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Parlamentswahlen in Argentinien
Präsident Macris Reformkurs bestätigt

„Sí se puede! Sí se puede“ - „Ja, es ist zu schaffen!“, so die markanten Worte des Präsidenten am Wahlabend des 22. Oktobers 2017 − und es war zu schaffen: Das Regierungsbündnis Cambiemos (Ändern wir uns) weitet seine Macht landesweit erheblich aus, erhält jedoch keine Mehrheit im Parlament.

Nichts anderes war zu erwarten: Das Regierungsbündnis von Präsident Macri geht bei den midterm elections der Parlamente und Gemeinderäte des föderal strukturierten Landes als klarer Sieger hervor. Die politische Landkarte hat sich seit Ende 2015 wesentlich verändert.

Mit Spannung wurden die Ergebnisse am Wahlabend erwartet

Mit Spannung wurden die Ergebnisse am Wahlabend erwartet

Die Ergebnisse im Einzelnen

Cambiemos, das von Präsident Macri seit Dezember 2015 geführte Regierungsbündnis aus Propuesta Republicana (PRO), Unión Cívica Radical (UCR) und Coalición Cívica (CC), konnte sich landesweit ausbreiten. Die von Macri in der Hauptstadt gegründete PRO-Partei gilt spätestens jetzt als nationale Partei, deren Bedeutung weit über die Hauptstadt und Provinz Buenos Aires hinausgeht.

Die bevölkerungsreichsten Teile des flächenmäßig achtgrößten Landes der Welt mit ca. 42 Millionen Einwohnern, Buenos Aires, Santa Fe, Córdoba, Mendoza und Entre Ríos, sind fest in „gelben Händen“ (Gelb ist die Farbe von Cambiemos). Auch in den anderen Landesteilen wechselte die Farbe von blau (Frente para la Victoria/Kirchnerismus) zu gelb, und es kamen überraschend La Rioja (bisher unter dem früheren Präsidenten Menem), Chubut und Chaco (im ärmeren Norden) hinzu. Heute ist Cambiemos in 13 von 24 Provinzen die stärkste politische Kraft, der Kirchnerismus und Peronismus in lediglich 6 Provinzen.

Das bedeutet bei einer Wahlbeteiligung von 76,7%:

  • 40,6% (4 Prozentpunkte mehr als in den Vorwahlen) im gesamten Land für Cambiemos

  • 21% für den Kirchnerismus und Alliierte

  • 13,8% für die Peronistische Partei PJ (Partido Justicialista). Cambiemos wird versuchen, dieses Ergebnis auf 45% auszuweiten.

  • In beiden Kammern des Parlaments erhält das Regierungsbündnis nun mehr Sitze, ohne jedoch die jeweilige Mehrheit zu erlangen. Das bedeutet hoffentlich eine Konsolidierung der Debattenkultur und Kooperation für Reformvorhaben, ebenso eine Chance für die Oppositionsparteien, eine verantwortungsvolle, konstruktive Rolle zu spielen und zur demokratischen Kultur des Landes beizutragen.

Von 257 Abgeordneten (129 Quorum) entfallen nunmehr auf Cambiemos 107 (plus 21), 67 auf den Kirchnerismus und Alliierte (minus 10), 38 auf die Peronistische Partei (plus 5) und 22 auf Sergio Massa (Frente Renovador/1País).
Im Senat, der 72 Sitze (Quorum 37) zählt, entfallen auf Cambiemos 24 (plus 9), 23 auf die Peronistische Partei, 10 auf das Kirchnerlager und 15 auf andere.

  • Immerhin 37,25% der Wähler des wichtigsten Wahldistrikts des Landes, der Provinz Buenos Aires, gaben der ehemaligen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner (CFK) ihre Stimme, das sind rund 3,5 Millionen Wähler. Sie zieht als Erstplatzierte auf der Liste der nun größten Oppositionspartei in den Senat ein.

  • Sergio Massa, der sein politisches Projekt der Frente Renovador (peronistische Erneuerungsfront) seit 2013 sehr erfolgreich vorantrieb, blieb mit 11,32% an dritter Stelle und schaffte den Sprung in den Senat nicht. Mit rund 22 Abgeordneten seines Lagers wird es schwierig werden, die Führungsrolle bei der Erneuerung des Peronismus zu übernehmen.

  • Esteban Bullrich holte 41,38% als Senator. Fast 3,9 Millionen Bürger gaben ihre Stimme in der Provinz Buenos Aires dem Regierungslager Cambiemos. Gemeinsam mit der Zweitplatzierten, Gladys González, geht es nun in den Senat (3 Senatoren pro Provinz).

Das bedeutet auch eine deutliche Zustimmung zur von Cambiemos geführten Regierung von der Provinz Buenos Aires und ihrer stets aus Dankbarkeit zu Tränen gerührten Chefin María Eugenia Vidal. Vidal gilt als mögliche Erbin Macris. Sie wäre bestimmt eine sehr starke und volksnahe Kandidatin für ein Präsidentenamt. Aber auch der Oberbürgermeister Horacio Larreta, sein Vize Diego Santilli oder der junge Kabinettschef, die rechte, sehr mächtige Hand des Präsidenten, Marcos Peña, bringen sich in Position.

Cristina Fernández de Kirchner ist in der mächtigsten Provinz Buenos Aires geschlagen und will stärkste Opposition sein. Das programmiert eine Fehde vor zwischen der nun gewählten Senatorin Fernández de Kirchner der Unidad Ciudadana (Bürgerunion – ein neues, erst vor einigen Monaten für diese Wahlen gegründetes Bündnis) und dem heute mächtigsten Senator des Peronismus, Miguel Pichetto (Fraktionschef PJ-Frente para la Victoria, Ex-Kirchnerist). Ihre Niederlage konnte Cristina am Wahlabend nicht eingestehen.

Sie sieht sich berufen, die Oppositionsrolle zu übernehmen, um der von ihr ziemlich rechts stehenden Regierung Macris Flagge zu zeigen.
Dabei ist Fernández de Kirchner für Präsident Macri eine willkommene Herausforderung: Sie sorgt dafür, dass der Peronismus gespalten bleibt und die Grunderneuerung und Modernisierung in den eigenen Reihen bis 2019, wenn Macri zur Wiederwahl antritt, nicht schaffen wird.

Die Casa Rosada (Regierungsgebäude) von der Seite gesehen mit dem Vorplatz und einer Palme

Das Regierungsbündnis Cambiemos konnte seinen Einflusss in ganzen Land verstärken

Der Wahlkampf

Der Wahlkampf war seit den Vorwahlen am 13. August 2017 recht ruhig verlaufen. Die Wähler hatten im Wesentlichen die Richtung bereits vorgegeben. Mit Spannung wurde das Ergebnis aus der größten und politisch wie auch wirtschaftlich wichtigsten Provinz Buenos Aires erwartet. Hier war es für Cambiemos entscheidend, dass Esteban Bullrich als Erstplatzierter auf der Liste von Cambiemos nicht nur den Sprung in den Senat schaffen werde, sondern seine direkte Herausforderin Cristina Fernández de Kirchner auch tatsächlich und eindeutig schlage. Es ist ihm gelungen. Als ehemaliger Bildungsminister der autonomen Hauptstadt und zuletzt der Nation setzte er auf das Bildungsthema. Die Qualität der öffentlichen Schulen hat in den letzten Jahren stark abgenommen, Bildung ist ein Schlüsselfaktor für Arbeit, Entwicklung und Armutsbekämpfung.

Auch der Fall „Maldonado“, in dem ein junger Argentinier während einer Demonstration für die Interessen des indigenen Volksstammes der Mapuche vor Monaten verschwunden ist und dessen Leiche vor wenigen Tagen im Río Negro gefunden wurde, beeinflusste den Ausgang der Wahlen nicht. Sein Schicksal war zur politischen Polarisierung herangezogen worden, ganz bewusst mit Blick auf die Wahlen. Welche Verantwortung die Gendarmerie und die Regierung an dessen Tod haben, muss erst geklärt werden. Wieder ein medienwirksamer Fall in Argentinien, dessen wahre Umstände wohl nie ans Tageslicht gelangen werden.

Unzählige Berichte und Hinweise in den Medien über Korruption, Geldwäsche, Veruntreuung und sogar Landesverrat polarisierten die Bevölkerung in Fällen, in denen gegen Cristina Kirchner und Mitglieder ihrer ehemaligen Regierung gerichtlich vorgegangen wird. 37,25% der Wähler der Provinz Buenos Aires gaben der ehemaligen Präsidentin dennoch ihre Stimme, das entspricht rund 3,5 Millionen Wahlberechtigter.

Die Kuppel des Regierungspalastes mit einem Himmel voller dunkler Wolken

Nun sollen Reformen durchgeführt und die Wirtschaft entlastet werden

Signale für Investoren und Wirtschaft

Präsident Macri setzt nun alles daran, einen „nationalen Pakt für Argentinien“ zu schließen. Im Dialog zwischen gesellschaftspolitischen Entscheidungsträgern, nicht nur Politikern, sondern auch Gewerkschaftsvertretern, Unternehmensvertretern und sozialen Bewegungen, soll auf lange Sicht ein Entwicklungsmodell für das Land erarbeitet werden. Dabei werden der Wandel und die Reformpakete mit zunehmender Machtkonsolidierung voraussichtlich abnehmen.

Die wichtigsten Reformprojekte sind nun die Steuer- und Arbeitsreform, die Wirtschaft soll entlastet werden, um Arbeitsplätze zu schaffen.
Tiefsitzende Probleme, wie die immerwährende hohe Inflation, das Defizit des Staatshaushaltes mit hoher Neuverschuldung, die hohe Korruptionsanfälligkeit der Argentinier und die Armut von immerhin 30% der Bevölkerung, müssen zumindest teilweise gelöst werden, damit das politische Reformprojekt von Cambiemos auch langfristig und möglichst nachhaltig bestehen kann.
Erste Reaktion seitens der Märkte auf die Machtkonsolidierung Macris war die Herabstufung Argentiniens hinsichtlich des Risikos für Gläubiger um 4%. Teils euphorisch reagieren internationale Investorengruppen, die auf die Transformation des Andenlandes hin zu Marktöffnung und Stabilität sowie Rentabilität setzen.

Casa Rosada mit Vorplatz

Wird Argentinien sich reformieren und modernisieren?

Im Spurt Richtung 2019

Mauricio Macri wäre der erste nichtperonistische Präsident seit 1928, der sein Regierungsmandat zu Ende führen würde. Die jüngsten Wahlen haben gezeigt, dass er auf dem besten Weg dorthin ist. Auch darf er von einer Wiederwahl bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im Oktober 2019 träumen.
Diese „Jahrhundertchance“ in dem vom Peronismus so stark geprägten Land hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab. Einerseits muss der Wirtschaftsmotor wirklich in Gang kommen, um Arbeitsplätze zu schaffen und Investitionen anzuziehen, zum anderen muss der größte politische Herausforderer, die politische Bewegung des Peronismus, in verschiedenste Strömungen zerschlagen bleiben.

Der Peronismus ist sich selbst der größte Feind. Für das Nicht-Kirchner-Lager, das auf Erneuerung setzt, sind die 35% Stimmen für Cristina Kirchner als Senatorin ein Schlag ins Gesicht. „Cristina ist stark genug, um den Peronismus zu spalten, aber zu schwach, um ihn zu einen“, ist eine der vielen aktuellen Aussagen. Diverse Kommentatoren und Analytiker sind sich einig, dass die frühere Präsidentin der politischen Vergangenheit angehört, obwohl sie – trotz dreier aktueller gerichtlicher Großverfahren gegen sie – als populistische Volksvertreterin und gefühlte erste Opposition im Senat ihre Stimme sehr laut erheben wird.

Wohin soll der Wandel gehen?

„Ein für alle Mal wollen wir uns verändern, mit Praktiken von gestern aufhören, Armut, Korruption und Drogenkriminalität bekämpfen, eine ‚Kultur der Arbeit und des Verdienstes‘ zurückerobern. Jeder Argentinier soll eine Arbeit haben, in der er Protagonist sein kann.“

Aus den Menschen sollen Ressourcen geholt werden, an die sie selbst bisher nicht glaubten.

„Denn hat der Argentinier einmal sein Potenzial erkannt, wird er gefordert und gefördert, dann ist er unaufhaltsam!“

Und unaufhaltsam ist nun das Projekt Macris, ein sehr ehrgeiziges Projekt des kulturellen Wandels, der gesellschaftspolitischen Modernisierung seiner Landsleute.

Die motivierenden Worte des Präsidenten klingen ernst und ehrlich gemeint, Macri kann überzeugen. Die Gouverneurin der Provinz Buenos Aires María Eugenia Vidal, der Ex-Bildungsminister und frisch gewählte Senator, der Cristina Kirchner mit 4% besiegte, Esteban Bullrich, und die mit über 50% gewählte Siegerin in der Hauptstadt, Elisa Carrió, ebenso. Auch sie sprachen am Wahlabend auf der Bühne von Cambiemos.

Das Land hat ein Jahr Zeit, um die notwendigen Reformen auf den Weg zu bringen. Es darf vorsichtig gehofft werden, dass dieser Prozess, trotz Machtkonsolidierung, im Dialog und mit öffentlicher Diskussion stattfinden wird. Das ist gewiss eine Herausforderung für die politische Opposition und die heranreifende Zivilgesellschaft.
In Argentinien stehen die Zeichen auf Wandel. Es bleibt zu hoffen, dass die Mehrheit der Bürger den Wandel nicht nur mit der Stimmenabgabe befürwortet, sondern bei sich selbst anfängt und auch zum Projekt beiträgt.

Autorin: Dr. Mariella Franz

Kurzinfo

Kirchnerismus und Peronismus haben in Argentinien seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts Spuren hinterlassen.
Mit Kirchnerismo/Kirchnerismus werden die Regierungszeiten von  Néstor Carlos Kirchner und seiner Ehefrau Cristina Elisabet Fernández de Kirchner bezeichnet.  Néstor Kirchner war von 2003 bis 2007 Präsident von Argentinien. Ihm folgte seine Ehefrau Cristina für zwei Amtszeiten (2007 bis 2015) als Präsidentin von Argentinien.
Der Peronismus, eine politische, aber auch gesellschaftliche Bewegung,  geht auf Juan Domingo Perón Sosa zurück, der 1946 Präsident von Argentinien wurde. Bekannt ist Perón auch durch seine Ehefrau Eva (Evita).

Argentinien
Prof. Dr. Klaus Georg Binder
Projektleitung