich auf Knopfdruck nachbestellen). Zur Marketingstrategie gehören auch die „Lock-in-Effekte“, die erzielt werden, wenn bestimmte Produkt- oder Servicekomponenten technisch-funktional so konstruiert sind, dass sie nur über einen bestimmten Hersteller bezogen werden können. Das sind für ihn neue Formen des Eingreifens in die Entscheidungsarchitektur: Wie viel Entscheidungsautonomie hat der Einzelne da tatsächlich noch?

Online-Plattformen, wie amazon oder lieferando, sind digitale Marktplätze. Dabei gehören sie zu den „Intermediären“, die Produkte und Dienstleistungen nicht selbst anbieten, sondern nur vermitteln. Schmidt-Kessel: „Sie leben von der Datenverwertung, also davon, die Daten ihrer Kunden zu Geld zu machen. Daten sind somit Vermögenswerte. Darüber sollten sich Nutzer bewusst sein“.

Der Umriss eines Menschen steht im Vordergrund. Hinter ihm ein stilisierter "Ursprungskreis" aus dem strahlenförmig Zahlenreihen nach außen fliegen.

79% der deutschen Bevölkerung sind mittlerweile online. Mit 51 von 100 Punkten liegt Deutschland damit im „D21-Digital Index“ im Mittelfeld.

geralt; CC0; Pixabay

Wie digital ist Deutschland?

Der „D21-Digital Index liefert seit 2013 jährlich ein umfassendes Lagebild zum Digitalisierungsgrad der Gesellschaft in Deutschland und wird von Kantar TNS durchgeführt. Dabei werden 200 Kenngrößen in vier Dimensionen erfasst: 

  • Zugang (Digitale Infrastruktur z.B. Geräteausstattung, Breitband)
  • Nutzung (Nutzungsintensität und -vielfalt: welche Anwendungen werden wie lange genutzt)
  •  Kompetenz (Wissen über digitale Themen und Fertigkeiten, z.B. Programm installieren)
  • Offenheit (Einstellung zu digitalen Themen und Internet, Offenheit für Neuerungen und digitale Trends) 

Für 2016 liegt der der D21-Digital-Index mit 51 Punkten auf einem mittleren Niveau der Skala, die von 0 bis 100 reicht. Immer mehr Menschen haben Zugang zu digitalen Angeboten und nutzen sie auch. Inzwischen sind 79 Prozent der Bevölkerung online, die Altersgrupe der 14- bis 49-Jährtigen fast ausnahmslos. Doch gleichzeitig sind die Index-Werte für „Offenheit“ und „Kompetenz“ gesunken. Offensichtlich wachsen mit den steigenden Anforderungen der Technologien auch die Bedenken in der Bevölkerung, etwa hinsichtlich Datenschutz oder der Macht von Algorithmen.

In einer weiteren repräsentativen Studie hat Kantar TNS für die Vodafone Stiftung untersucht, welche Kompetenzen aus Sicht der Deutschen für den Erfolg in einer zunehmend digitale Zukunft entscheidend sein werden. Die meisten der befragten Deutschen (81 Prozent) sind sich sicher, dass es Jugendliche ohne ein grundlegendes Verständnis digitaler Technologien künftig schwer haben werden, einen guten Arbeitsplatz zu erhalten. Zugleich sind sie sich einig darüber, was neben dem sicheren Umgang mit digitalen Technologien ebenfalls entscheidend sein wird: lebenslanges Lernen ist die Kernkompetenz schlechthin, es braucht darüber hinaus aber auch soziale wie emotionale Fähigkeiten.

Info: Was macht die Hanns-Seidel-Stiftung für den Verbraucherschutz?

Die Akademie für Politik und Zeitgeschehen lädt in regelmäßigen Abständen Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Recht, Verwaltung und Interessensgruppen zum Runden Tisch „Verbraucherfragen – Verbraucherpolitik“ ein. Ziel ist es, Trends zu erkennen, mögliche Konfliktpunkte, Lösungsansätze und Leitplanken zu sondieren und das Bewusstsein für verbraucherpolitische Aspekte zu stärken. Die Themen der letzten Runden beschäftigen sich zunächst allgemein mit der Aufgabe von Verbraucherpolitik, der Rolle von Verbraucherleitbildern und dem Wissen über das Verbraucherverhalten. In den anschließenden Runden stand die Digitalisierung im Fokus – etwa Fragen rund um autonomes Fahren und Assistenzsysteme und Smart Home. Zuletzt beschäftige sich die Expertenrunde mit den „digitale Verbraucherkompetenzen“.  Auf der Website sind Auszüge der der Diskussionen wiedergegeben.

Einkaufswägen ineinandergeschoben

Verbraucher müssen lernen, digitale Spielregeln zu beachten. Dafür ist ein "digitales Bauchgefühl" wichtig, außerdem lebenslanges Lernen, um im rasanten technologischen Wandel vorne mit dabei zu bleiben.

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Verbraucher in der digitalen Welt – auf was kommt es an?

Aus den Beiträgen, die die Experten des Runden Tisches zum Thema Verbraucherkompetenz in der digitalen Welt eingebracht haben, lassen sich abschließend noch folgende Punkte zusammenfassen:  

  • Coevolution Technisch-Soziales. Wir haben in Deutschland sowohl Innovationskraft wie auch eine stark ausgeprägte Werteorientierung, und das unterscheidet uns von anderen Kulturkreisen, die stärker technokratisch und auf Effizienz fokussiert sind. Dennoch sollten wir nicht vergessen, dass technische Innovationen genauso auch soziale Innovationen brauchen.
  • Lebenslanges Lernen. Digitale Bildung ist mehr als Technik und Wissen. Es umfasst auch emotionale Kompetenzen, Werteorientierung und Urteilsbildung. 
  • Chancenorientierung: Es wäre nicht zielführend, die Digitalisierung immer nur mit Blick auf mögliche Gefahren zu thematisieren. Zunächst sollte vielmehr der konkrete Nutzen dargestellt und dann auf die möglichen Konsequenzen verwiesen werden. 
  • Chancengerechtigkeit: Dennoch braucht es spezifische Hintergrundforschung und Angebote zur Stärkung der Kompetenzen jener, die eher schwach aufgestellt sind. Die Chancen der Digitalisierung sollten strukturelle Unterschiede nicht zementieren oder gar verschärfen.
  • Adaptionsvermögen: Die Menschen lernen, mit der digitalen Welt umzugehen, entwickelt auch neue Fähigkeiten. Die Gesellschaft wird auch von selbst kritischer. Sie entwickeln ein „digitales Bauchgefühl“: Man kann und muss nicht alles wissen, aber verstehen.

Schon gewusst?

Das Institut für Politische Bildung bietet vielfältige Seminare an, in denen sich Schüler, Eltern und Senioren zielgruppenspezifisch rüsten können. Im Themenkomplex Digitalisierung informieren die Veranstaltungen etwa über "Rechte und Pflichten im Internet", "Videospiele", "Soziale Netzwerke und Medienkompetenz für Eltern", "den digitalen Nachlass regeln". Stöbern Sie hier in unserem Veranstaltungskalender!

Umwelt und Energie, Städte, Ländlicher Raum
Silke Franke
Leiterin