Zum National Prayer Breakfast reisen jährlich am zweiten Donnerstag im Februar hochrangige Delegationen nach Washington. Das Thema: Religionspolitik weltweit. Auch der oft beklagte Bedeutungsverlust christlicher Werte in Deutschland wurde angesprochen. Der Theologe Thomas Schirrmacher hielt dem entgegen: Die Religion kehrt zurück in Deutschland.
Moderate Strömungen im Islam fördern, radikale vehement bekämpfen (Thomas Schirrmacher).
Christliches Medienmagazin pro; CC0; Thomas Schirrmacher
Die Ankunft hunderttausender Flüchtlinge in Deutschland in den letzten Jahren befördere die Spaltung nicht nur innerhalb Deutschlands und Europas, sondern sogar innerhalb konservativer Kreise. Die ungarische konservative Regierungspartei FIDESZ möchte beispielsweise gar keine Flüchtlinge aufnehmen, und wenn, dann nur wenige Christen. Die CSU forderte eine Obergrenze in Reaktion auf die Grenzöffnungspolitik der Bundeskanzlerin. Auch die europäische Bischofskonferenz war gespalten: Während sich die deutschen Bischöfe für eine offene Willkommenskultur aussprachen, plädierten die Glaubensvertreter aus der Schweiz und Österreich für strikte Migrationskontrolle.
Nein zur Scharia
Im Zuge der Migrations- und Fluchtbewegungen aus vorwiegend islamischen Ländern wird auch die Debatte über Religionsfreiheit heute wieder neu belebt. Sicherlich gelte die Aussage von Angela Merkel, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Dem sei, so Schirrmacher, nur hinzuzufügen, dass das nicht für die Scharia gelte. [Anm.d.Red. Forderungen nach Geltung der Scharia in Deutschland sind bisher von keinem Politiker gestellt worden. Sowohl Angela Merkel und bereits vor ihr Christian Wulf hatten sich unmissverständlich für einen gemäßigten Islam auf Grundlage des Grundgesetzes ausgesprochen.] Die Scharia kommt vor allem in ländlichen Gebieten islamischer Länder zur Anwendung, wo Bildungsdefizite am größten sind. Gerade auch um die Rechte von Frauen zu stärken, müsse man für gute Schulen sorgen, so Schirrmacher.
In Europa müsse man die Unabhängigkeit der islamischen Gemeinschaften bewahren, die in Deutschland zu sehr von Imamen aus der Türkei oder von radikaler religiöser Propaganda aus Katar beeinflusst seien, glaubt Schirrmacher. Moderate Strömungen im Islam müssten gefördert, radikale vehement bekämpft werden. Schirrmacher äußerte weiter seine persönliche Interpretation zu den Zuständen im Nahen Osten: Die Tendenz zur Radikalisierung in Teilen der islamischen Welt sei Besorgnis erregend. Vormals säkulare Staaten wie beispielsweise die Türkei seien heute von einer islamistischen anti-christlichen Welle erfasst.
Sicherheit und Freiheit: Bayern als Vorbild
Auf der christlichen Tradition gründe sich Europas moralischer Kompass, der sich in der Neutralität des Staates, in der Würde des Menschen und im Respekt vor dem anderen Glauben zeige. Werte, die durchaus auch in der islamischen Tradition eine bedeutende Rolle spielen. Religions- und Glaubensfreiheit basierten auf dem Prinzip der Gewaltfreiheit, wie der international renommierte Religionsphilosoph erläuterte. Damit meinte er besonders den Verzicht auf aggressive Mission oder die Diffamierung vermeintlich Ungläubiger. Je größer der Einfluss der Kirche auf den Staat, desto stärker sei die Religionsfreiheit in Gefahr.
Der bayerische Weg habe Vorbildcharakter: Man bekenne sich zu seiner christlichen Tradition, führe eine sachliche Leitkultur-Debatte, werfe ein wachsames Auge auf Radikalisierungstendenzen in bestimmten Moscheen und zeige Null-Toleranz gegenüber religiös motivierter Gewalt, egal von welcher Seite.
Im Diskurs mit Mark Livecche, Herausgeber des Washingtoner Religionsjournals Providence, kam Thomas Schirrmacher zum Urteil, dass die christlichen Triebfedern in der deutschen Außenpolitik gering seien. Immerhin werde das hohe Gut der Religionsfreiheit regelmäßig angesprochen, wie beispielsweise von Angela Merkel gegenüber dem kasachischen Präsidenten und sieht die pazifistische Prägung der deutschen Gesellschaft in einer eine Traditionslinie des liberalen Protestantismus.
Chancen der neuen Religiosität
Resümierend hielt Thomas Schirrmacher fest: „Wir haben weniger ein Problem mit dem Islam, sondern vielmehr ein Problem mit unseren eigenen christlichen Werten. Wir müssen an unsere eigenen Werte glauben und fest auf unserem christlichen Fundament stehen, um international glaubwürdig Werte wie Menschenrechte und Religionsfreiheit verfechten zu können.“
Die Polarisierung und der Wertewandel der Gesellschaften heute seien greifbar. Doch die Religions- und Wertedebatte im Zuge der Flüchtlingskrise seien eine Chance für neue Religiosität und Rückbesinnung auf die Werte der Würde, des Respekts, der Humanität und der Demokratie. Diese Werte müssten universal Geltung haben.