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Bayerische Wirtschaftsdelegation in Moskau
Lebendige Gründerszene als Innovationsmotor für die Wirtschaft

Autor: Jan Dresel

Die Moskauer Gründerszene ist in den vergangenen Jahren so stark und nachhaltig gewachsen, dass ihre Dynamik in der internationalen Fachpresse immer häufiger mit der finnischen oder israelischen Gründerszene verglichen wird. Startups haben in der russischen Hauptstadt Hochkonjunktur; allein im Innovationzentrum Skolkowo haben sich trotz hoher Anforderungen an die Gründer inzwischen 1.700 Startups niedergelassen, was einer jährlichen Wachstumsrate von immerhin fünf Prozent entspricht. Die Hanns-Seidel-Stiftung hat dies zum Anlass genommen, vier ausgewiesene Wirtschaftsexperten aus Bayern, darunter der frühere bayerische Wirtschaftsminister Erwin Huber, MdL, zu einem Erfahrungs- und Informationsaustausch nach Moskau einzuladen.

Für die russischen Tagungs- und Gesprächsteilnehmer war es von großem Interesse, sich mit den bayerischen Experten auszutauschen, denn Bayern ist schon seit Jahren für seine aktive und erfolgreiche Gründerszene bekannt. Speziell im Bereich Gesundheitswesen liegen bayerische Startups bei den Finanzierungssummen mit Risikokapital mit insgesamt 75 Millionen Euro deutschlandweit an der Spitze. Dementsprechend ging es bei den Gesprächen in Moskau zum einen um konkrete Erfolgsfaktoren der deutschen und russischen Startups wie das jeweilige Investitionsumfeld oder den Grad der Vernetzung innerhalb der jeweiligen Gründerszenen, zum anderen aber auch um „weiche“ Faktoren. Dazu zählen professionelle Angebote der Gründungsberatung bei Fragen der Finanzierung und der optimalen Strukturierung neuer Unternehmen, aber auch die psychologische Vorbereitung und Sensibilisierung der Gründer für die sie erwartende Marktsituation und interne Herausforderungen wie die Förderung einer positiven Mitarbeiterkultur.

Konferenztisch mit Fotowänden der Hanns-Seidel-Stiftung im Hintergrund

Innerhalb Russlands hat Moskau die Führungsrolle in der Startup-Szene inne, so Alexej Kostrow, Geschäftsführer der Stiftung für Wagniskapital der Moskauer Stadtregierung.

HSS

Neue US-Sanktionen als Damoklesschwert

Bei einem Hintergrundgespräch mit Thomas Graf, Leiter der Abteilung Wirtschaft und Wissenschaft der Deutschen Botschaft Moskau, ging es um den aktuellen Zustand der russischen Wirtschaft. Nach seiner Einschätzung wird das derzeitige Wirtschaftswachstum nicht ausreichen, um ein weiteres Zurückfallen Russlands im internationalen Wettbewerb zu verhindern. Die dringend notwendigen Wirtschaftsreformen seien von gesellschaftlichen Reformen kaum zu trennen, zu denen die Machtelite derzeit aber nicht bereit sei. Die im Sommer verabschiedeten neuen US-Sanktionen gegen Russland würden zudem wie ein Damoklesschwert nicht nur über der russischen Wirtschaft, sondern aufgrund ihrer extraterritorialen Wirkung auch über deutschen Unternehmen schweben. Zum Thema Startups und Gründerszene sagte Graf, es mangle in Russland an innovativen Unternehmensgründungen und an Wagniskapital. Außerdem seien russische Startups in vielen Fällen ausschließlich auf den russischen Heimatmarkt konzentriert und hätten wenig Interesse daran, ihre Produkte oder Dienstleistungen auf den internationalen Märkten anzubieten.

Mit den passenden Strukturen zur Förderung und Unterstützung junger Gründerszenen lassen sich solche Probleme gezielt angehen: Auf dem Gelände des Moskauer Innovationszentrums Skolkowo, das auch außerhalb der Russischen Föderation anerkennend als das Silicon Valley Russlands bezeichnet wird, befindet sich das Forschungsinstitut für Wissenschaft und Technologie in Skolkowo, kurz Skoltech genannt. Diese Hochschule wurde 2011 nach dem Vorbild des US-amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT) gegründet, muss dank staatlicher Förderung keine Studiengebühren erheben und vergibt zusätzlich Stipendien. In Skoltech würden die Studierenden beständig in die aktuellsten Fortschritte bei Innovationen eingebunden, so Dr. Maxim Kiselev, Direktor für Leadership-Programme bei Skoltech. Sie könnten direkt von der wichtigen Brückenfunktion zwischen Bildung, Wirtschaft und Wissenschaft profitieren, die seine Hochschule biete. Seine Aufgabe als Mentor sei es, die oft aus einem wissenschaftlichen Umfeld kommenden Studierenden mental auf die spezifischen Anforderungen an Startup-Unternehmer vorzubereiten. Die wichtigste Herausforderung dabei sei, die laut Kiselev im russischen Denken stark verhaftete Konzentration auf Misserfolgsvermeidung durch einen verstärkten Fokus auf Erfolgserreichung zu ersetzen. Kiselev hob hervor, dass etwa die Hälfte der Absolventen des ersten Skoltech-Jahrgangs bereits erfolgreiche Unternehmen gegründet habe.

Drei Herren kramen in Unterlagen während einer Konferenz. In der Mitte unser Verbindungsstellenleiter für Moskau, Jan Dresel.

"Startups sind außerordentlich wichtig für Wettbewerb und Innovationsfähigkeit" (Staatsminister a.D. Erwin Huber)

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Startups als Innovationsmotoren

Beim anschließenden Besuch in der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) erhielt die Delegation aus Bayern ein Briefing zur Situation deutscher Unternehmen in Russland und zum aktuellen Stand der sich speziell im Bereich des Onlinehandels rasant entwickelnden Digitalisierung in der Russischen Föderation. Dmitrij Kononenko, Bereichsleiter Digitalisierung und Zukunftstechnologien bei der AHK, sprach von einem regelrechten Boom an Startup-Neugründungen in Russland in den vergangenen fünf Jahren. Speziell in Moskau und im Innovationszentrum Skolkowo, aber auch in den Einzugsgebieten anderer Städte wie St. Petersburg, Jekaterinburg und Nowosibirsk sei ein positiver Trend zu beobachten. Den größten Unterschied zwischen deutschen und russischen Startups sieht Kononenko in der Finanzierung. Während in Russland die meisten Wagniskapitalfonds Staatsunternehmen seien und sich auch viele Inkubatoren und Akzelleratoren in öffentlicher Hand befänden, nehme die private Finanzierung in Deutschland trotz aller staatlichen Förderprogramme weitaus größeren Raum ein. Dies muss nicht unbedingt von Nachteil für den Startup-Standort Russland sein, verdeutlicht aber die große Abhängigkeit der russischen Gründerszene von staatlicher Förderung. 

Wie Kononenko wies auch Alexej Kostrow, Geschäftsführer der Stiftung für Wagniskapital-Investitionen beim Ministerium für Wissenschaft, Industriepolitik und Unternehmertum der Stadt Moskau, im Rahmen einer Arbeitsgruppensitzung mit etwa 35 Teilnehmern auf die Führungsrolle Moskaus bei Startups im innerrussischen Vergleich hin. Allerdings seien die Unternehmen trotz positiver Entwicklungen noch nicht professionell und breit genug aufgestellt, um mit deutschen Startups mithalten zu können. Staatsminister a.D. Erwin Huber, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des Bayerischen Landtags, stellte für die deutsche Delegation die vielfältigen Instrumente vor, mit denen Startups in Bayern gefördert und unterstützt werden. Dazu gehören Vorgründungs-Coachings für Unternehmensgründer, Gründer- und Technologiezentren, die finanzielle Förderung von Startups oder auch Unterstützung bei der Kapitalbeschaffung zum Beispiel durch BayernKapital, die Venture-Capital-Gesellschaft des Freistaats Bayern. Mit ihrer enormen Dynamik, ihrem großen Innovationspotenzial und ihrer weit überdurchschnittlichen Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Anforderungen seien Startups außerordentlich wichtig für Wettbewerb und Innovationsfähigkeit.

Am Kopfende eines Konferenztisches vor Fotowänden der Hanns-Seidel-Stiftung.

Sergej Maltsew von RoboCV und Edda Eichhorn von "Life less ordinary" stellen die Erfolgsfaktoren ihrer Startups vor.

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Besuch in Skolkowo

Dass auch die „weichen“ Faktoren entscheidend für den Erfolg junger Startups sind, verdeutlichten die Vertreter zweier junger bayerischer Unternehmen. So hob Florian Eagan, Bereichsleiter Servicecenter beim Gesundheitsdienstleister Gedikom (Bayreuth), die enorme Bedeutung von Mitarbeiterorientierung für Startups hervor, die sich aus ihrem oftmals sehr jungen und anspruchsvollen Personalbestand ergibt. Edda Eichhorn, Markenbotschafterin von „Life Less Ordinary“ (Murnau), erläuterte die ganz spezielle Rolle, die Exklusivität in Verbindung mit sorgfältiger Zielgruppenanalyse für ihr Startup spielt. Als erfolgreiche Vertreter innovativen russischen Gründertums sprachen Sergej Maltsew von RoboCV, Hersteller von Autopiloten für den industriellen Bedarf, und Fjodor Antonow von Anisoprint, Hersteller innovativer Lösungen für den 3D-Druck, stellvertretend für die in Skolkowo angesiedelten Startups. Beide beliefern derzeit noch hauptsächlich den russischen Markt, wollen aber international expandieren und bald auch den deutschen Markt erobern. 

Zum Abschluss des Dialogprogramms besuchte die bayerische Delegation, der auch Sabine Komar-Häusler (Geschäftsführerin der Komar Products KG, Kolbermoor) angehörte, das Innovationszentrum Skolkowo und das Forschungsinstitut Skoltech. Dort vermittelte der deutsche Provost von Skoltech, Professor Rupert Gerzer, einen umfassenden Gesamtüberblick über die Tätigkeit des Instituts als Kaderschmiede für die künftige russische Startup-Elite. Einige Tagungsteilnehmer aus Deutschland und Russland vereinbarten, den in Moskau iniziierten Austausch auch in Zukunft fortzusetzen und konkrete grenzüberschreitende Projekte anzustoßen, die den Zugang zu den jeweiligen Instrumenten der Investitionsförderung und den gegenseitigen Marktzugang für deutsche und russische Startups im jeweils anderen Land erleichtern sollen.

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Jan Dresel
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