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Parlaments-, Regional- und Präsidentschaftswahlen in Kenia
William Ruto siegt knapp

Autor: Daniel Seiberling

Mit Spannung wurde das Wahlergebnis der aktuellen Wahlen in Kenia erwartet. Nur hauchdünn war der Abstand zwischen den beiden Kandidaten William Ruto und Raila Odinga. Turnusgemäß fanden am 9. August 2022 die allgemeinen Wahlen statt, bei denen auch die Abgeordneten der Nationalversammlung, Senatoren, Gouverneure und Abgeordnete der Gebietsparlamente gewählt wurden. Präsident Uhuru Kenyatta konnte nach zwei Amtszeiten nicht erneut kandidieren, hier war ein Wechsel unumgänglich.

  • Vorbereitung der Wahlen 
  • Dr. William Samoei Ruto ist der 5. Präsident Kenias
  • Bekanntgabe des Wahlergebnisses wurde mit Spannung erwartet
  • Parlamentswahl
  • Wie geht es nach dem knappen Sieg weiter?

Allgemeine Wahlen in Kenia sind ein großes Ereignis. Dieses Jahr waren rund 22,1 Millionen registrierte Wählerinnen und Wähler aufgerufen, in 46 229 Wahllokalen unter 16 105 Kandidaten 1 879 Amtsträger der Nationalversammlung, den Senat, 47 Gebietsparlamente, 47 Gouverneure und den Präsidenten zu wählen, die das Land die nächsten 5 Jahre regieren werden. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 65 Prozent.

Aushänge mit den Kandidaten für die Parlaments-, Regional- und Präsidentschaftswahlen.

Vor der Wahl informieren sich die Bürgerinnen und Bürger über die aufgestellten Kandidaten.

Kabucho/HSS Kenia

Rahmenbedingungen und Institutionen

Die Vorbereitung der Wahlen liegt vor allem in der Verantwortung zweier staatlicher Institutionen: der inhaltlich und technisch zuständigen Independent Election and Border Commission IEBC und dem Office of the Registrar of Political Parties ORPP. Kenia ist eine Parteiendemokratie, in der der Weg in ein Amt nahezu ausschließlich über die politischen Parteien führt. Daher kommt dem ORPP eine wichtige Rolle dabei zu, die Einhaltung der zahlreichen Regelungen für Parteien zu Nominierung und Wahlkampf zu überwachen. Ab dem  Wahltag liegt das weitere Verfahren ausschließlich in den Händen der IEBC, die spätestens 7 Tage nach der Wahl ein vorläufiges amtliches Endergebnis vorlegen muss.

Da es in der Vergangenheit immer wieder zu Unregelmäßigkeiten bei der Übermittlung der Ergebnisse aus den Wahllokalen kam, wurde dieses Jahr eine Neuerung eingeführt: Die Ergebnisse wurden unmittelbar nach der manuellen Auszählung in den Wahllokalen durch öffentliche Aushänge bekannt gemacht. Diese 46 229 Ergebnislisten (Formblätter A) sind die Grundlage der weiteren Auswertung und Kumulierung auf der Ebene der 291 Wahlkreise (Formblätter B) und des einen Formblattes C, mit dem der Vorsitzende der IEBC das vorläufige amtliche Wahlergebnis verkündet. Alle Wahlbeobachter, Medienhäuser etc. waren aufgefordert, insbesondere den Datentransfer zwischen den Wahllokalen und dem Wahlzentrum des IEBC im Konferenzzentrum „Bomas of Kenia“ in Nairobi kritisch zu begleiten. Dies ist eine für das IEBC radikale Neuerung – traditionell wurden dort Entscheidungen hinter verschlossenen Türen getroffen und Informationen nur äußerst sparsam verbreitet.

Information

Die Arbeit der HSS mit dem ORPP

Seit 2021 arbeitet die HSS in Kenia eng mit dem Office of the Registrar of Political Parties ORPP zusammen. In Seminaren wurden Vertretern der 87 registrierten Parteien Kenias die gesetzlichen Vorschriften zur Inklusion von Frauen, jungen Erwachsenen und Menschen mit Behinderungen diskutiert und vermittelt.

Obwohl sowohl ORPP als auch HSS partei-affine Institutionen sind, wurde eine Schulungsmaßnahme für Unabhängige Kandidatinnen und Kandidaten für die allgemeinen Wahlen 2022 geplant und von der HSS durchgeführt. Die Verfassung Kenias sieht die Möglichkeit unabhängiger Kandidaten vor, daher ist dies ein wichtiger Bestandteil politischer Bildung im Land – auch wenn die Chancen unabhängiger Kandidatinnen und Kandidaten auf ein Mandat sehr gering sind. Im Juni 2022 wurde eine grundlegende Publikation zur politischen Bildung durch ORPP und HSS herausgegeben, das „Political Education Source Book“ ein Nachschlage- und Trainingshandbuch für Mitglieder politischer Parteien.

Die Ära Kenyatta

Nach zwei Amtszeiten konnte Uhuru Kenyatta nicht mehr als Präsident kandidieren und hatte sich im Wahlkampf daher vor allem um die Unterstützung seines designierten Nachfolgers gekümmert. Dass diese Unterstützung aber nicht seinem Vizepräsidenten William Ruto galt, sondern seinem Gegner der Wahlen 2017, Raila Odinga, ist eine der vielen Widersprüchlichkeiten, die Präsident Kenyattas Ära kennzeichnen. Unter Präsident Kenyatta hat Kenia einen Boom an Infrastrukturprojekten erlebt – aber die Staatsverschuldung ist enorm gewachsen. Präsident Kenyatta hat die Korruptionsbekämpfung immer wieder als eines seiner primären Themen bezeichnet – spektakuläre Erfolge konnte er nicht aufweisen, vielleicht auch weil er selbst einer der gesellschaftlich und wirtschaftlich einflussreichsten Familien Kenias entstammt. An Ansehen hat Kenia unter seiner Präsidentschaft aber sicher gewonnen, sowohl in Ostafrika als auch weltweit. Der umgängliche und wortgewandte Präsident hat Kenia auf internationalem Parkett hervorragend vertreten und zuletzt das Land erfolgreich durch die COVID-Pandemie geführt. Kenia ist, nicht nur im Vergleich zu seinen unmittelbaren Nachbarn, ein Anker der Demokratie, Stabilität und Sicherheit in Afrika.

Aus der gemeinsamen Erklärung der deutschen und 13 weiterer Botschaften in Kenia im Vorfeld der Wahlen vom 5. August 2022:

„Kenya is an anchor for stability, security, and democracy – not just in the region, or on this continent, but across the globe”

Dr. William Samoei Ruto ist mit knappem Vorsprung zum 5. Präsident Kenias gewählt.

Dr. William Samoei Ruto ist mit knappem Vorsprung zum 5. Präsident Kenias gewählt.

WORLD TRADE ORGANIZATION; (CC BY-SA 2.0); WIKIMEDIA COMMONS

Der 5. Präsident Kenias: Dr. William Samoei Ruto

Während erste Ergebnisse der Parlaments-, Senats- und Regionalparlamentswahlen bereits zwei Tage nach der Wahl bekannt gegeben wurden, zog sich die Auszählung um das höchste Staatsamt hin. Hier erwies sich die große Offenheit des IEBC als problematisch: Es gab kaum Zweifel an den Zahlen der Wahllokale, aber je nachdem, welche der Hochburgen der einen oder anderen Seite zuerst in die Berechnungen aufgenommen wurden, kamen enorme Schwankungen der Hochrechnungen zu Stande: Bis zu 56 Prozent wurden beiden Kandidaten von jeweils unterschiedlichen Plattformen attestiert, beide Kandidaten gaben sich ihres Erfolges sicher.

Die offizielle Statistik der IEBC bewegte sich dagegen langsam, aber stetig und zeigte nur marginale Abstände der Kandidaten, in der Größenordnung von wenigen Zehntel Prozentpunkten um die 49-Prozent-Marke. Selbst die Frage, ob einer der Kandidaten die 50-Prozent-Hürde nehmen, oder ob eine Stichwahl notwendig sein würde, blieb bis zum Montag, den 15. August, unbeantwortet.

Auszählung der Stimmen nach der Wahl

Nach der Wahl wurden die Stimmen ausgezählt. Mit großer Spannung erwarteten die Kenianer das Endergebnis der Präsidentschaftswahl, das nach fast einer Woche bekannt gegeben wurde.

Kabucho/HSS Kenia

Dramatisches Finale

Nachdem das ganze Land fast eine Woche lang den Atem angehalten hatte – die Schulen blieben geschlossen, die Mehrzahl der Institutionen hatten ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in das Homeoffice geschickt – zeichnete sich am Montag die Entscheidung ab, da die Auszählungen des IEBC abgeschlossen waren. Mehrere Botschaften mahnten ihre Landsleute eindringlich, an diesem Montagnachmittag nicht auf Nairobis Straßen unterwegs zu sein. Der Beginn der live übertragenen, auf 15 Uhr festgelegten Eröffnung des Wahlergebnisses durch den Vorsitzenden des IEBC, Wafuta Chebutari, verzögerte sich. Erstes Anzeichen dafür, dass etwas schief lief, war die Abwesenheit des Präsidentschaftskandidaten Raila Odinga. Gegen 16.30 Uhr gelangten Eilmeldungen in die Medien, dass sich vier Mitglieder des 8-köpfigen (7 Mitglieder und ein Vorsitzender) IEBC in ein nahegelegenes Hotel zurückgezogen hatten und von dort eine Pressemeldung herausgaben mit dem Inhalt, dass sie, aus nicht näher genannten Gründen, das Wahlergebnis nicht mittragen könnten.

Gegen 17.30 Uhr schließlich trat Wafuta Chebutari vor die Kameras – woran er durch ein mehrere Minuten andauerndes Handgemenge, ausgelöst durch bisher nicht identifizierte Personen in dem Wahlzentrum des IEBC, gehindert werden sollte – und verkündete das Ergebnis der Präsidentschaftswahl: Zum 5. Präsidenten der Republik Kenia wurde mit 50,5 Prozent Dr. William Samoei Ruto gewählt. Raila Odinga kam mit 48.8 Prozent knapp geschlagen auf Rang 2.

Mit William Ruto zieht ein alter Bekannter in das State House ein - immerhin war er bereits fünf Jahre lang Vizepräsident des Landes - aber auch ein neuer Typus Präsident. Ruto stammt nicht, wie alle kenianischen Präsidenten bisher, aus den gutvernetzten politischen und wirtschaftlichen Dynastien des Landes, was er in seinem Wahlkampfmotto „Hustler vs. Dynasties“, auch explizit angesprochen hatte. Im Gegensatz zum scheidenden Präsidenten Kenyatta, dem oft nachgesagt wurde, er sei nicht aus eigenem Antrieb Präsident geworden, sondern er habe nur seiner Familie gegenüber seine Pflicht erfüllt, brannte Ruto zehn Jahre lang darauf, verabredungsgemäß das Amt von Kenyatta, dem er 2012 ins Amt geholfen hatte, zu übernehmen. Dass Kenyatta ihm in seiner zweiten Amtszeit die Unterstützung entzog und die Kandidatur eines weiteren Mitglieds der kenianischen Elite, Raila Odinga, in seinem fünften Anlauf auf das Präsidentenamt unterstützte, hat Ruto schwer getroffen und auch in der Wahrnehmung der kenianischen Bevölkerung das Gefühl von politischem Fairplay verletzt. Lange Artikel sind in den letzten vier Jahren geschrieben worden, die das Zerwürfnis der beiden zu erklären versuchten. 

Tatsache ist aber, dass sich der scheidende Präsident Kenyatta mit gemischten Gefühlen in den Ruhestand begeben wird, sollte sich das Wahlergebnis bestätigen – William Ruto ist weder persönlich und schon gar nicht als mächtigster Mann im Staat ein Mensch, den man zum Feind haben möchte. 

Parlamentswahl

Die Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung und im Senat entsprechen denen der Präsidentschaftswahl – die Wahlbündnisse „Kenya Kwanza“ (Ruto) und Azimio (Odinga) sind bis auf wenige Sitze gleich stark. 

Auch in den Gebietsparlamenten und bei den Gouverneuren wiederholt sich das Bild: Das Land ist in zwei annähernd gleich starke Lager gespalten.

Als Bestätigung bei der Wahl gewesen zu sein, taucht der Wähler einen Finger in Tinte.

Nach der Abgabe seiner Stimme tauchte der Wähler einen Finger in Tinte. So soll Wahlbetrug vorgebeugt werden, indem ein Wähler mehrfach zur Wahl geht.

Kabucho/HSS Kenia

Bewertung

Wieder einmal bringt die Wahl in Kenia kein wirklich eindeutiges Ergebnis zu Tage. Der knappe Sieg Rutos bringt ihn zunächst „nur“ ins State House – ob er seinen knappen Wählerauftrag dort aber in eine breite Zustimmung seiner Regierungsarbeit wird umwandeln können, muss sich zeigen. In seiner ersten Rede als „President-elect“ ging er ausführlich auf dieses Anliegen ein – er wolle Präsident aller Kenianer sein, gleich, ob sie für ihn gestimmt hätten, oder nicht.

Zunächst einmal wird er seinen Wahlsieg aber behaupten müssen. Es gilt als sicher, dass das Team Odinga das oberste Gericht anrufen wird. Ein langwieriges juristisches Tauziehen steht Kenia bevor, zunächst um die Frage, welches die Beweggründe der 4 Mitglieder des IEBC waren, das Ergebnis nicht mittragen zu wollen – ob das Ergebnis also valide war oder nicht.

Danach die Frage, ob der Vorsitzende des IEBC ein Wahlergebnis als Endergebnis verkünden kann, wenn 4 Mitglieder des Gremiums dieses nicht mittragen.

Die kenianische Verfassung sagt in Artikel 138 (10):  „Der Vorsitzende des IEBC verkündet das Ergebnis der Präsidentschaftswahl“  ohne auf die Rolle der übrigen Mitglieder einzugehen.

In einer ersten Analyse kann aber als sicher gelten, dass der IEBC-Vorsitzende Wafuta Chebukati mit seiner mutigen Entscheidung am 15. August den Frieden im Land bewahrt hat. Eine Aussetzung des Wahlergebnisses hätte mit Sicherheit zu Kurzschlussreaktionen unter den hochmotivierten und zum Teil gewaltbereiten Anhängern beider Lager geführt, umso mehr, da ein naheliegendes, wenn auch unbewiesenes Narrativ bedient worden wäre: Der Staatsapparat der scheidenden Regierung Kenyatta hinter Raila Odinga wolle den Sieg des Außenseiters Ruto verhindern.

So war der Morgen nach dem Ergebnis aber ruhig in Kenia. Zumindest in Nairobi ist die Erleichterung, dass das Leben nun weitergehen kann, mit Händen zu greifen.

Wichtig wäre ein Zeichen Raila Odingas an seine Anhänger, dass die bevorstehende gerichtliche Auseinandersetzung nicht auf die Straße getragen werden sollte.

Die führende zivilgesellschaftliche Watchdog-Organisation, Election Observation Group ELOG, in der auch zahlreiche Partnerorganisationen der HSS in Kenia vertreten sind, hat das Wahlergebnis und den Verlauf der Wahlen zwischenzeitlich gutgeheißen. 

Kontakt

Projektleitung: Daniel Seiberling
Kenia
Projektleitung