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Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Wahlen in Berlin – Lehren für die Zukunft

Autor: Dr. Gerhard Hirscher

Jetzt ist amtlich, was schon lange im Raum stand: Die Bundestagswahl 2021 war in Teilen Berlins ungültig und muss wiederholt werden. Wer profitiert, wer hat das Nachsehen und wird diesmal alles fehlerfrei ablaufen?

Das Wahljahr 2023 begann mit der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin am 12. Februar 2023. Diese Wahl war angesetzt worden, nachdem es bei den letzten Abgeordnetenhauswahlen am 26. September 2021 zeitgleich zur Bundestagswahl zu großen organisatorischen Problemen gekommen war. Der Berliner Verfassungsgerichtshof erklärte im Jahr darauf die Wahl zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksversammlungen für ungültig und ordnete ihre vollständige Wiederholung an.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte Eilanträge zur Aufschiebung dieser Wahl abgelehnt und in einem Urteil vom 19. Dezember 2023 nach sorgfältiger Prüfung entschieden, dass auch die Bundestagswahl wiederholt werden müsse – allerdings nicht in allen Teilen Berlins (wie unter anderem vom Landeswahlleiter und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gefordert), sondern in 455 von 2.256 Wahlbezirken. Dies sind zwar etwas mehr als ursprünglich beantragt, aber deswegen findet wahrscheinlich am 11. Februar 2024 eine Nachwahl zum Bundestag nur in diesen Teilen Berlins mit etwa einem Fünftel der Berliner Wahlberechtigten statt.

Der Berliner Fernsehturm von oben. Unten leuchten belebte Straßen.

Eine Absage an die schlampige Praxis: Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil klar gemacht, wie wichtig es ist, Wahlen korrekt durchzuführen.

21AERIALS; ©HSS; AdobeStock

Stimmen für 2021 in der Situation von 2024

Was bedeutet dies für die Politik insgesamt? Wichtig ist, dass das Bundesverfassungsgericht unterstreicht, wie wichtig die korrekte Durchführung von Wahlen ist. Wenn in großem Stile Wahlunterlagen fehlen oder fehlerhaft sind und wenn zahlreiche Bürger in der vorgesehenen Zeit keine Chance haben, ihre Stimme im Wahllokal abzugeben, dann sind das keine Bagatellen, sondern dann kann dadurch das Vertrauen in die Demokratie Schaden nehmen. Insofern ist es nur konsequent, dass das Bundesverfassungsgericht auch die Wiederholung der Bundestagswahl fordert. Diskutabel ist die Entscheidung, nicht in ganz Berlin die Wahl zu wiederholen:
Das Gericht hat sich die Mühe gemacht und hat jeden Wahlbezirk einzeln geprüft.

Wenn die Wahlwiederholung jetzt aber zum elektoralen Mikrozensus mutiert, stellt sich die Akzeptanzfrage. In jedem Fall findet dann die nachgeholte Bundestagswahl Anfang 2024 statt und die Entscheidung durch die dann Wahlberechtigten fällt rückwirkend für 2021, aber unter den Entscheidungsbedingungen von 2024. Die Parteien, die 2021 in der Gunst der Wähler standen und dies 2024 nicht mehr tun, haben einen Nachteil. Umgekehrt profitiert vor allem die Linke, da in den von ihr gewonnen Wahlkreisen nur in sehr wenigen Wahlbezirken neu gewählt werden muss. Bei einer Nachwahl in ganz Berlin hätte sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre beiden Direktmandate verloren und würde damit sofort aus dem Bundestag ausscheiden – inklusive der abtrünnigen Wagenknecht-Genossen. Jetzt bleiben wohl beide im Parlament und können ihre Ressourcen für die anstehenden Wahlen weiter nutzen. Hauptleidtragende sind die Ampel-Parteien und vor allem die Grünen, die bei der Wahl 2023 ihre Regierungsbeteiligung verloren haben. Ohne die Wahlwiederholung 2023 wäre wohl in Berlin immer noch ein rot-rot-grüner Senat im Amt. Das jetzige Urteil erspart immerhin der Linken und ihren potentiellen Abspaltungen weiteres Leid.

Verschwörungserzählungen die Grundlage nehmen

Für die demokratischen Parteien müssen die Vorgänge in Berlin bedeuten, dass Wahlen auf allen Ebenen mit größter Sorgfalt und hohem Einsatz durchgeführt werden müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil festgehalten, dass sowohl bei der Vorbereitung wie der Durchführung der Bundestagswahl in Berlin Wahlfehler vorgelegen haben. In Zeiten steigender Briefwähleranteile muss jede Wahl fristgenau und exakt durchgeführt werden. Aber die Berlin-Wahl hat gezeigt, dass auch bei rückläufigen Anteilen von Urnen-Wählern die Wahllokale nicht vernachlässigt werden dürfen. Schon jetzt schüren Verschwörungserzählungen und AfD-Anhänger Misstrauen gegen die korrekte Abwicklung der demokratischen Wahlen in Deutschland. Ein Wahltag wie in Berlin am 21. September 2021 darf sich in unserem Land nicht mehr wiederholen.

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Leitung: Dr. Gerhard Hirscher
Grundlagen der Demokratie, Parteienentwicklung, Wahlforschung
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