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Umstrittene Präsidentschaftswahlen in Venezuela
Wahlen ohne Wähler

Nicolás Maduro gewinnt die Wahlen in Venezuela mit über 2/3 der Stimmen. Eine Farce. Das Land verabschiedet sich von der Demokratie. Die Opposition wartet auf ihre Chance nach dem sich abzeichnenden Kollaps der Wirtschaft des Landes.

Venezuela steckt in der gravierendsten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Krise seiner Geschichte. Das Land hat sich während der seit 2013 andauernden Präsidentschaft von Nicolás Maduro, dem Nachfolger und politischen Ziehsohn der legendären Identifikationsfigur der lateinamerikanischen Linken, Hugo Chávez, von der Demokratie verabschiedet. Die Mehrheit der Bevölkerung und der Oppositionsparteien sehen kaum noch Möglichkeiten, auf institutionellem und verfassungsmäßigem Weg Veränderungen herbeizuführen, und boykottierten daher angesichts fehlender Garantien für freie, faire und transparente Wahlen den Urnengang.

Straßenbild mit vielen Wahlplakaten und Passanten

Opposition und Wahlbeobachter sprechen von maximal 33% Wahlbeteiligung. Das wäre ein Negativrekord. Die Wahlbehörde CNE geht von akzeptablen 46,07% aus.

HSS

Opposition chancenlos

Der Wahlsieg von Nicolás Maduro stand somit schon von vornherein fest. Rund sechs Millionen Stimmen der 20 Millionen Wahlberechtigten sollen nach offiziellen Angaben auf ihn entfallen sein. Es klingt wie Ironie: Maduro erzielte mit 67,84 Prozent der Stimmen das beste Wahlergebnis eines Staatspräsidenten aller Zeiten. Dennoch verlor er, selbst nach offiziellen Angaben, 1,2 Millionen Wählerstimmen gegenüber seiner erstmaligen Wahl im Jahr 2013 aufgrund der geringen Wahlbeteiligung. Gelegen kam ihm bei seinem Versuch, den Anschein eines demokratischen Wahlprozesses zu wahren, die Tatsache, dass sich drei Gegenkandidaten finden ließen, die dem erweiterten Oppositionslager zuzurechnen sind.

Auch angesichts des Boykotts gingen diese erwartungsgemäß unter. Henri Falcón (Partei Avanzada Progresista), ein ehemaliger Gouverneur, der ursprünglich dem Chávez-Lager angehörte und vor rund acht Jahren auf die Seite der Opposition gewechselt war, erreichte 20,93 Prozent der Stimmen. Er erklärte noch vor der Bekanntgabe des Wahlergebnisses, dass er die Wahl aufgrund von Unregelmäßigkeiten nicht anerkenne. Angesichts seiner Historie und seiner gemäßigten und auf Ausgleich zwischen beiden Seiten setzenden Position wurde er von großen Teilen der Opposition nie akzeptiert. Nun wurde er als Wolf im Schafspelz diskreditiert, der sich als Staffage für die Maduro Wahl-Farce verkauft habe.

Die der Regierung nahestehende Wahlbehörde CNE verkündete eine Wahlbeteiligung von unrealistischen 46,07 Prozent. Die Opposition und unabhängige Beobachter sprechen hingegen von maximal 33 Prozent – das wäre ein Negativrekord. Bei den drei vergangenen Präsidentschaftswahlen lag die Wahlbeteiligung durchschnittlich bei satten 79 Prozent. Maduro hatte, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen, in erstaunlicher Offenheit „schöne Geschenke“ für diejenigen angekündigt, die zur Wahl gehen. Doch auch dies vermochte kaum die Wahlbeteiligung in die Höhe zu treiben.  Politische Unterstützung gegen Geld- und Sachgeschenke war stets eine Grundkonstante des Linkspopulismus in Venezuela. Beides ist nun angesichts des wirtschaftlichen Fiaskos nur noch sehr begrenzt und punktuell möglich. Der Mangel ist allgegenwärtig und das daraus resultierende Leid hat auch die Solidarität vieler einstmals überzeugter Chavisten schwinden lassen.

Maduro sichert seinen Machtanspruch nunmehr durch das Anziehen der Daumenschrauben gegenüber der Opposition, eine Allianz mit den Streitkräften und das Verlassen des demokratisch-institutionellen Pfads.  Der charismatische Populismus von Chávez wurde schrittweise vom nicht-charismatischen, zunehmend autoritären Populismus Maduros abgelöst. Damit hat Maduro die internationale Staatengemeinschaft auf den Plan gerufen, die sein Regime immer stärker isoliert.

Wahllokal. Einige Wartende, andere verlassen nach Stimmabgabe die Örtlichkeit.

G7-Staaten erkennen das Wahlergebnis nicht an.

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Wahl wird international nicht anerkannt

Weite Teile der internationalen Staatengemeinschaft erkennen das Wahlergebnis nicht an, darunter die Europäische Union, die USA, Kanada und alle weiteren G7-Staaten, die Organisation Amerikanischer Staaten und die 14 lateinamerikanischen Staaten der sogenannten Lima-Gruppe, wobei letztere als erste Reaktion ihre Botschafter aus Caracas zurückbeordert haben.  Die Lima-Gruppe hat sich im Jahr 2017 im Zuge des Versuchs von Maduro, das von der Opposition dominierte Parlament aufzulösen, gegründet, um angesichts der permanenten und immer gravierenderen Angriffe auf die venezolanische Demokratie ein gemeinsames Vorgehen zu koordinieren – bislang ohne Erfolg. Andererseits halten nur noch wenige sozialistische Bruderstaaten, allen voran Kuba, Bolivien und Nicaragua sowie Russland, der Iran und Syrien der Regierung die Treue. China bleibt größter Gläubiger des Landes, hält sich aber gerade deshalb Gesprächskanäle auch mit der Opposition offen. Die USA und weitere Staaten kündigten neue Finanzsanktionen an. Die Regierung Maduro reagierte mit der Ausweisung der zwei ranghöchsten US-amerikanischen Diplomaten, worauf Washington mit einer ebensolchen Maßnahme antwortete.

Exodus der Bevölkerung

Unterdessen blutet eine Migrationswelle das Land aus, ohne dass die Regierung Anstrengungen unternimmt, den Exodus einzudämmen oder diesen auch nur verbal anzuerkennen: Kolumbianische Regierungsvertreter sprechen nur hinter vorgehaltener Hand von 1,8 Millionen Venezolanern, die allein im westlichen Nachbarland in jüngerer Zeit Zuflucht gefunden haben sollen. Der Massenexodus setzt sich angesichts der Notlage fort und die Migrationsfrage wird insbesondere in den Nachbarländern von Venezuela immer mehr zu einem innenpolitischen Thema von immenser Sprengkraft. Für die venezolanische Regierung hingegen ist der Abfluss von Humankapital augenscheinlich kein Problem. Das Wirtschaftsmodell benötigt schließlich kaum Fachkräfte, da man fast ausschließlich auf die Erdölproduktion setzt. Jeder Auswanderer bedeutet einen Konsumenten und „Esser“ weniger, den es zu versorgen gilt – außerdem handelt es sich bei den Auswanderern vornehmlich um Oppositionsanhänger.

Wahlplakat von Maduro, das hoch über einer Straße prangt. Aufschrift: Vamos Venezuela (Auf geht´s Venezuela)

Angesichts der übermächtigen Exekutive Maduros ist die Simmung im Land fatalistisch. Die Opposition ist zersplittert und massiv geschwächt.

HSS

Das Drehbuch für den „Wahlsieg“ und die Krise der Opposition

Maduro hatte mit der mit ihm im politischen Schulterschluss agierenden Wahlbehörde CNE vereinbart, die Wahlen, die üblicherweise erst im Dezember stattfinden, um sage und schreibe sieben Monate vorzuziehen. Der Amtsantritt wird planmäßig gar erst im Februar 2019 erfolgen. Damit nutzte er die Gunst der Stunde: Die gesellschaftliche Konjunktur ist von Verzweiflung, von einer Mischung aus Lethargie und Apathie der Bürger gegenüber der Politik und den Parteien geprägt.

Die Parteien und deren Amts- und Mandatsträger im Parlament und auf regionaler und lokaler Ebene sind angesichts der permanenten Sabotage durch die Exekutive und die gleichgeschalteten Staatsgewalten kaum in der Lage, einen konkreten Beitrag zur Verbesserung der Lage der Menschen in Venezuela zu leisten. Die Stimmungslage im Land ist fatalistisch, die Menschen sehen angesichts der Allmacht des Regierungslagers kein Licht am Ende des Tunnels.  Es herrscht erbitterter Streit zwischen den Parteien der Opposition, ob ein Wandel (nur) über Verhandlungen oder angesichts der Demokratieferne des Regierungslagers und der ständigen Verfassungsverletzungen (nur) über Proteste und zivilen Ungehorsam bis hin zu einem gewaltsamen Umsturz durch das Volk erreicht werden kann.

Der Konflikt spitzte sich jüngst derart zu, dass alle Oppositionspolitiker, die zu einer Wahlteilnahme aufriefen, aus dem oppositionellen Parteienbündnis MUD (Mesa de la Unidad Democrática) ausgeschlossen wurden. Die MUD ist infolgedessen zersplittert und massiv geschwächt. Zudem beschuldigt die überwiegende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger die größeren und in ihrem Widerstand „radikaleren“ Oppositionsparteien wie Primero Justicia und Voluntad Popular, nicht Wort gehalten zu haben. Diese kündigten nämlich Mitte 2017 an, über die Proteste der Straße die Regierung stürzen zu wollen, was aufgrund des Schulterschlusses der Streitkräfte mit dem Regime und der nicht zuletzt auch deshalb immer stärker werdenden Repression nicht erreicht wurde. Große Teile der Bevölkerung ziehen eine bittere Bilanz. Einerseits gibt es keine relevanten politischen Veränderungen, andererseits viele inhaftierte Demonstranten und mehr als 140 Tote, darunter überwiegend Studierende.

Doch es sind nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern auch die Oppositionsparteien zu „Geiseln“ des Regimes geworden. Den Regierungen Chávez und heute Maduro ist es stets gelungen, die Spielregeln selbst zu bestimmen. Alle Initiativen der Opposition wurden in der Vergangenheit unter Beugung des Rechts torpediert, darunter ein Abwahlreferendum gegen Maduro im Jahr 2016, welches angesichts der Stimmungslage in der Bevölkerung beste Erfolgsaussichten gehabt hätte, dessen Prozess jedoch erst verschleppt und später von gleichgeschalteten Regionalgerichten endgültig gestoppt wurde.  Das grundlegende Problem liegt in der Dimension der Ungleichheit: Die Opposition versucht auf der Grundlage demokratischer und rechtsstaatlicher Spielregeln einem Gegner Paroli zu bieten, der den Weg der Demokratie längst verlassen hat und nicht davor zurückscheut, sämtliche zur Verfügung stehenden staatlichen Institutionen, Instrumente und Ressourcen einzusetzen. Venezuela ist heute ein hybrides politisches System, in dem sich demokratische mit autoritär-diktatorischen Elementen vermischen.

Das im Dezember 2015 gewählte oppositionsdominierte Parlament ist kaltgestellt, kein dort verabschiedetes Gesetz tritt in Kraft. Anfang 2017 wurde schließlich unter Verletzung der verfassungsmäßigen Verfahren eine international nicht anerkannte Parallellegislative geschaffen, die vollständig aus Anhängern des Regierungslagers besteht – die Erfindung von Parallelstrukturen und -institutionen ist eine typische Reaktion der Bolivarischen Revolution auf ein nicht erwünschtes Abstimmungsverhalten der Bevölkerung. Oppositionspolitiker werden von der „Justiz“ verfolgt, sind verhaftet oder ins Ausland geflohen. Die Vorwürfe – Anklage wird oft erst nach einem oder gar mehreren Jahren erhoben – sind konstruiert bzw. halten keiner neutralen juristischen Überprüfung stand. Rund 300 Politiker, Demokratie- und Menschenrechtsaktivisten sowie Angehörige der Polizei und der Streitkräfte sind als politische Gefangene, viele seit Jahren ohne Anklageerhebung, in Gefängnissen des Militärs und Geheimdienstes SEBIN dauerhaft inhaftiert.

Straße mit übermäßig vielen Wahlplakaten. Auf dem zentralen das schneidige Gesicht Maduros und Hugo Chavez im Profil.

Es ist schon seit Langem nicht mehr die Bevölkerung, die die Bolivarische Revolution legitimiert, sondern die neuen Eliten.

HSS

Mafiöse Strukturen sichern den Machterhalt

Die bereits unter Staatspräsident Chávez angelaufene Militarisierung von Staat und Gesellschaft wurde von Maduro noch weiter intensiviert, um so die Dominanz nach innen und außen abzusichern. Die wichtigsten Minister stammen inzwischen aus dem Militär. Unzählige staatliche Unternehmen und Elemente der Infrastruktur, darunter insbesondere Verkehr und Logistik (Häfen und Flughäfen), Telekommunikation, Wasser und Strom sowie Bergbau und Rohstoffe, stehen unter der Leitung von Militärs oder gehören gar zum Militär.  

Die Regierung hat sich so die Loyalität der Militärspitze erkauft. Man sitzt in einem Boot und fürchtet gemeinsam nichts mehr als die (strafrechtliche) Verfolgung im Fall eines grundlegenden politischen Wandels. Es ist schon seit Langem nicht mehr die Bevölkerung, die die Bolivarische Revolution legitimiert, sondern es sind die neuen Eliten, die mit der „Revolution“ reich und mächtig geworden sind. Politiker und regierungsnahe Unternehmer sowie die Militärspitze leben vom Erdölgeschäft und dem spezifischen Politik- und Wirtschaftsmodell, welches übermäßige Rechnungsstellung bei Importen, Währungsmanipulationen, Geldwäsche, Korruption bei öffentlichen Aufträgen und den Diebstahl staatlicher Gelder in riesigem Ausmaß ermöglicht.

Hinzu kommen die Verwicklungen in den Drogenhandel, welche die USA veranlasst haben, eine Vielzahl von bedeutenden Politikern auf die Kingpin-Sanktionsliste des US-Finanzministeriums zu setzen, darunter an prominentester Stelle den amtierenden Vizepräsidenten Tarek El Aissami. Diosdado Cabello, ehemaliger Parlamentspräsident und heute zweiter Mann der sozialistischen Regierungspartei PSUV, gilt laut US-Regierung als Kopf des größten Drogenkartells des Landes, dem Cartel de los Soles, welches aus aktiven und ehemaligen führenden Militärangehörigen besteht. Auch frühere und derzeitige Kommandeure des Militärgeheimdienstes und der Nationalgarde werden als Teile dieses Netzwerks aufgeführt. Die Verbindungen reichen nachweislich bis ins engste familiäre Umfeld von Präsident Maduro.

Geschlossenes Tor mit Wachmann

Um seine Macht abzusichern, verlässt Maduro den Pfad der Demokratie. Gegen das korrupte Geflecht aus Regierung, Justiz und Militär ist die Opposition machtlos. Sie hofft auf ihre Chance nach dem zu erwartenden Kollaps der Wirtschaft, die bei einer Inflation von mindestens 13.000% absehbar sein dürfte.

HSS

Ausblick

Das offizielle Wahlergebnis bedeutet keine grundlegende Veränderung des Status quo. Es stärkt die radikaleren Flügel des Chavismus, die sich immer mehr von ihren Wurzeln und den Weggefährten und ideologischen Begleitern von Hugo Chávez distanzieren (diese hatten sich in jüngerer Zeit kritisch gegenüber Maduro positioniert und sehen das „Erbe“ von Chávez verraten) und dabei im Schulterschluss mit den Streitkräften agieren. Damit sind sie zu der entscheidenden Stütze des Regimes geworden. Zu erwarten bleibt, dass Maduro auf eine vorzeitige Neuwahl der Nationalversammlung, also des oppositionsdominierten und eigentlich bis 2021 gewählten Parlament, hinarbeiten wird – die gleichgeschalteten Staatsgewalten dürften ihm bei diesem Unterfangen keine Steine in den Weg legen.

Die Nichtanerkennung des Wahlergebnisses durch die derzeit zahnlose Opposition hat keine direkten Konsequenzen. In ihrer Wirkung bedeutender sind hingegen die Ablehnung des Wahlergebnisses durch die internationale Gemeinschaft und die sich auf dem Weg befindlichen neuen Sanktionen der USA, denen die EU und andere Staaten der Region vermutlich zeitnah mit ähnlichen verschärften Maßnahmen folgen werden. Die bereits bestehenden Sanktionen, die sich aus direkten Maßnahmen gegen die Führungseliten und Finanzsanktionen zur Erschwerung des Zugangs zum Kapitalmarkt zusammensetzen, werden nun nochmals verschärft und so insbesondere die Erdölindustrie ins Fadenkreuz nehmen, die bereits jetzt sehr stark unter den Auswirkungen der bestehenden US-amerikanischen Sanktionen zu leiden hat. Dabei schrecken die USA aus innenpolitischen Gründen noch immer davor zurück, ihr gesamtes Störpotenzial in die Waagschale zu werfen, denn jenseits beiderseitiger Krawallrhetorik bleiben die USA größter Erdölhandelspartner des Landes.

Doch schon jetzt ist klar: Der finanzielle Handlungsspielraum der Regierung Maduro wird weiter eingeschränkt. Die Inflation wird 2018 bei mindestens 13.000 Prozent liegen, manche Experten erwarten gar mehr als 100.000 Prozent. Die Wirtschaft schrumpft seit fünf Jahren und nun zum dritten Mal nacheinander im zweistelligen Prozentbereich. Selbst Bargeld ist knapp und wurde zu einem Spekulationsobjekt – ein Schein kostet derzeit das Dreifache seines Nominalwerts. Die Opposition wird die Zeit für sich arbeiten lassen und die wirtschaftliche Implosion des Landes abwarten. Spätestens dann werden sich neue Spielräume eröffnen und Themen wie ein Modell der Übergangsjustiz (Justicia Transicional) zur Einleitung und Begleitung einer Transition offen diskutiert werden müssen.