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Geostrategische Schwerpunkte der russischen Außenpolitik
Teil II: Die Beziehungen Russlands zur Europäischen Union

Russland ist wieder ein Faktor der internationalen Politik. Oft ist aber nicht deutlich, welche Ziele man im Kreml verfolgt. Das erklärt hier unser Russland-Experte Jan Dresel Punkt für Punkt: von der Ukraine bis zum Verhältnis zur NATO und zu China.

Russland hat seit dem vermeintlichen „Ende der Geschichte“ nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder globale politische Relevanz gewonnen. In Moskau leitet Jan Dresel seit 2016 das Auslandsbüro der Hanns-Seidel-Stiftung. Er sieht fünf Themen im Zentrum der aktuellen russischen Außenpolitik: Der Krieg in der Ostukraine auf der einen und das Verhältnis zur EU und der NATO auf der anderen Seite, die russische Rolle in Syrien sowie die Beziehungen zu China. In einem Vortrag vor Experten für internationale Politik und Medienvertretern in München erklärte er, wie diese fünf Themen zusammenhängen. Wir präsentieren Ihnen hier den kompletten Vortrag.

Trotz Sanktionen: 42% des russischen Außenhandels und fast drei Viertel der Direktinvestitionen im Land entfallen auf die EU.

Cartarium; iStock.com

Die Beziehungen Russlands zur Europäischen Union

Zweifellos haben sich die Beziehungen der Europäischen Union zu Russland zuletzt weiter verschlechtert. Wie die Bundesregierung erkennt auch die EU die völkerrechtswidrige Annexion der Krim nicht an und lehnt Kontakte auf offizieller Ebene mit Institutionen und de-facto-Behörden der Krim ab. Die Beziehungen zwischen EU und Russland werden zusätzlich durch das Verhalten Russlands in einer Reihe von Fällen belastet. Beispielhaft möchte ich das russische Vorgehen im Syrien-Konflikt, die Stationierung nuklearfähiger Kurzstreckenraketen im Gebiet Kaliningrad, Cyber-Attacken, das russische Verhalten im Fall Skripal und den Zwischenfall in der Straße von Kertsch am 25. November 2018 nennen.

Wegen der Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine, die ich bereits angesprochen habe, verabschiedete der Europäische Rat am 6. März 2014 eine dreigestufte Strategie restriktiver Maßnahmen, die häufig auch als Sanktionen bezeichnet werden. Das derzeitige Sanktionsregime und auch die russischen Gegensanktionen dürften in ihren Grundzügen bekannt sein, weshalb ich hier nicht explizit darauf eingehen möchte.

Jan Dresel leitet seit Ende 2016 das Auslandsbüro Moskau der Hanns-Seidel-Stiftung. Davor war er 13 Jahre Jahre lang für privatwirtschaftliche Unternehmen insbesondere auf den europäischen Märkten und in Russland tätig. Neben anderen Führungsaufgaben in Vertrieb und Marketing war er dafür verantwortlich, weltweite Netze von Handelsvertretern und Distributoren aufzubauen und Vertragsverhandlungen mit Kunden und Lieferanten erfolgreich abzuschließen. Nach zehn Jahren in Italien traf er 2014 die Entscheidung, seine umfassende internationale Erfahrung in Moskau zu nutzen, wo er von Anfang 2015 bis Ende 2016 das German Desk einer russischen Wirtschaftskanzlei leitete. Als Vertreter der Hanns-Seidel-Stiftung in der Russischen Föderation setzt er heute alles daran, einer weiteren Entfremdung zwischen Deutschland und Russland entgegenzuwirken und trotz der schwierigen politischen Lage hochrangige Politiker, Wissenschaftler und Nachwuchskräfte aus beiden Ländern miteinander ins Gespräch zu bringen.

Vor dem Hintergrund der genannten restriktiven Maßnahmen und aufgrund der derzeitigen Schwäche der russischen Wirtschaft sind die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland Belastungen ausgesetzt. Dessen ungeachtet kommen etwa drei Viertel der ausländischen Direktinvestitionen in Russland aus der Europäischen Union. Die EU ist nach wie vor der größte Handelspartner Russlands mit gut 42% des russischen Gesamthandelsumfangs, während Russland umgekehrt der viertgrößte Handelspartner der Europäischen Union ist und etwa 30% der Energieversorgung der EU mit Gas, Öl und Kohle abdeckt.

Apropos Gas: Mit dem Projekt Nord Stream 2, an dem auch europäische Unternehmen beteiligt sind, will das mehrheitlich (50%+1) in der Hand des russischen Staates befindliche Erdgasförderunternehmen Gazprom die bisherige Kapazität der Ostseepipeline verdoppeln. Speziell die Ukraine, Polen, die baltischen Staaten und die USA sehen Nord Stream 2 kritisch, und zwar aus geopolitischen Gründen (Abhängigkeit von Russland) und wirtschaftlichen Gründen (Energiedominanz, Export von US-Flüssiggas nach Europa). Ein Gesetzgebungsvorschlag, der inzwischen mit großer Mehrheit vom Repräsentantenhaus angenommen wurde, zielt direkt auf die Verlegeschiffe für Nord Stream 2 ab. Dieses „Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit“ wird von Experten als ernsthafte Gefahr für die Durchführung des Projekts Nord Stream 2 angesehen, da es Sanktionen gegen die Betreiberfirmen der hoch spezialisierten Schiffe vorsieht, darunter Einreiseverbote für Manager und Hauptaktionäre mit Kontrollmehrheit.

Die Verlegearbeiten für den Bau der Pipeline sind derweil weitgehend abgeschlossen. Die Bundesregierung sieht Nord Stream 2 als kommerzielles Vorhaben der beteiligten Unternehmen an, das in Einklang mit geltendem Recht durchzuführen sei. Gleichzeitig erkennt sie die politischen Bedenken einiger osteuropäischer Länder und der USA an. Sie setzt sich neben Nord Stream 2 nachdrücklich für eine Fortsetzung des Erdgastransits durch die Ukraine über 2019 hinaus ein und unterstützt aktiv die entsprechenden Vermittlungsbemühungen der EU-Kommission.

Bei aller Bedeutung der politischen und wirtschaftlichen Aspekte der Beziehungen der EU zu Russland spielt aber auch die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle. Da zivilgesellschaftliches Engagement in Russland zunehmend eingeschränkt wird, hat die Europäische Union ihre Förderung insbesondere in den Bereichen Menschenrechtsschutz, Regierungsführung und soziale Entwicklung deutlich erhöht. Während von 2007 bis 2013 noch 18,8 Mio. Euro dafür zur Verfügung standen, werden dafür von 2014 bis 2020 insgesamt 28 Mio. Euro ausgegeben.

Welche Optionen sollte die Europäische Union nun wählen, um ihre Beziehungen zu Russland optimal zu gestalten? Alternativlos sind hier aus meiner Sicht nach wie vor die fünf nicht formalisierten Mogherini-Prinzipien:

  1. Bestehen auf der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen;
  2. Stärkung der Östlichen Partnerschaft und ihrer Partner;
  3. Stärkung der inneren Widerstandskraft der Europäischen Union, insbesondere mit Blick auf Energieversorgungssicherheit, hybride Bedrohungen und strategische Kommunikation
  4. Selektive Zusammenarbeit mit Russland unter anderem in außenpolitischen Angelegenheiten (insbesondere in der Ukraine-Frage, aber auch bezüglich Syrien und Nichtverbreitung)
  5. Stärkung der russischen Zivilgesellschaft, „people to people“-Kontakte.

Aus meiner Sicht ist es unerlässlich, dass die Europäische Union gegenüber Russland weiterhin geschlossen auftritt. Dabei sollte sie einen zweigleisigen Ansatz aus Prinzipientreue und Dialogangeboten zu Themen gemeinsamen Interesses verfolgen. Der Schlüssel für eine signifikante Verbesserung der Beziehungen zwischen der EU und Russland ist und bleibt die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen.

Dies bringt uns zum nächsten Punkt, nämlich zum Verhältnis Russlands zur NATO.

In Kürze setzen wir die Reihe an dieser Stelle fort.

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Jan Dresel
Projektleiter
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