Um es vorweg zu nehmen: Die „Populisten“ konnten bei den letzten Wahlen in den Niederlanden (Geerd Wilders), Frankreich (Marine Le Pen) und Österreich (Norbert Hofer) zum Glück zwar nicht reüssieren. Dennoch sind sie noch lange nicht „in die Geschichtsbücher zu verbannen“ (HSS-Akademieleiter Reinhard Meier-Walser).
Im Europäischen Parlament nehmen die populistischen Parteien nicht an Fach-Ausschüssen teil. Für Ferber ein Zeichen mangelnden politischen Willens. "Es geht ihnen um Fundamental-Opposition".
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Denn „Populismus“ vollziehe sich in Wellen, feiere Siege und erlebe Niederlagen in unterschiedlichen zeitlichen Abständen, wie Isabell Hofmann von der Bertelsmann-Stiftung ausführte. Sie warnte davor, sich in der Debatte über „Populismus“ und entsprechende Gegenmaßnahmen zurückzulehnen.
Für den führenden Extremismusforscher Eckhard Jesse ist Populismus ein „schwammiger Begriff“ und damit ein Stilmittel, weniger eine Ideologie. Insbesondere, weil dem Begriff eine klare Definition mit Trennschärfe fehle. In die gleiche Kerbe hieb auch MdEP Markus Ferber: „Nicht alles, was populär ist, ist auch populistisch.“ Eine klare Definition konnte so auch die Expertenrunde im Gegensatz zur Definition des Extremismus nicht vornehmen. Einig war man sich darin, dass sich die Gefahr, „populistischen“ Tendenzen aufzusitzen, nicht nur auf gewisse Gesellschaftsgruppen beschränkt, sondern für alle gesellschaftlichen Schichten besteht.
Thomas Winkler, Leiter des Europäischen Informationsbüros in München. Ist das bürgerliche Engagement auf dem Rückzug?
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Als Ursache für „Populismus“ wurde eine Schwäche der etablierten Kräfte ausgemacht, weniger das eigene Angebot „populistischer“ Parteien. Die Angst der Menschen vor Veränderung, vor Ungewissheit ist eine starke Motivation, bei komplexen Themen denen zu folgen, die vermeintlich einfache Lösungswege anbieten. Außerdem machte Andreas Kalina von der Akademie für politische Bildung in Tutzing eine Krise der Demokratie aus: Die repräsentative Demokratie als politisches System entferne sich zunehmend von der Demokratie als Lebensgefühl. Will heißen, dass es immer schwieriger wird, die zunehmende Distanz zwischen Regierenden und Regierten zu überbrücken und zu regeln. Diese Distanz wird auch immer weniger von Medien und politischem Bewusstsein „gemanagt“.
Tobias Winkler, Leiter des Europäischen Informationsbüros in München, machte zudem einen erheblichen Rückgang des bürgerlichen Engagements im sog. vorpolitischen Raum aus, also bei Vereinen, bürgerlichen Initiativen, Aktionsbündnissen, Verbänden oder Gewerkschaften. Dies könne nur durch eine verstärkte politische Bildung aufgefangen werden war sein Lösungsvorschlag.
"Populisten propagieren eine rückwärts-gewandte Utopie" (Markus Ferber, MEP)
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Markus Ferber vermittelte populistische Mechanismen und Muster anhand der Beispiele Front National, Partij voor de Vrijheid und MoVimento 5 Stelle: „Populisten“ berufen sich auf einen vermeintlichen Mehrheitswillen in der Bevölkerung, Entscheidungen dürfen nur auf Basis des „gesunden Menschenverstands“ erfolgen, nicht aufgrund von Expertenwissen. „Populisten“ geben einfache Antworten auf komplexe Fragestellungen. „Populisten“ werfen Bürokratie und Eliten „Abgehobenheit und Arroganz“ vor. „Populisten“ stellen das System der repräsentativen Demokratie als ganzes in Abrede. „Populisten“ schreiben sich selbst eine „Erlöserfunktion“ zu. „Populisten“ brandmarken gewisse Gruppen als „Sündenböcke“. Schließlich propagieren „Populisten“ eine „rückwärtsgewandte Utopie“, nach dem Motto: „Früher war alles besser“. Ferber berichtete aus dem Europäischen Parlament: Dort verlieren die Zusammenschlüsse der „populistischen“ Parteien regelmäßig bei den Abstimmungen, nehmen an den Plenarsitzungen teil, beteiligten sich jedoch nicht am politischen Prozess in den wichtigeren Fach-Ausschüssen. Ferber erkennt darin den fehlenden Willen zum politischen Gestalten, vielmehr geht es Ihnen um Fundamental-Opposition.
Für Eckard Jesse ist Populismus ein schwammiger Begriff und eher Stilmittel als Ideologie.
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Um dem grassiereden Phänomen des „Populismus“ zu begegnen, forderte Ferber, dass Europa für die Herausforderungen Lösungen anbieten muss. „Die Menschen wollen, dass Europa in Grundsatzfragen zusammenarbeitet“, sagte Ferber „Dazu bedarf es des politischen Willens der Akteure, aber auch der Menschen. Europa sind wir schließlich alle. Der Brexit ist eine Lehrstunde dafür, was alles toll ist in Europa.“
Jesse forderte eine an der Sache, nicht an Personen orientierte Diskussionskultur. Es müssten auch heikle Punkte benannt und die Befindlichkeiten der Menschen ernst genommen werden. Die „Stickigkeit des politischen Klimas ist genauso schlimm wie dessen Verrohung“.
"Populismus vollzieht sich in Wellen" (Isabell Hoffmann, Bertelsmann-Stiftung)
Fazit: Sinnvoll erscheint, sich nicht bei der Definition von Begrifflichkeiten aufzuhalten oder sich in der Debatte über „Populismus“ zu verzetteln. Ziel muss vielmehr sein, die Kluft zwischen der liberalen Demokratie als System und als Lebensgefühl wieder zu schließen. Das gelingt nur dadurch, Sorgen, Nöte und Ängste der Menschen zu benennen, ernst zu nehmen und aktiv in politische Arbeit umzumünzen: nämlich dadurch, wie Markus Ferber sagt, für die Herausforderungen einen gangbaren Lösungsweg aufzuzeigen und diesen auch zu beschreiten, kurz: den Menschen Orientierung und eine Perspektive bieten. Nur so lässt sich dem autoritären, zentralistischen „Populismus“, der sich als solcher gegen die liberale, pluralistische Demokratie als ganzes wendet, wirkungsvoll begegnen.