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Interview mit Gerd Müller, MdB
Marshallplan mit Afrika

Autor: Dr. Alexander Wolf

Im HSS-Interview erklärt der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wie die Umsetzung des "Marshallplans mit Afrika" konkret vorankommt und auf welche Themen sein Ministerium aktuell den Fokus legt.

Seit Dezember 2013 ist Dr. Gerhard "Gerd" Müller Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Bevor der meinungsstarke Wirtschaftspädagoge als Europaabgeordneter und parlamentarischer Geschäftsführer der EVP-Fraktion (1989 bis 1994) nach Brüssel ging, war er u.a. stellv. Leiter des Instituts für Internationale Beziehungen der Hanns-Seidel-Stiftung. Seit 1994 vertritt er als direkt gewählter Abgeordneter den Wahlkreis Oberallgäu im Bundestag. Zudem engagiert er sich seit über 20 Jahren als stellv. Vorsitzender des CSU-Bezirksverbandes Schwaben sowie als Vorsitzender der Kommission für Internationale Beziehungen der CSU. Ab 2002 war er als stellv. Vorsitzender des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus beschäftigt, bis er 2005 als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ins Kabinett Merkel I berufen wurde. Der gebürtige Schwabe wurde 2007 mit dem Bayerischen Verdiensstorden ausgezeichnet und ist Vater von zwei Kindern.

"[...] Angebot einer partnerschaftlichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe" (Gerd Müller über den "Marshallplan mit Afrika")

"[...] Angebot einer partnerschaftlichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe" (Gerd Müller über den "Marshallplan mit Afrika")

Dr. Alexander Wolf (HSS): Herr Minister, welche internationale Verantwortung hat Deutschland? Müssen wir uns aktiver in der Welt engagieren?

Dr. Gerd Müller: Deutschland trägt Verantwortung für eine gute Entwicklung in der Welt und vor allem in den armen Regionen. Die Bundesregierung nimmt diese Verantwortung an: Deshalb verzahnen wir Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik so eng wie nie zuvor. Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik und hat damit einen ganz neuen Stellenwert. Denn klar ist: Wir müssen bestehende Probleme vor Ort lösen, sonst kommen noch viel mehr notleidende Menschen zu uns. Nur mit erfolgreicher Entwicklungspolitik schaffen wir Frieden und Stabilität in der Welt, und ganz besonders auf unserem Nachbarkontinent Afrika.   


HSS: Stichwort „Marshallplan mit Afrika“ – worum geht es bei diesem neuen Ansatz Ihres Ministeriums und welche Länder stehen dabei im Fokus? 

Der Marshallplan mit Afrika ist ein neuer Ansatz in der deutschen Afrikapolitik. Er steht für ein umfassendes Konzept, das von der Entwicklungspolitik über die Wirtschafts- bis hin zur Handelspolitik reicht. Grundlage ist das Angebot einer partnerschaftlichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Und wir sind bereits mitten in der Umsetzung: Im letzten Jahr haben wir Reformpartnerschaften mit Ghana, Tunesien und der Elfenbeinküste auf den Weg gebracht. Diese Länder haben sich uns gegenüber darauf verpflichtet, dringend notwendige Reformen umzusetzen. Hier geht es zum Beispiel um die Bereiche Finanzen, Banken oder Energie. Ziel der Reformen ist es, mehr Rechtssicherheit zu schaffen und Korruption zu bekämpfen. Nur so wird es gelingen, die wirtschaftliche Entwicklung in den Partnerländern voranzubringen und mehr private Investitionen zu ermöglichen.  


HSS: Welche weiteren Schwerpunkte wird das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Ihrer zweiten Amtszeit verfolgen?

Im Mittelpunkt bleibt die Frage, wie wir mit besseren Zukunftsperspektiven vor Ort dafür sorgen können, dass Menschen sich nicht auf die Flucht begeben müssen. Ich denke hier an die Millionen von Menschen in und um Syrien. Wir wollen erreichen, dass sie in ihrer Region bleiben können und sich nicht in die Hände von Schleppern begeben müssen. Darum weiten wir unser Engagement aus. Schon jetzt haben wir über 140.000 Jobs durch unsere Beschäftigungsinitiative Nahost geschaffen. Mit dem neuen Rückkehrerprogramm „Perspektive Heimat“ geht es uns jetzt darum, die Voraussetzungen für eine freiwillige Rückkehr von in Deutschland lebenden Flüchtlingen zu schaffen. Niemand soll als Verlierer in seine Heimat zurückkehren. Stattdessen wollen wir dazu beitragen, dass die Rückkehrer wertvolle Hilfe beim Wiederaufbau leisten und sich wieder gut in ihre Gesellschaften und den dortigen Arbeitsmarkt integrieren können.


HSS: Im Bundeshaushalt 2018 sollen die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit um 11,6 Prozent auf 9,44 Milliarden Euro steigen. Für das Folgejahr plant Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) jedoch weniger Mittel für das BMZ ein. Können Sie damit zufrieden sein?  

Der Entwicklungsetat hat sich in den letzten Jahren gut entwickelt. Wir haben 2018 wieder eine Stärkung erreicht, die uns hilft, dringende Herausforderungen anzugehen. Was 2019 betrifft, so laufen derzeit die Gespräche. Wir haben in der Koalition vereinbart, dass die Quote für staatliche Entwicklungshilfe nicht sinken darf. Sonst müssten wir unser Engagement für die sechs Millionen Flüchtlinge in und um Syrien einschränken. Auch bei den Themen Ausbildung und Beschäftigung, vor allem in Afrika, und beim Rückkehrerprogramm „Perspektive Heimat“, könnten wir unsere Ziele dann nicht umsetzen. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir den Finanzminister überzeugen. Denn wir haben uns gemeinsam darauf verständigt, dass finanzielle Spielräume, wie wir sie derzeit haben, zuerst für Entwicklung und Verteidigung verwendet werden sollen.  


HSS: Welchen Einfluss hat die Flüchtlingskrise auf den Stellenwert der Entwicklungszusammenarbeit? Findet der von Ihnen geforderte Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit schon statt?

Entwicklungszusammenarbeit ist heute so sichtbar wie nie zuvor. Dazu hat sicherlich auch der Zustrom der Flüchtlinge nach Europa beigetragen. Aber der notwendige Paradigmenwechsel hat damit nur bedingt zu tun. Hier geht es mehr um die Einsicht, dass öffentliche Gelder allein die Herausforderungen in Entwicklungsländern nicht lösen werden. Wir brauchen mehr Einsatz von privatem Kapital. Es geht also um die Wirtschaft. Bis jetzt sind nur wenige deutsche Unternehmen in Afrika aktiv. Wenn wir den Kontinent nicht den Chinesen und anderen überlassen wollen, müssen wir Afrika viel stärker als Kontinent der Chancen annehmen. Deshalb erarbeiten wir zurzeit ein Entwicklungsinvestitionsgesetz, das Anreize setzt und Risiken besser absichert. Und wir setzen uns dafür ein, den Handel mit Afrika fairer zu gestalten – das ist eine wichtige Aufgabe für die Europäische Union.  


HSS: Wie stehen Sie als Entwicklungsminister zu der Forderung, Herkunftsländern, die sich bei der Rückführung nicht aufenthaltsberechtigter Flüchtlinge nicht kooperativ zeigen, die Entwicklungshilfe zu kürzen?  

Klar ist, dass die Zahl der Rückführungen viel zu gering ist. Hier sind die Innenminister der Bundesländer gefordert. Die Entwicklungszusammenarbeit sollte hier nicht instrumentalisiert werden. Es wäre nicht hilfreich, wenn wir jetzt den Bau von Schulen und Krankenhäusern, die Versorgung mit Wasser oder den Aufbau von Ausbildungssystemen für Jugendliche stoppen. Die Lage der Flüchtlinge in den Krisenregionen würde sich dadurch weiter verschärfen. Letztendlich gäbe es also noch mehr Migranten, nicht weniger.  


HSS: Wie können die Bundesregierung und die Europäische Union dazu beitragen, die Globalisierung gerechter zu gestalten?
 

Wir Deutsche und Europäer dürfen unseren Reichtum nicht länger auf dem Rücken der Entwicklungsländer aufbauen. Afrika ist ein rohstoffreicher Kontinent, denken Sie an den Kakao und den Kaffee auf Ihrem Frühstückstisch oder die Rohstoffe in Ihrem Handy. Wir nutzen die Ressourcen Afrikas also, bezahlen den Menschen dort aber keine fairen Löhne. Und wir akzeptieren, dass die Natur ausgebeutet wird. Das sind Praktiken, die mit dem christlichen Menschenbild, mit dem Erhalt der Schöpfung nicht zusammenpassen. Deshalb muss das Ziel allen Handelns sein, nachhaltiger zu wirtschaften und zu konsumieren. Wir haben nur eine Erde. Und auf dieser Erde wollen wir auch in Zukunft gut leben.


HSS: Herr Minister, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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