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Interview mit Dr. Charlotte Knobloch
Tag der jüdischen Kultur

Autor: Andreas von Delhaes-Guenther

Zum Tag der jüdischen Kultur, am Sonntag, 03.September 2023, haben wir mit Dr. Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, über jüdisches Leben, Geschichte und Bildung, sowie Herausforderungen der Gegenwart gesprochen.

A.d.Red.: Dieses Interview wurde am Freitag, den 25. August 2023, geführt.

"Mir ist es wichtig, dass Judentum als etwas Normales wahrgenommen wird, das außerhalb von Lehrbüchern – und besonders Geschichtsbüchern – existiert." (Dr. h.c. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, K.d.Ö.R.)

"Mir ist es wichtig, dass Judentum als etwas Normales wahrgenommen wird, das außerhalb von Lehrbüchern – und besonders Geschichtsbüchern – existiert." (Dr. h.c. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, K.d.Ö.R.)

Daniel Schvarcz; d-s-photo.com

Charlotte Knobloch ist seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKGM), Beauftragte für das Holocaust-Gedenken des Jüdischen Weltkongresses und ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Geboren 1932 in München als Tochter des Münchner Rechtsanwalts Fritz Neuland überlebte sie den Holocaust in einem Versteck auf dem Land. 1945 kehrte sie nach München zurück, heiratete und bekam drei Kinder (sowie sieben Enkel).

Die Liste der Ehrungen und Auszeichnungen der Münchener Ehrenbürgerin ist zu lang, um sie hier alle zu nennen – zu ihnen gehören der Bayerische Verdienstorden und das Große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, die höchste zivile Auszeichnung Deutschlands.

Ab 2003 wurde in München das neue Jüdische Zentrum mit Gemeindezentrum und der neuen Münchener Hauptsynagoge „Ohel Jakob“ für die auf rund 9500 Mitglieder angewachsene Gemeinde der Stadt errichtet. Die alte Hauptsynagoge am Stachus wurde vor 85 Jahren, am 9. Juni 1938, abgerissen. Also noch vor der Reichspogromnacht, in der die kleinere alte Ohel-Jakob-Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße zerstört wurde.

Das Kulturzentrum der IKGM besteht schon länger und feierte heuer im Juni sein 40-jähriges Bestehen. Es hat mit dafür gesorgt, dass die jüdische Kultur wieder ins Herz der Stadt zurückkehrte. Der Europäische Tag der jüdischen Kultur wird seit 1999 an einem Sonntag Anfang September in rund 30 europäischen Ländern von jüdischen und nichtjüdischen Organisationen gemeinsam veranstaltet.

Neues jüdisches Zentrum am St-Jakobs-Platz mit der Ohel Jakob-Synagoge München.

Neues jüdisches Zentrum am St-Jakobs-Platz mit der Ohel Jakob-Synagoge München.

Andreas Gregor; ikgm

Jedes Jahr finden in 100 Gemeinden in Deutschland knapp 300 jüdische Kulturveranstaltungen im Rahmen des Kulturprogramms des Zentralrats der Juden statt. Wie gut wird das Programm hier in Bayern angenommen, was wird angeboten und was wollen Sie damit erreichen?

CHARLOTTE KNOBLOCH: Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern bietet über ihr Kulturzentrum unter der fachkundigen Leitung von Ellen Presser regelmäßig eigene kulturelle Veranstaltungen in München an, die sowohl innerhalb als auch außerhalb der jüdischen Gemeinschaft sehr gut angenommen werden. Dieser Outreach-Aspekt ist für uns von großer Bedeutung, um mit jüdischen Themen nicht nur aus dem Bereich der Kultur in die Gesellschaft hineinzuwirken.

Welche kulturellen jüdischen Veranstaltungen und Projekte finden außerhalb dieses Programms im Freistaat noch statt?

Es gibt etwa in München noch verschiedene Kulturveranstaltungen mit jüdischer Ausrichtung, die nicht direkt an eine jüdische Gemeinde angebunden sind. Nur beispielhaft erwähne ich die jährlichen Jüdischen Kulturtage, die unter Leitung von Frau Judith Epstein heuer zum 37. Mal stattfinden werden. Solche Initiativen sind für die Breitenwirkung überaus wichtig und wertvoll.

Besucher erreichen die Synagoge über den 32 Meter langen unterirdischen „Gang der Erinnerung“, der die Synagoge mit dem Gemeindezentrum verbindet. Die künstlerische Installation des Künstlers Georg Soanca-Pollak bildet auf hinterleuchteten Glasplatten die Namen von über 4.500 Münchner Juden ab, die während der NS-Zeit deportiert und ermordet wurden.

Besucher erreichen die Synagoge über den 32 Meter langen unterirdischen „Gang der Erinnerung“, der die Synagoge mit dem Gemeindezentrum verbindet. Die künstlerische Installation des Künstlers Georg Soanca-Pollak bildet auf hinterleuchteten Glasplatten die Namen von über 4.500 Münchner Juden ab, die während der NS-Zeit deportiert und ermordet wurden.

Andreas Gregor; ikgm

Gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz wollen Sie die Vermittlung jüdischer Geschichte, Religion und Kultur in den Schulen stärken, fordern auch verpflichtende Besuche in KZ-Gedenkstätten für Schüler. Können Sie das näher erläutern?

Mir ist es wichtig, dass Judentum als etwas Normales wahrgenommen wird, das außerhalb von Lehrbüchern – und besonders Geschichtsbüchern – existiert. Das ist die eine Seite der Medaille, die andere ist das Wissen um historische Verantwortung. Dazu können auch Besuche in Gedenkstätten beitragen, die für mich aber zwingend an eine sehr gründliche Vorbereitung durch die Lehrer geknüpft sind. Ohne genügend Kontext werden die Orte allein bei den Schülern noch nicht genug bewirken.

Nicht selten macht sich Antisemitismus im deutschen Kulturbetrieb breit, oft getarnt als Israelkritik - zuletzt gesehen bei der Ausstellung documenta. Der Zentralrat hatte im Vorfeld vergeblich die Zuständigen gewarnt und beklagt: „Das Schweigen der Verantwortlichen in der Kulturpolitik hierzu ist dröhnend.“ Glauben Sie, dass man Ihnen in Kultur und Politik künftig mehr Gehör schenken wird?

Das einzig Positive am documenta-Fiasko von 2022 war, dass die Malaise der gesamten Öffentlichkeit unübersehbar vorgeführt wurde. Niemand kann sich heute mehr darauf berufen, dass er von dem Problem nichts gehört hat. Ich erlebe in diesem Sinne auch ein größeres Problembewusstsein, aber die großen inhaltlichen Einschnitte erkenne ich bislang zumindest noch nicht.

Ausdrucksstarke Architektur: Die Ohel Jakob Synagoge in München.

Ausdrucksstarke Architektur: Die Ohel Jakob Synagoge in München.

Andreas Gregor; ikgm

Bei der Jewrovison zeigten jüdische Jugendliche sehr deutlich ihren Unmut darüber, dass das von der Politik versprochene „Nie wieder“ eben leider nicht „Nie wieder“ heißt. Wie sicher können Juden in Bayern noch leben?

Bei allen Herausforderungen: Es ist klar, dass Bayern und gerade München immer noch ein gutes und vor allem sicheres Pflaster für jüdische Menschen ist. Darauf weise ich auch immer wieder hin. Leider zeigen die Trendlinien der Probleme überwiegend in die falsche Richtung, auch wenn die jüdische Gemeinschaft in München heute gut lebt. Meine Sorge gilt eher der Zukunft und der nächsten Generation. Für die jungen Leute ist weniger das Heute entscheidend als die Situation in zehn, 15 oder 20 Jahren, und da weiß ich nicht, was man zu erwarten hat.

Die Gewalt gegen Juden in Deutschland durch Rechtsextreme und Muslime nimmt zu, im Jahr 2022 von 63 auf 88 Delikte. Hinzu kommen Beleidigungen und andere Straftaten, die allerdings um 12,5 Prozent zurückgegangen sind. In Hamburg soll aber eine Dunkelfeldstudie Klärung bringen, inwieweit antisemitische Taten gar nicht erst angezeigt werden. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat zudem vor einigen Wochen eine Studie veröffentlicht, wonach Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland stärker verbreitet ist, als im Rest der Bevölkerung. Haben wir hier zu lange ein Problem ignoriert?

Ja, aber dieses Problem ist leider in guter Gesellschaft. Judenhass bricht sich seit Jahren in allen gesellschaftlichen Bereichen verstärkt Bahn, und Gegenmaßnahmen wurden, wenn überhaupt, dann oft erst mit großer Verzögerung ergriffen. Rechtsextremismus und Islamismus sind zwei große Bedrohungen für die offene Gesellschaft und nicht ohne Grund zugleich die ergiebigsten Quellen des Antisemitismus. An beiden Fronten hat man das Problem zu groß werden lassen, etwa durch zu viel Laissez-faire im Umgang mit den Sozialen Medien. Meine Hoffnung ist, dass die Maßnahmen der vergangenen Jahre nun greifen.

Erleben Sie nach der Aufnahme Hunderttausender Syrer, Iraker und Iraner in Deutschland seit 2015 einen zunehmenden Antisemitismus aus der muslimischen Ecke? Immerhin wird nicht nur in Schulbüchern dieser Länder gegen Israel und gegen Juden gehetzt.

In der Tat sind sehr viele Menschen nach Deutschland gekommen, denen durch Bildung und Elternhaus oft stramm antijüdische Weltbilder vermittelt wurden. Dass so etwas das Sicherheitsgefühl der jüdischen Gemeinschaft nicht unbedingt steigert, liegt auf der Hand, allerdings kann man den Anstieg des Judenhasses nach meinen Erfahrungen nicht pauschal mit diesen Neuankömmlingen in Verbindung bringen. Der erste große Skandal rund um antisemitische Demonstrationen ereignete sich etwa schon 2014, und für rechtsextremen Antisemitismus brauchte es gar keine Einwanderung. Dazu kommt, dass es in der jüdischen Gemeinschaft aus historischen Gründen großes Verständnis für Menschen gibt, die vor Krieg und Verfolgung fliehen müssen.

All das ist aber kein Freibrief für Antisemitismus. Die Politik in Bund und Ländern sollte im Gegenteil noch viel konsequenter deutlich machen, dass die Ablehnung von Judenhass zur gesellschaftlichen und politischen DNA dieses Landes gehört, im Interesse der jüdischen Gemeinschaft und unserer ganzen Gesellschaft. Wer diesen Grundwert verstanden und verinnerlicht hat, der ist willkommen. Wer nicht, der wird hier keine Zukunft haben.

Dieses Jahr jährt sich die Reichspogromnacht von 1938 zum 85. Mal. Wie sehr beunruhigt sie der Aufstieg rechtsradikaler Parteien in Europa und Deutschland?

Die Wahlerfolge dieser Parteien beklagen wir seit Jahren. Noch schockierender als die extremistischen Politiker sind für mich aber die Wähler, die deren Ausfälle nicht abstrafen, sondern belohnen. Die Demokratie wird zuvorderst an der Wahlurne verteidigt, und an dieser Front stehen wir derzeit erkennbar nicht gut da. Das macht mir die größten Sorgen.

In der Ohel Jakob Synagoge

In der Ohel Jakob Synagoge

Andreas Gregor; ikgm

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