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Sommerakademie 2016
Welche Zukunft für Europa?

Im August 2016 fand in Kloster Banz zum fünften Mal die Sommerakademie Internationale Politik für junge Menschen unter der Leitung des Altstipendiaten Dr. Johannes Urban statt. Die Sommerakademie stand angesichts der vielfältigen Krisen und Herausforderungen für die Europäische Union in diesem Jahr unter dem Motto „Welche Zukunft für Europa?“. Ziel war es, ein besseres Verständnis der aktuellen Entwicklungen zu gewinnen, und auf dieser Grundlage über eigene Vorschläge nachzudenken, wie die Zukunft der EU gesichert werden kann.

Die TeilnehmerInnen vor Kloster Banz

Die TeilnehmerInnen vor Kloster Banz

Zu Beginn des Seminars artikulierten die 28 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, worin sie die Stärken und Schwächen der EU sehen: Die Gewährleistung von Frieden und Sicherheit sowie der vier Grundfreiheiten, der kulturelle, wissenschaftliche und gesellschaftliche Austausch standen an oberster Stelle. Es wurden jedoch auch Defizite benannt: mangelnde Verlässlichkeit bei der Einhaltung selbst gegebener Regeln, ein schwindender Zusammenhalt zwischen den Mitgliedstaaten, die Langwierigkeit, Intransparenz und schwere Verständlichkeit von Entscheidungsprozessen, eine sinkende Handlungsfähigkeit.

Azad Hamoto und Johannes Urban

Azad Hamoto und Johannes Urban

Was die Ursachen dieser Entwicklungen sind, wurde im Grundlagen-Teil des Seminars anhand von Vorträgen, Film-Einspielern und Diskussionsrunden erarbeitet. Dr. Andreas Wilhelm, Politikwissenschaftler an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, informierte über die außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen für die Europäische Union. Europa sei von Krisenregionen umgeben, in denen der Zerfall staatlicher Ordnung sowie ethnische und religiöse Spannungen das Konfliktpotential sowie auch die Risiken für Europa immer weiter erhöhten. Ob der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, der Ordnungszerfall im Nahen Osten oder die brüchige Sicherheitslage in Afrika: Der Druck auf Europa wachse, es drohe ein „verlorenes Jahrzehnt“. Die Themen Sicherheit, Migration und Entwicklung seien eng miteinander verwoben. Hieraus folge die Notwendigkeit, sowohl innerhalb der EU, als auch mit den Anrainerstaaten noch enger zusammenzuarbeiten.

Was dies im Falle des Syrien-Kriegs und der folgenden Massenflucht nach Europa konkret bedeutet, wurde bei einer Begegnung mit Dr. Azad Hamoto deutlich – einem Altorientalisten aus Aleppo, der in Deutschland studierte und nach seiner Flucht vor dem Bürgerkrieg in seinem Heimatland über das Kriegsgeschehen, die Hintergründe und Auswirkungen berichtete. Dr. Hamoto sagte dabei klar, was aus seiner Sicht geschehen müsse, damit der Krieg zu einem Ende komme: Es dürfe keine Waffen, Gelder, Kämpfer, Pickup-Trucks oder sonstige logistische Unterstützung mehr von äußeren Mächten geben, da diese in Syrien jeweils eigene Interessen verfolgten.

Kommt es tatsächlich zum Brexit könnte das eine Kettenreaktion auslösen.

Kommt es tatsächlich zum Brexit könnte das eine Kettenreaktion auslösen.

Den Blick ins Innere, auf Institutionen und Entscheidungsprozesse der EU richtete Dominik Tomenendal von der Europäischen Akademie Bayern. Nach Vermittlung der Grundlagen diskutierten die Seminarteilnehmer in Arbeitsgruppen über verschiedene Reformideen. Soll die EU angesichts der aktuellen Krisen ihre Zusammenarbeit vertiefen? Wenn ja, in welchen Bereichen? Oder doch lieber „Weiterwursteln am Abgrund“, wie es in einer der diskutierten Thesen zugespitzt wurde? Die meisten Seminarteilnehmer waren sich einig: ein „Weiter so“ wäre pragmatisch, würde jedoch das Risiko des Scheiterns der EU erhöhen. Viele sprachen sich für „mehr Europa“ in der Außen- und Sicherheitspolitik aus, forderten jedoch umgekehrt, in anderen Bereichen die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und Regionen zu wahren.

Wo die Konfliktlinien zwischen den Mitgliedstaaten liegen, zeigte sich im Vertiefungsteil der Sommerakademie zuerst beim Thema Migration. In einem Planspiel schlüpften die Seminarteilnehmer in die Rolle der europäischen Innenminister und simulierten die Verhandlungen über eine verpflichtende Umverteilung von Flüchtlingen im Rat der Europäischen Union. Die Teilnehmer erfuhren dabei „hautnah“, warum es (bis heute) so schwierig ist, in dieser Frage zu einer Einigung zu gelangen – und dass die verschiedenen EU-Staaten jeweils durchaus nachvollziehbare Positionen einnehmen, die jedoch kaum miteinander in Einklang zu bringen sind.

Welch tiefen Graben die Frage der Zugehörigkeit zur EU in der britischen Gesellschaft entstehen ließ, und welche Optionen es für die künftige Beziehung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich nach dem „Brexit“ gibt, erarbeiteten die Teilnehmer in einem Workshop mit Dr. Johannes Urban. Gerade hier zeigte sich: beide Seiten drohen durch die Spaltung an Wohlstand, politischem Einfluss und Zukunftsperspektiven zu verlieren.

Dass dies auch für die Staaten der Eurozone gelten würde, war ein Kernpunkt der Analyse von Dr. Maximilian Federhofer, Vorstandsassistent bei der Allianz AG und Altstipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung. „Es ist keine Eurokrise, sondern eine Multikrise“, stellte er klar und zeigte auf, wie kritische Entwicklungen im Finanzsektor, Konstruktionsmängel im Stabilitätspakt, eine zu laxe Aufnahmepraxis in die Eurozone, die schlechte Vorbildwirkung Deutschlands im Umgang mit den Defizit-Kriterien und auch wirtschaftliche Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone in die Krise geführt hätten. Dennoch gebe es zur wirtschaftlichen Integration in der Eurozone keinen vernünftigen Gegenvorschlag. Dr. Federhofer lobte einige der seither zur Korrektur von „Anfangsfehlern“ im Euro verabschiedeten Reformen, z.B. bei der Europäischen Bankenaufsicht. Der Weg zu wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Prosperität führe jedoch nur über eine gute Mischung aus Haushaltsdisziplin und strukturellen Reformen, sowie auch über eine engere Zusammenarbeit der Staaten, die sich die gemeinsame Währung teilten.

Sicherheit, Migration, Brexit und der Euro – nach Vertiefung all dieser komplexen Themen war es an den jungen Teilnehmern der Sommerakademie, ihre Vorstellungen von einer besseren Zukunft für die EU zu skizzieren. In einem Anliegen waren sich alle einig: Die Bürgerinnen und Bürger müssten die EU anders erfahren als bisher. Es bedürfe besserer Voraussetzungen für das Entstehen einer europäischen Öffentlichkeit und eines europäischen Bewusstseins in den Mitgliedstaaten. Um dieses Ziel zu erreichen, schlugen die Teilnehmer u.a. die Schaffung eines EU-weiten öffentlichen Rundfunks vor, in dem ganz Europa betreffende Themen und Debatten anhand verschiedener Perspektiven aus den Mitgliedstaaten aufbereitet würden. Die Teilnehmer forderten zudem eine intensivere Öffentlichkeitsarbeit der EU-Institutionen und schlugen hierfür u.a. eine „Europa-App“ vor, mit der sich v.a. junge Menschen besser über die EU informieren könnten. Darüber hinaus sahen die Teilnehmer auch strukturellen Reformbedarf. Das Wahlrecht und die Arbeitsweise des Europäischen Parlament sollten so geändert werden, dass die Präsenz von und Identifikation mit den EU-Abgeordneten vor Ort gestärkt werde. Grundsätzlich solle zudem überlegt werden, ob sich die EU-Verträge so ändern lassen, dass Entscheidungsprozesse vereinfacht, vor allem aber besser nachvollziehbar würden. Eine Notwendigkeit zur Vertiefung sahen die Teilnehmer der Sommerakademie auch in der Abschlussdiskussion v.a. in einem Bereich: der Außen- und Sicherheitspolitik. Europa müsse angesichts all der Krisen und Herausforderungen lernen, stärker mit einer europäischen Stimme zu sprechen.

Leiterin Institut für Politische Bildung

Stefanie v. Winning