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HSS-Interview
Verstößt Prostitution gegen die Menschenwürde und hilft ein Sexkauf-Verbot?

Autor: Dr. Susanne Schmid

Frauen sind keine Ware! Jede Frau hat das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Gewalt macht dieses Recht zunichte und muss mit allen Mitteln bekämpft werden. Die bisherige Prostitutionsgesetzgebung hat ihr Ziel deutlich verfehlt. Sie sollte die Rechte und die soziale Absicherung von Prostituierten verbessern. Die große Mehrheit der Prostituierten übt ihre Arbeit jedoch nach wie vor weder selbstbestimmt noch freiwillig aus, sondern wird unter Androhung oder Ausübung von Gewalt dazu gezwungen.

Prof. Dr. Elke Mack ist seit 2003 Professorin für Christliche Sozialwissenschaft und Christliche Sozialethik an der Universität Erfurt. Sie ist seit 2020 Herausgeberin der Erfurter Theologische Schriften. Elke Mack ist seit 2016 Mitglied der Hanns-Seidel-Stiftung. Ehrenamtlich engagiert sie sich für verschiedene kirchliche und soziale Projekte.

Prof. Dr. Elke Mack ist seit 2003 Professorin für Christliche Sozialwissenschaft und Christliche Sozialethik an der Universität Erfurt. Sie ist seit 2020 Herausgeberin der Erfurter Theologische Schriften. Elke Mack ist seit 2016 Mitglied der Hanns-Seidel-Stiftung. Ehrenamtlich engagiert sie sich für verschiedene kirchliche und soziale Projekte.

HSS

Hilfsorganisationen und Experten schätzen, dass in Deutschland etwa 250.000 bis 400.000 Frauen in der Prostitution sind – größtenteils unter Zwang. 90% der Frauen haben Migrationshintergrund und kommen vor allem aus Rumänien, Bulgarien und anderen Balkanstaaten, aber auch aus Afrika und Asien. Die jährlichen Umsätze im Bereich der Prostitution liegen bei rund 15 Milliarden Euro. Dieser Profit geht vornehmlich an Bordellbetreiber, Schlepper und Schleuser.

Vor diesem Hintergrund haben die Hanns-Seidel-Stiftung, Renovabis und das Aktionsbündnis gegen Frauenhandel am 10. Mai eine gemeinsame Vollversammlung zum Themenkomplex Prostitution und Menschenwürde veranstaltet. Ziel war es, zusammen mit den Mitgliedern des Aktionsbündnisses folgende Schlüsselfragen zu diskutieren: Wo stehen wir im Kampf gegen Frauenhandel? Verstößt Prostitution gegen die Menschenwürde? Brächte ein Sexkaufverbot die Lösung? – Zum Spannungsfeld von Prostitution und Menschenwürde haben wir die Sozialethikerin Professor Dr. Elke Mack für Sie interviewt.

HSS: Warum nehmen Sie sich als Ethikerin die Prostitutionsgesetzgebung in Deutschland vor?

Prof. Mack: Es ist eine meiner primären Aufgaben als Ethikerin schweren Menschenrechtsverletzungen nachzugehen. Ich forsche deshalb seit Jahren am Thema Menschenrechtsverletzungen von Frauen – auch auf globaler Ebene. Allerdings habe ich bei diesen Forschungen erkannt, dass sogar wir in der westlichen Welt diverse Menschenrechtsverletzungen noch nicht beseitigt haben. Vor allem in Deutschland gibt es skandalöse Würdeverletzungen im Bereich der legalisierten Prostitution, die immer mehr weibliche Opfer von Menschenhandel produziert und mittlerweile das wirtschaftliche Interesse der Internationalen Organisierten Kriminalität geweckt hat. Diesen Fehler in der Deutschen Gesetzgebung kann eine Ethikerin nicht tatenlos hinnehmen, sonst hat sie keinen Realitätsbezug und kein Herz.

Sie haben gerade mit zwei Kollegen eine Forschungsarbeit mit dem Titel „Sexkauf – eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung“ veröffentlicht. Was haben Sie herausgefunden?

Das grundlegende Ergebnis ist: Die derzeitige Prostitutionsgesetzgebung muss als verfassungswidrig eingestuft werden. Denn der Staat kann im Bereich des legalisierten Sexkaufs die Menschenwürde der Betroffenen durch gesetzliche Rahmenbedingungen nicht garantieren. Wir haben in unserer Forschungsarbeit empirisch belegt: Menschen in der Prostitution, fast immer sind es Frauen, müssen tagtäglich schwere Körperverletzung durch gewalttätige Freier und Zuhälter erdulden. Sie leiden deshalb unter psychischen Traumatisierungen wie wir sie sonst nur von Folteropfern und Kriegsveteranen kennen. Aus Gesprächen mit Ärztinnen und Ärzten wissen wir, dass die chronischen Krankheiten und Unterleibsverletzungen von Frauen in der Prostitution so eklatant sind, dass dieser Job als grundsätzlich gesundheitsschädigend und lebensverkürzend gelten muss.

Was muss geschehen?

Der Gesetzgeber muss handeln, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind jetzt gefordert. Und sie müssen schnell handeln, denn jeden Tag gibt es neue Opfer. Wir raten darum dringend, nicht bis zum Ende der laufenden Evaluierung der Gesetze im Sommer 2025 zu warten. Die Belege sind eindeutig und die Beweislage ist erdrückend. Ein denkbarer Weg ist eine Normenkontrollklage – 184 Abgeordnete können damit das Bundesverfassungsgericht anrufen und eine Überprüfung der bestehenden Gesetze einleiten.

Der Gesetzgeber hat bereits zweimal versucht, die Bedingungen für die Menschen in der Prostitution zu verbessern, mit dem Prostitutionsgesetz von 2002 und dem Prostituiertenschutzgesetz von 2016. Hat das gar nichts gebracht?

In Deutschland wächst die seit 2002 legalisierte Branche des Prostitutionsgewerbes kräftig. Deutschland ist zum Bordell Europas geworden. Es geht um Menschenhandel in Verbindung mit Organisierter Kriminalität, die die Beschaffung der Frauen aus dem Ausland regelt. Die Beweislage ist so niederschmetternd, dass wir die derzeitige Gesetzgebung zur Prostitution für verfassungswidrig erachten. In den beiden Gesetzen geht es nur um sekundäre Regularien. Die eigentliche Tatsache, dass Frauen durch einseitigen Sex und prostitutive sexuelle Akte zum Objekt gemacht werden, wird von Seiten des deutschen Gesetzgebers gar nicht in den Blick genommen. Es hat mich als Fan unserer Demokratie schon erschüttert, dass in Deutschland verweilende Ausländerinnen, die deutschen Männern sexuell dienstbar sein müssen, einfach durch den Rost des Rechtsstaates fallen, und dass sich Gesetzesvertreter, Rechtswissenschaftler oder deutsche Gerichte in ihrer Mehrheit nicht wirklich für deren Schicksal interessieren. Ich hoffe sehr, dass zumindest ein Verfassungsorgan und dann auch das Bundesverfassungsgericht dies in Kürze aufgreifen, denn es ist Gefahr in Verzug. Es darf in Deutschland keinen rechtsfreien Raum geben, in dem Menschen existentiell ihrer Würde beraubt werden. Da wird der deutsche Rechtsstaat mehr als unglaubwürdig, wenn jährlich hunderttausende Frauen durch seine Gesetze einen existentiellen Schaden nehmen.

Das „Nordische Modell“ bekämpft Prostitution und Menschenhandel, indem Sexkäufer bestraft werden und dadurch die Nachfrage sinkt. Die Regelung wurde in Schweden, Norwegen, Island, Kanada, Nordirland, Frankreich und in der Republik Irland umgesetzt, das EU-Parlament empfiehlt seinen Mitgliedsstaaten die Einführung. Wie stehen Sie zum Sexkaufverbot nach dem Nordischen Modell? Ist das ein Weg für Deutschland?

Natürlich! Deutschland nimmt mit der legalisierten Prostitutionsgesetzgebung eine Außenseiterposition ein, die von anderen Staaten kritisiert wird. Die USA und die EU sehen einen klaren Zusammenhang zwischen der legalisierten Prostitution in Deutschland und der Zunahme von Menschenhandel. Bei einem Sexkaufverbot nach Nordischen Modell würden diejenigen bestraft, die sich einseitigen Sex kaufen und andere Menschen zu ihren Zwecken sexuell ausbeuten. Die Menschen in der Prostitution, die zu 95 Prozent Frauen sind, erhalten soziale Hilfe, Ausstiegsangebote und werden nicht stigmatisiert. Wir, als moderne kosmopolitische Menschen, müssen einfach bei aller Diversität und Offenheit unterscheiden: Wo ist Sex befreiend, glückbringend und wechselseitig bereichernd? Dort ist er eine Frage der Moral. Und wo verletzt Sex Menschen, demütigt und erniedrigt sie? Niemand will ohne Rücksicht auf seine und ihre Lust, den ganzen Tag benutzt, sexuell penetriert oder gewaltsam instrumentalisiert werden. An dieser Stelle sind das Strafrecht und der Rechtsstaat gefordert, dies zu verhindern. Deshalb ist Vergewaltigung strafbar und sexuelle Gewalt mehr als verwerflich. Das deutsche Sexualstrafrecht muss hier wesentlich präzisiert und weiterentwickelt werden. Die Prostitutionsgesetze müssen einer Totalrevision unterzogen werden.

Sie sprachen gerade den Menschenhandel an, im Bereich der Prostitution ist es überwiegend Frauenhandel …

Wir werden den Frauenhandel erst verhindern, wenn wir neben einem Sexkaufverbot auch einen fundamentalen Bewusstseinswandel bei Männern – ähnlich wie in Skandinavien - herbeiführen. Es müsste jedem zivilisierten Mann klar sein, dass man sich keine Frau kauft.

Frau Professor Mack, vielen Dank für das Gespräch!

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Leiterin: Dr. Susanne Schmid
Gesellschaftliche Entwicklung, Migration, Integration
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