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EU – Verteidigungspolitik
PESCO

Im Dezember 2017 beschloss der Rat der Europäischen Union, der sich aus Vertretern aller EU-Mitgliedstaaten zusammensetzt, eine engere Kooperation in der Verteidigungspolitik. Mit der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (englisch: Permanent Structured Cooperation, abgekürzt „PESCO“) greift die EU die Perspektive einer Verteidigungsunion erstmals seit dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft 1954 auf. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen sprach deshalb von einem „historischen Schritt“. Nichtsdestotrotz: Wie stark die Integration erfolgt, muss die Zukunft zeigen.

Obwohl der EU-Vertrag seit 2009 ("Vertrag von Lissabon") die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) festschreibt, kam es bisher nicht zu einer engeren Zusammenarbeit in diesem Politikfeld. Dies kann damit begründet werden, dass viele Mitgliedstaaten eine ge-meinsame Verteidigungspolitik lange Zeit als einen zu weitreichenden Integrationsschritt erach-teten. So ist es kein Zufall, dass sich der Europäische Rat, das heißt die Staats- und Regie-rungschefs der EU-Mitgliedstaaten, im Juni 2017, genau ein Jahr nach der Brexit-Entscheidung, für die Notwendigkeit einer Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit aussprach.

Kampfflugzeuge im Formationsflug versprühen blau, weiß, roten Rauch hinter sich, die Farben der Niederländischen Nationalflagge.

In der EU gibt es 20 verschiedene Typen von Kampfflugzeugen, das bedeutet 20 unterschiedliche Sortimente an Ersatzteilen und 20 unterschiedliche Ausbildungen für Techniker und Piloten.

MustangJoe; CC0; Pixabay

PESCO: warum gerade jetzt?

War das Vereinte Königreich zu Beginn der 1990er Jahre noch ein Befürworter der Integration der Streitkräfte, vollzog dieses Land in den letzten Jahren einen Kurswechsel. London befürchtete, dass ein Fortschritt in der EU-Verteidigungspolitik zum Nachteil der NATO verlaufen könnte, und stand sowohl der PESCO als auch zahlreichen weiteren Europäischen Integrationsprojekten zunehmend skeptisch gegenüber. So gaben die Brexit-Entscheidung und erst recht die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA der EU Grund zur Annahme, dass sich wichtige NATO-Partner zukünftig zurückhalten werden und sich deshalb die europäische Staatengemeinschaft militärisch stärker engagieren muss. 

Da Großbritannien die EU verlässt, wird es sich nicht an PESCO beteiligen. Ebenso nicht dabei sind Dänemark und Malta. Dänemark beteiligt sich traditionell nicht an der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Malta sprach sich gegen die Teilnahmekriterien aus, die unter anderem eine regelmäßige Erhöhung der Verteidigungsausgaben vorsehen. 

Unter den übrigen EU-Mitgliedstaaten besteht grundsätzlich Einigkeit, dass sie die bisherige Vorgehensweise auf dem Gebiet der Rüstung überdenken müssen. Aktuell gibt es in der EU beispielsweise 20 verschiedene Typen von Kampfflugzeugen, das bedeutet 20 unterschiedliche Sortimente an Ersatzteilen und 20 unterschiedliche Ausbildungen für Techniker und Piloten. „Wir wollen jetzt das Gemeinsame voranbringen. Da braucht es natürlich am Anfang Investitionen, aber wir werden auf die Dauer Ersparnisse haben und kosteneffizienter sein“, so die Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

Mächtig wirkender Militärtransporter mit riesigen Rotorblättern auf einem düsteren Rollfeld wird gerade technisch überprüft.

PESCO betrifft: koordinierte Planung, Finanzierung und Verbesserung operativer Kapazitäten sowie gemeinsame Umsetzung wichtiger Rüstungsprojekte

skeeze; CC0; Pixabay

Kooperation ja, EU-Streitkräfte nein

Der Beschluss zur Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit wird nicht zur selbständigen militärischen Handlungsfähigkeit der EU führen. Vielmehr leitet die EU einen Prozess ein, an dessen Ende sie im besten Fall strategisch ein Stück unabhängiger, aber nicht vollständig unabhängig agieren kann. Denn die aktuelle Diskussion dreht sich ausschließlich um eine erweiterte militärische Kooperation. Die EU-Mitgliedstaaten ziehen bis dato den Aufbau integrierter EU-Streitkräfte nicht in Betracht. Dennoch sind die Erwartungen an PESCO gestiegen, denn eine Umsetzung zum jetzigen Zeitpunkt impliziert nicht nur eine Stabilisierung der Ordnung in der Region, sondern auch die Verteidigung der Bevölkerung in den EU-Staaten – jedoch immer unter der Voraussetzung, nicht die NATO zu duplizieren.  

Bei PESCO handelt es sich um einen rechtlich bindenden Prozess. Die Teilnahme ist freiwillig, doch wer die Eintrittskriterien erfüllt und an der Kooperation mitwirkt, verpflichtet sich zu fünf Zielen, die das Protokoll über die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit festlegt. Ob die teilnehmenden Staaten die Eintrittskriterien und die Zielvorgaben einhalten, prüft die Europäische Verteidigungsagentur (EVA). Diese zeichnet auch für die Umsetzung der im Rahmen von PESCO beschlossenen Programme zuständig. Zum anderen ist PESCO ein strukturierender Prozess, der alle Bereiche der gemeinsamen Verteidigungspolitik betrifft: Planung, Finanzierung, operative Kapazitäten, das Füllen von Kapazitätslücken und schließlich die Umsetzung wichtiger Rüstungsprojekte. PESCO ist für die Verteidigung was die Maastricht-Kriterien für den Euro bedeuten: eine Institution eigener Art des EU- Rechts. Wie der Name bereits andeutet, zielt PESCO darauf ab, (ständig) etwas zu organisieren (strukturieren), das bereits existiert (Zusammenarbeit). Das finale und hochgesteckte Ziel wäre in der Zukunft eine „Gemeinsame Verteidigungs-politik“, die im Gegensatz zur bisherigen eigenen Verteidigungspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten dann auch eine gemeinsame EU-Armee einschließen würde . Allerdings streben auch dies die EU-Länder aktuell nicht an.

Rolle Deutschlands und Frankreichs

Deutschland und Frankreich sind der Kern der PESCO-Initiative. Dennoch gibt es hinsichtlich des Charakters von PESCO Unstimmigkeiten zwischen beiden Ländern. Frankreich plädiert für eine ambitionierte Umsetzung der Zusammenarbeit und erwartet von seinen EU-Partnern zukünftig mehr Engagement für die gemeinsame Verteidigung – sowohl finanziell als auch in der Praxis durch die Teilnahme an Operationen. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron regte im Zuge der PESCO-Debatte wiederholt eine „gemeinsame Interventionstruppe“ an, die bis 2020 einsatzfähig sein soll. Darüber hinaus befürwortete er ein gemeinsames Verteidigungsbudget und eine gemeinsame Einsatzdoktrin. Diesen ambitionierten Vorschlägen steht Deutschland skeptisch gegenüber. Historisch begründet steht die Einigkeit bei EU-Vorhaben für Deutschland an erster Stelle. Eine zu ambitionierte Herangehensweise, wie Macron sie aus deutscher Sicht fordert, könnte schnell zu einer Europäischen Union der zwei (oder mehr) Geschwindigkeiten führen. Stattdessen soll  PESCO nach deutschen Vorstellungen möglichst vielen Mitgliedstaaten die Teilnahme ermöglichen. Letztendlich wird diese Meinungsverschiedenheit jedoch nicht das deutsch-französische Fundament der neuen Verteidigungsinitiative gefährden, denn die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit kann durchaus sowohl ambitioniert sein als auch möglichst vielen die Teilnahme ermöglichen. Um letzteres zu erzielen, wurden die Teilnahmekriterien niedrig angesetzt. Statt auf das „Wollen“ wurde der Fokus auf das „Können“ gelegt. Aufgrund der Prozess-Struktur der PESCO besteht dennoch die Möglichkeit, durch die Wahl der konkreten Kooperationsprojekte schrittweise eine ambitionierte und effektive militärische Zusammenarbeit zu erreichen.  

Die weiteren Mitgliedstaaten lassen sich mit ihrer Haltung zu PESCO in vier Gruppen unterteilen. Neben dem deutsch-französischen Kern bilden Italien, Spanien, Finnland, Estland, die Tschechische Republik, Ungarn und Griechenland einen „Kreis der Willigen“, der eine intensivere Kooperation in der Verteidigung befürwortet und bereit ist, einen finanziellen und operativen Beitrag zu leisten. Hierzu zählen auch die Benelux-Staaten, auch wenn dort mit mehr Zurückhaltung über PESCO gesprochen wird. Vorsichtiger zeigten sich bislang auch Rumänien, Bulgarien, Lettland, Polen, Slowenien, Kroatien und Zypern sowie Portugal und Schweden. Zu einem Großteil lässt sich das Zögern durch finanzielle Gründe (insbes. Rumänien und Bulgarien) und fehlende militärische Kapazitäten (insbes. Zypern) erklären. Mit ihrer Zustimmung zur Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit wollten diese Länder allerdings verhindern, bei der EU-Verteidigungspolitik in die zweite Reihe versetzt zu werden. Zögerlich zeigten sich zunächst Irland und Österreich aufgrund ihrer militärischen Neutralität, entschieden sich aber schließlich ebenfalls für eine Beteiligung. Von drei Mitgliedstaaten wurde der Beschluss zu PESCO nicht unterzeichnet: Malta, Dänemark und Großbritannien. Malta entschied sich gegen eine Beteiligung, da man die Teilnahmekriterien als zu große Belastung für den eigenen Staatshaushalt erachtete. Dänemark steht einer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik grundsätzlich skeptisch gegenüber. Aufgrund des beschlossenen Austritts aus der EU wird auch Großbritannien keine Rolle in der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit übernehmen.

Verhältnis PESCO-NATO

Auf institutioneller Ebene arbeitet die NATO bereits seit einigen Jahren mit der Europäischen Verteidigungsagentur zusammen. Ein Beispiel dafür ist der ABC-Schutz (Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen Gefahren): Hier konzentriert sich die EVA verstärkt auf biologische Bedrohungen, während die NATO sich auf die Abwehr chemischer Angriffe spezialisiert hat. Die Zusammenarbeit der EVA und der NATO ist ein positives Beispiel dafür, wie durch Fortschritte in der GSVP entstandene Synergie-Effekte genutzt und Ressourcen effizient eingesetzt werden können.

Die EU versteht PESCO nicht als Konkurrenzprojekt zur NATO. Vielmehr strebe die EU eine enge militärische Kooperation mit dem Nordatlantikpakt an, wie die Hohe Beauftragte für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, auf einer öffentlichen Veranstaltung in Brüssel im Dezember 2017 hervorhob.

 

Autor: Dr. Markus Ehm, HSS

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter