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Israel
Neue Regierung – Teamarbeit ist angesagt

Naftali Bennett hat nach zwölf Jahren Benjamin Netanyahu im Amt des Ministerpräsidenten abgelöst. Die neue Koalition vereint acht Parteien, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Konsensfindung wird mit zu ihren schwierigsten Aufgaben gehören. Doch könnten sich so auch heilende Kräfte für eine gespaltene Gesellschaft entfalten.

  • Zusammenarbeit ist gefragt
  • Pragmatismus und Bereitschaft zu Kompromissen
  • Innenpolitik
  • Sicherheitsfragen als Belastungsprobe
  • Hisbollah und Iran
  • USA und Europa
  • Netanyahu in der Opposition

Es ist das Ende einer Ära. Nach vier Wahlen innerhalb von zwei Jahren hat Israel eine neue Regierung bekommen. Sie stützt sich auf eine knappe Mehrheit und besteht aus acht Parteien. Der seit 2009 regierende 71-jährige Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wurde abgelöst von dem 49-jährigen Naftali Bennett, Vorsitzender der national-religiösen Yamina-Partei. In zwei Jahren soll das Steuer dann übergeben werden an Yair Lapid (57), Vorsitzender der zentristischen Zukunftspartei und Architekt des Bündnisses.

Mehr als alle seine Vorgänger ist Bennett auf gute Kooperation und das Vertrauen seiner Partner angewiesen. Denn mit ihm sitzt erstmals ein Politiker im Sessel des Regierungschefs, dessen Partei nur sechs Mandate hinter sich versammeln konnte. Das sind weniger als zehn Prozent in der 120-köpfigen Knesset und macht ihn für viele angreifbar.

Nach 2 Jahren und vier Wahlen gibt es ein neues Regierungsbündnis in Israel.

Nach 2 Jahren und vier Wahlen gibt es ein neues Regierungsbündnis in Israel.

Bernadette Loussi/HSS

Kooperation und Vertrauen

Zusammenarbeit ist auch das Schlagwort der Koalition, deren Mitglieder von der gemeinsamen Überzeugung getrieben waren, Netanyahu nicht länger an der Macht zu lassen. Doch noch nie zuvor war eine israelische Regierung dabei ideologisch derart heterogen aufgestellt. Die „Koalition des Wechsels“ repräsentiert die Rechte, die Linke, das Zentrum, und erstmals auch Vertreter der arabischen Minderheit im Land. Die Beteiligung des konservativen Muslims, Mansour Abbas, ist eine historische Premiere. Seine Partei ist der politische Flügel der 1971 gegründeten islamischen Bewegung im Süden Israels, die der Muslimbruderschaft nahesteht. Er wolle das „Gleichgewicht der politischen Kräfte im Land verändern“, sagte Abbas nach Unterzeichnung des Koalitionsabkommens mit Bennett und Lapid. Ihm gehe es darum, die Lebensumstände der arabischen Bürger Israels zu verbessern, die sich vom Staat diskriminiert und vernachlässigt fühlten. Dafür sei er bereit, in anderen Fragen zurückzustecken. Dieser Schritt mutet umso erstaunlicher an, als es gerade einmal zwei Wochen her ist, dass die jüdisch-arabische Koexistenz innerhalb Israels im Schatten der jüngsten Konflikte schwer angeschlagen schien und manche sogar vom heraufziehenden Bürgerkrieg sprachen.

Politischer Pragmatismus

Die neue Regierung steht explizit für Pragmatismus und Kompromissbereitschaft. Das sind versöhnliche Töne, wie man sie in Israel kaum mehr kennt. Sie könnten den Beginn eines internen Heilungsprozesses in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft signalisieren. Dabei geht es nicht nur darum, die in den vergangenen Jahren zunehmend tiefer gewordenen Gräben zwischen Juden und Arabern zuzuschütten, sondern auch zwischen links und rechts, zwischen Religiösen und Säkularen, Reichen und Armen.

Dass diesmal keine ultraorthodoxen Parteien in der Regierung vertreten sind, ist ebenfalls eine Ausnahme. Seit 1977 gab es das nur zwei Mal – 2003 und 2013 – und auch nur jeweils für eine kurze Zeit. Deren Vertreter werden nun von der Oppositionsbank aus gegen die Regierung wettern, aber letztlich können sie nicht viel sagen gegen den ersten israelischen Regierungschef, der eine Kippa trägt.

Fokus Innenpolitik

Der Fokus der neuen Regierung liegt explizit auf der Innenpolitik. „Langweilige Politik“, bezeichnete es Lapid. Im Vordergrund stehen Wirtschaftsfragen und der Ausbau von Infrastruktur, es geht auch um demokratische Normen, die unter Netanyahus Ägide zunehmend erodiert waren. Eine „breite Notstandsregierung“ nannte es Bennett. Ein fünfter Urnengang ist erst einmal verhindert worden. Und während der langen Übergangszeit des Wahlmarathons, die zusätzlich noch von der Pandemie beeinträchtigt wurde, war einiges liegen geblieben. Wichtige vakante Posten müssen besetzt werden. Zunächst muss ein Haushaltsetat für 2021/2022 verabschiedet werden. Dazu hat die Koalition vierzig Tage Zeit.

Ausklammern von kontroversen Fragen

Trotzdem stellt sich die Frage nach einem langfristigen Programm und dem Haltbarkeitsdatum eines solchen bunten Bündnisses. Was kontroverse Fragen angeht, wird man sich darauf einigen, sie erst einmal zu umgehen. Das betrifft vor allem den Umgang mit den Palästinensern und den Siedlungen. Für Yair Lapid und die Parteien zu seiner Linken etwa ist eine Annektierung auch nur von Teilen des Westjordanlands ein No-Go. Bennett und seine rechten Koalitionspartner wiederum vertreten die Interessen der Siedler. Er selbst hat sich in der Vergangenheit für eine Annektierung der besetzten Gebiete ausgesprochen. Man kann davon ausgehen, dass es weder zu einer Annektierung von Gebieten, noch zu einem Abzug aus dem Westjordanland kommen wird. Eine neue Friedensinitiative mit den Palästinensern ist da eher unwahrscheinlich.

Sicherheitsfragen als Belastungsprobe

Sicherheitsfragen aber werden die neue Regierung immer wieder herausfordern. Als erste Bewährungsprobe galt – nur zwei Tage nach der Vereidigung - eine traditionelle Flaggenparade von israelischen Nationalisten durch die Jerusalemer Altstadt, für die ein massives Aufgebot an Polizei und Militär bereitgestellt wurde. Die Sorge vor erneuten Unruhen war groß, zumal der Waffenstillstand nach den jüngsten heftigen Gefechten mit Gaza im Mai 2021 als wackelig gilt. Die islamistische Hamas, die sich seither zum Verteidiger Jerusalems stilisiert hat, drohte, jede aus ihrer Sicht provokative Aktivität mit einem erneuten Raketenbeschuss zu beantworten. Am Ende beschränkte sich die Hamas darauf, Brandballons über die Grenze zu schicken, die Armee flog daraufhin Angriffe auf Gaza. Die neue Regierung steht unter Druck, harsch zu antworten, ohne eine Eskalation zu riskieren.

Hisbollah und Iran

Die Belastbarkeit einer neuen Regierung in Israel wird erfahrungsgemäß gerne von den Feinden in der Region getestet. So war es etwa auch im Sommer 2003, als es nur wenige Monate nach dem Amtsantritt von Ehud Olmert, zum Libanonkrieg mit der dort vom Iran unterstützten Hisbollah kam. Die libanesische Terrormiliz hat seither weiter aufgerüstet. Während der jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen mit Gaza im Mai 2021 bestand in Israel durchaus die Sorge vor Angriffen der Hisbollah aus dem Norden, die über ein weitaus mächtigeres Arsenal als die Hamas verfügt.

Im Hinblick auf eine Rückkehr zum Atomwaffenabkommen mit dem Iran, teilt die neue Regierung die Sicht ihrer Vorgänger. Die Hauptkritik richtet sich gegen den Ablauf der Frist für die Beschränkungen des iranischen Atomprogramms im Jahr 2030 sowie gegen die Tatsache, dass Teherans Stellvertreterkriege – etwa im Libanon - nicht unterbunden würden. Israel werde es nicht zulassen, dass der Iran Atomwaffen bekomme, betonte Bennett. Eine Rückkehr zu dem bisherigen Deal hält er für gefährlich.

USA und Europa

Dennoch könnte sich ein neues Kapitel in den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten auftun. Der amerikanische demokratische Präsident Joe Biden hat Bennett nur wenige Stunden nach seiner Vereidigung am 13. Juni 2021 gratuliert. Er freue sich auf die Zusammenarbeit, sagte er. Denn Biden wird mit Bennett, dessen Eltern aus den Vereinigten Staaten stammen und der zu einer Politik der Überparteilichkeit im Hinblick auf Washington zurückfinden will, einen angenehmeren Partner als Netanyahu haben, der sich zunehmend mit den Republikanern identifiziert hatte. Yair Lapid, der zunächst das Amt des Außenministers innehat, will künftig auch wieder stärker die Beziehungen zu Europa pflegen.

Netanyahu als Oppositionschef

Als neuer Oppositionschef will Netanyahu der neuen Regierung aber das Leben so schwer wie möglich machen. Er nahm sich keine halbe Stunde Zeit, um seinen Nachfolger in die Geschäfte einzuführen, verweigerte die übliche Zeremonie bei der Amtsübergabe. Ob ihm aber die von ihm bereits angekündigte Rückkehr an die Macht tatsächlich gelingen wird, ist fraglich. Dazu könnte es ihm an Gefolgschaft fehlen. In seiner eigenen Likud-Partei gibt es heute immer mehr Stimmen, die eine neue Führung aufbauen wollen. Immerhin war Netanyahu vier Mal hintereinander mit einer Regierungsbildung gescheitert. Viele wollen deshalb die Lebensdauer der neuen Regierung nicht unbedingt gleich schon wieder verkürzen. Ein tobender Netanyahu auf der Oppositionbank mag gefährlich sein, er könnte aber so auch weiterhin den Kitt liefern für das neue breite Regierungsbündnis.

Ausblick

Unklar ist, wie lange diese Koalition halten wird und was sie konkret bewirken kann. Man darf gespannt sein, wie sich die Kooperation gestalten wird zwischen einem rechten religiösen Ministerpräsidenten, einer überzeugten Feministin an der Spitze der Arbeitspartei, einem bekennenden Homosexuellen als Vorsitzenden der Meretz-Partei und einem konservativen Muslim an der Spitze der Raam-Partei, um nur einige zu nennen. Kaum jemand hatte geglaubt, dass ein solches Bündnis überhaupt zustande kommen würde. Allein schon seine Existenz ist ein Beweis dafür, dass sich mit gutem Willen fast Unmögliches vollbringen lässt. Überraschende Dynamiken lassen sich deshalb auch in Zukunft nicht ausschließen.

Autorin: Prof. Dr. Gisela Dachs

Naher Osten, Nordafrika
Claudia Fackler
Leiterin