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Die Zukunft der transatlantischen Wirtschaft
Nicht Stahl, sondern digital

Das Zerwürfnis in der transatlantischen Handelspolitik ist groß: Amerika droht Europa mit hohen Importzöllen, die EU bereitet empfindliche Gegenmaßnahmen vor. Während der Streit über Stahl- und Aluminiumeinfuhren in aller Munde ist, finden Zukunftsfragen wie die digitale Transformation der Wirtschaft nicht die notwendige Aufmerksamkeit. Die prognostizierten Wachstumsraten im Online-Handel und bei Dienstleistungen sind beeindruckend. Doch der Rechtsrahmen hinkt der Dynamik der Entwicklung weit hinterher.

Vor dem Hintergrund der US-Flagge sitzen drei in Anzug gekleidete Herrn auf auf einer schwarzen Ledercouch und diskutieren.

Die deutsche Delegation holten sich Informationen aus erster Hand im US-Kongress von David Schweikert, republikanischer Abgeordneter aus Arizona.

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Die Gestaltung der digitalen Zukunft nahm breiten Raum auf der To-Do-Liste ein, die Thomas Erndl, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, als Deutschlands wichtigste Aufgabe der nächsten Jahre vorstellte. Er nutzte das wöchentliche Netzwerk-Treffen der Republikaner in Washington, um die Agenda der neuen Bundesregierung vor diesem gewöhnlich nur mit Innenpolitik befassten Kreis von DC-Insidern vorzustellen. Der Landtagsabgeordnete Gerhard Hopp ergänzte, dass Bayern großen Wert darauf lege, den Sprung ins digitale Zeitalter zu schaffen, ein Start-up freundliches Geschäftsklima zu gewährleisten und sich eine positive Sicht auf Globalisierung und offene Märkte zu bewahren. Gabriel Felbermayr, Handelsexperte am Münchener ifo-Institut, verdeutlichte, dass die Zukunft der Wirtschaft im Dienstleistungsbereich liegt. Dies gelte sowohl für den Binnenhandel als auch international. 3D-Druck, Datenvernetzungen über das Internet der Dinge oder Apps wie Airbnb und Uber zeigen deutlich, dass Produktivitätszuwächse heute durch den Einsatz neuer Technologien erzielt werden. Die digitale Wirtschaft, so der Münchener Wirtschaftsprofessor in seiner klaren Analyse, werde eine US-geprägte Wirtschaft sein. Die Fokussierung auf den Stahl- und Aluminiumkonflikt in der transatlantischen Handelspolitik lenke vom zentralen Zukunftsthema ab: Gelingt es, sich auf einen transatlantischen Gestaltungsrahmen für Big Data zu verständigen, der zum globalen Standard wird? "

Zwei Reihen von in Anzügen und Kostümen gekleideten Leuten, sitzen in einem kleinen Raum an Tischen und und schauen aufmerksam zu vier Herren, die am vorderen Ende des Raumes diskutieren.

Der einflussreiche Washington-Insider Grover Norquist, Präsident der Stiftung Americans for Tax Reform, warnt vor einer Digitalsteuer.

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Warnung vor Protektionismus

Die Warnungen, dass auch in der Digitalwirtschaft die protektionistischen Tendenzen auf beiden Seiten des Atlantiks zunehmen, waren bei den zahlreichen Hintergrundgesprächen und Roundtable-Debatten unüberhörbar. Sie wurden von Wirtschafts-Vertretern ebenso vorgebracht wie von Diplomaten und Kongressabgeordneten. Vielfach ticken die digitalen Uhren in Amerika und Europa anders, wie die Experten auf den verschiedenen Workshops beim Thinktank "Americans for Tax Reforms", Deutschland-Institut der Johns-Hopkins-Universität und Hudson-Institut erläuterten. Europa betrachtet Datenschutz als Menschenrecht und ist zu hohen Standards bereit, auch zum Preis, wirtschaftliche Möglichkeiten nicht zu realisieren. In den USA wird Datenschutz als Privatrecht gesehen. Die Privacy-Regeln werden nicht staatlich durchgesetzt und die Unternehmen haben insgesamt mehr Möglichkeiten, Daten im größerem Umfang kommerziell einzusetzen. Die digitale Transformation in Amerika zielt auf Plattformen im Business-to-Business-Verhältnis ab, während in Europa die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Verbrauchern im Vordergrund stehen.

An einer gedeckten, vornehmen Tafel spricht ein Herr gestikulierend zu den anderen Gästen am Tische.

Das Fundament der Geschäftskontakte ist robust. Thomas Erndl spricht zu Wirtschafts- und Thinktank-Vertretern.

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Die transatlantische Handelsbilanz im Reality Check

Wiederholt verwies Gabriel Felbermayr darauf, dass man die transatlantische Handelsbilanz sehr genau studieren müsse. Das US-Defizit im Güterhandel werde durch den US-Überschuss im Dienstleistungssektor mehr als kompensiert. Zähle man Güter, Dienstleistungen und die in Europa erzielten Gewinne der US-Unternehmen zusammen, ergebe sich laut Felbermayr ein Bilanzüberschuss der USA gegenüber der EU in Höhe von 14 Milliarden USD. Korrekterweise müsse man nämlich die Gewinnrückführung von Konzernen wie Apple, Facebook und Google in die Leistungsbilanz miteinfließen lassen. Und dann ergebe sich ein ganz anderes Bild, als US-Präsident Donald Trump es beschreibe. Insgesamt handele es sich bei der amerikanischen und europäischen Wirtschaft um sehr ähnliche Strukturen. Mit dem nötigen politischen Willen könne man die Herausforderungen der Zukunft bei Block-Chain-Technologien, Künstlicher Intelligenz, der Forschungsfinanzierung und den Prinzipien der Besteuerung der digitalen Wirtschaft gemeinsam lösen. Ein geeigneter Rahmen für diese globale Ordnungspolitik in der Wirtschaft sei laut übereinstimmender Meinung der deutschen und amerikanischen Handelsexperten die OECD. Gegenwärtig drohe eine Erosion der multilateralen Handelsordnung mit der Folge, dass das Recht des Stärkeren an die Stelle von normenbasiertem Verhalten trete. Daher seien Institutionen wie die WTO und die OECD so essentiell, auch wenn einzelne Kritikpunkte der Amerikaner nicht vom Tisch zu wischen seien. Doch man dürfe das Kind nicht mit dem Bad ausschütten, so der eindringliche Appell regierungsunabhängiger Fachleute in Washington. "Auch Donald Trump braucht Verbündete im globalen Handel. Es ist im gemeinsamen Interesse Europas und Amerikas, das multilaterale Handelssystem zu verteidigen", betonte Felbermayr.

Gruppe in Anzug gekleideter Männer und einer Frau in der Mitte stehen in einem Büro nebeneinander und lächeln.

"Die NAFTA-Verhandlungen sind richtungsweisend. Bislang sorgt die Handelspolitik der Trump-Administration für mehr Verunsicherung als für mehr Vertrauen,"so die demokratische Abgeordnete aus Washington State Suzan Del Bene bei den Gesprächen.

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NAFTA als Wegscheide der US-Handelspolitik

Neben den inneramerikanischen Aspekten bei der digitalen Wirtschaft muss natürlich auch der grenzüberschreitende Handel berücksichtigt und geregelt werden. Die meisten Handelsabkommen sind veraltet und tragen der digitalen Transformation der Wirtschaft nicht Rechnung. Für Suzan Del Bene, demokratische Kongressabgeordnete aus dem Bundesstaat Washington im Nordwesten Amerikas, sind daher die derzeitigen NAFTA-Verhandlungen richtungsweisend. Die Handelspolitik der Trump-Administration basiere auf einem veralteten Industriebild, teile die Handelswelt in Gewinner und Verlierer ein und sorge insgesamt für große Verunsicherung in der Wirtschaft, so die Einschätzung der erfahrenen Abgeordneten. Aber vielleicht gelinge es ja, ein modernes neues NAFTA-Kapitel zu schreiben, das mit der digitalen Wirtschaft beginne und in sich konsistent sei. 

Zwei Tage intensiver Gespräche in Washington zeigten: Das Konflikt- und Eskalationspotential in den transatlantischen Handelsbeziehungen darf nicht unterschätzt werden. Doch die Geschäftsbeziehungen zwischen amerikanischen und europäischen Firmen sind umfassend, die Vernetzung zwischen Unternehmen auf beiden Seiten des großen Teichs ist groß, die persönlichen Kontakte auf Managerebene vielfältig. Dies ist das Fundament, um die Turbulenzen der Tagespolitik auszuhalten und die Gestaltungsaufgaben der Zukunft zu erkennen. Der globale digitale Zug ist in Bewegung, er kann noch transatlantisch gesteuert werden. Dafür machten sich Thomas Erndl, Gerhard Hopp und Gabriel Felbermayr in Washington stark und werden dies auch zukünftig tun. 


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