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Landwirtschaft versus Biodiversität? Landwirtschaft und Biodiversität!

Autor: Silke Franke

Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 den Verlust der Biologischen Vielfalt aufzuhalten. Ein Expertenpodium debattierte am 11. Juli in München über die Wechselwirkung von Landwirtschaft und Biodiversität.

Biodiversität steht für Vielfalt der Arten, Vielfalt innerhalb der Arten und Vielfalt der Ökosysteme. Doch über eines sollte man sich dabei im Klaren sein, wie der Landschaftsökologe Prof. em. Dr. Dr. Wolfgang Haber, in seinem Vortrag hervorhob: „Die Natur selbst hat keinen Maßstab für Arten, für die Festlegung von Steigerung oder Schwund“.

Lothar Hövelmann, Ludwig Gruber, Wolfgang Weisser

Lothar Hövelmann, Ludwig Gruber, Wolfgang Weisser

Und doch spielt Vielfalt eine Rolle für die Sicherung der landwirtschaftlichen Erträge. Dies wird am Beispiel der Bienen deutlich. Sie bestäuben, so Wolfgang Weisser (Professor für Terrestrische Ökologie an der TU München), 88 Prozent der Wildpflanzen und 70 Prozent der für uns wichtigen Nutzpflanzen. Dabei zeigt sich: Wildbienen bestäuben quantitativ mehr Blüten als Honigbienen und sie tun dies auch effizienter, d.h. mit einem qualitativ besseren Ergebnis. Weisser gab dabei zu bedenken, dass wir leider oft einen zu einseitigen Blick haben, etwa ob uns eine Art nutzt oder gefällt. Prof. Franz-Theo Gottwald von der Schweisfurth-Stiftung bestätigte: „Am Ende läuft es immer darauf hinaus: Auf die Ökonomie der Biodiversität“.

„Die Menschen haben sich mit dem Übergang zur Landwirtschaft gewissermaßen gegen Vielfalt entschieden, denn sie bevorzugt bestimmte Nutzungsarten und entwickelt diese durch Auslese und Züchtung weiter“, gibt Haber zu bedenken. Inzwischen gelte es, eine Weltbevölkerung von 7,4 Milliarden Menschen zu ernähren. Wie kommen wir aus dem Dilemma Naturnähe versus Welternährung? Ein Ansatz ist das von Haber entwickelte Modell der „differenzierten Landnutzung“, das, verkürzt gesagt, eine räumliche Aufteilung in Flächen vorsieht, die für eine produktive Landwirtschaft geeignet sind, und in Flächen, auf denen eine Naturnähe erhalten bleiben sollte. Haber: „Wir müssen uns immer für oder gegen etwas entscheiden - oder mit Kompromissen leben“.

Wolfgang Haber

Wolfgang Haber

Ob nun differenzierte Landnutzung, Blühstreifen am Rand oder Artenschutz im Acker („landsharing with nature“) jeweils der bessere Ansatz ist - hierzu wurden unterschiedliche Meinungen vertreten. Die  Indikatorenübersicht zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt zeigt unterdessen: Die Arten- und Landschaftsqualität hat sich signifikant verschlechtert, vor allem in Agrarlandschaften. Das Ziel ‚Verbesserung der Biodiversität‘ ist jedoch sehr komplex, „das hängt mit der schwierigen Auswahl und Messbarkeit geeigneter Indikatoren zusammen sowie mit der Wirksamkeit und den Kosten von Maßnahmen“, so Dr. Lothar Hövelmann von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), der aber auch feststellte: „Die Landwirtschaft könnte deutlich mehr für Biodiversität leisten. Man muss das Thema kontinuierlich und mit Penetranz angehen, und zwar auf sektoraler wie auf einzelbetrieblicher Ebene“. Mit dem Nachhaltigkeitsbericht leistet die DLG hierzu einen Diskussionsbeitrag.

Alfred Enderle, Friedrich Mayer, Franz-Theo Gottwald, Ludwig Gruber, Wolfram Güthler, Alfred Herberg, Alois Heißenhuber

Alfred Enderle, Friedrich Mayer, Franz-Theo Gottwald, Ludwig Gruber, Wolfram Güthler, Alfred Herberg, Alois Heißenhuber

Mit dem „Greening“ wurde in der ersten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) eine Ökologisierungskomponente eingeführt – doch in der bestehenden Form wird sie als ein „zu aufwändiges und zu bürokratisches System“ kritisiert. Derzeit werden, berichtete Dr. Alferd Herberg vom Bundesamt für Naturschutz, in einer Studie Vorschläge erarbeitet, wie das Greening tatsächlich funktionieren könnte: „Vielleicht muss man dabei Agrarpolitik grundsätzlich anders gestalten“. Sowohl Friedrich Mayer (Bayerisches Staatsministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten) als auch Wolfram Güthler (Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz) versprechen sich von kooperativen Verfahren einen größeren Nutzen, auch wenn die Erfolge zum Teil vielleicht nicht schnell genug vorangehen: „Ergänzend zu den klaren gesetzlichen Regelungen muss man dort ansetzen, wo was geht, und den Bauern Perspektiven schaffen“. Bestätigt sehen sie sich durch die gute Nachfrage der Landwirte nach dem Bayerischen Agrarumweltprogramm, das mit dem Kulturlandschaftsprogramm und dem Vertragsnaturschutzprogramm freiwillige zusätzliche Leistungen honoriert. Hier gelte es, auch weiterhin auf eine gute Ausstattung der Haushaltsmittel zu achten. Ein neues Programm ist der Wettbewerb „Öko-Modellregionen“, der den ökologischen Landbau in Bayern voranbringen soll indem vor Ort eruiert wird, wie dies gelingen kann.

Auch Hövelmann setzt auf regionale „Agrar-Ökologische-Partnerschaften“, die standortspezifische Biodiversitätsschutzziele sowie Produktions- und Einkommensziele erfasst. Denkbar wäre für ihn auch der ‚Biodiversitätsdienstleister‘ als Geschäftsmodell für Landwirte.

Mehr Personal für eine unabhängige Beratung kann sich Mayer vorstellen: „Wir haben generell gute Erfahrungen mit Projektmanagern vor Ort, siehe etwa Wildlebensraumberatung“. Bedarf sieht er vor allem im Bereich der ‚Produktionsintegrierten Maßnahmen: „Ein Feld, das leider der Privatwirtschaft überlassen wurde. Hier wurden die Weichen falsch gestellt“. Für Umsetzungsprojekte selbst sieht er gute Kooperationschancen mit der Wirtschaft, hat doch jedes Unternehmen heutzutage einen Nachhaltigkeitsbericht und ist froh, wenn es entsprechende Projekte unterstützen kann.

Mit „Öko-Modellregionen“ soll die Biodiversität noch weiter gestärkt werden.

Mit „Öko-Modellregionen“ soll die Biodiversität noch weiter gestärkt werden.

Silke Franke; HSS

Ein solches Beispiel lieferte Dr. Ludger Breloh, Leiter des Bereichs Grüne Produkte der REWE Group: „Mit unserer ‚Pro Planet Initiative‘ wollen wir im Massenmarkt nachhaltigere Produkte anbieten“. Hierzu hat das Unternehmen so genannte „Hot-Spot-Analysen“ in Auftrag gegeben, im Rahmen derer ausgesuchte Produktgruppen die gesamte Kette von der Erzeugung über Verarbeitung und Handel bis zum Konsumenten hinsichtlich der Kriterien Einsatz von Ressourcen, Klimaschutz, Artenvielfalt und Tierschutz, soziale Verantwortung und Produktsicherheit kritisch unter die Lupe genommen wurden. Für das Produkt Apfel stellte sich heraus, dass der Rückgang der (Wild-) Bienen ein solcher Hot-Spot ist. Daraufhin wurde ein Pilotprojekt am Bodensee gestartet, bei dem Erzeuger und Naturschutzbund gemeinsam vor Ort geeignete Maßnahmen erarbeitet haben, die dann von Rewe finanziert wurden. Dazu gehören z.B. die Ansaat von artenreichen Blühflächen und Bienenweiden, Heckenpflanzungen und das Anbringen von Nistkästen. Voraussetzung für den Projekterfolg, so Breloh: „Miteinander reden, überzeugen statt fordern“.

„Wenn nun aber jeder Einzelhändler seine eigenen Vorstellungen zu den ohnehin bestehenden Regelungen draufsattelt, wird es allerdings schwierig“, gab Alfred Enderle, Umweltpräsident des Bayerischen Bauerverbands zu bedenken und merkte an: „Das niedrige Preisniveau für Lebensmittel in den Geschäften wäre ohne die heutige Form der Landwirtschaft nicht möglich“

Benjamin Gräub

Benjamin Gräub

Einen komplett anderen Blickwinkel auf das Thema zeigte Benjamin Gräub auf, der unter anderem bei der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen mit verschiedenen Projekten betraut war. Dabei hat er sich mit der Übertragung der Theorie der Resilienzforschung auf die Herausforderungen von Agro-Ökosystemen in Afrika beschäftigt. Seine Erfahrung: Biodiversität geht mit Multifunktionalität einher und diese wiederum ist ein Baustein, der die Resilienz verbessert, also die Widerstandsfähigkeit gegenüber unvorhergesehenen Störungen und Krisen erhöht. Er hat einen Fragebogen entwickelt, mit dem Landwirte anhand von 13 Indikatoren selbst ihre Lücken und Schwächen aufdecken können.

So zog Alois Heißenhuber als Fazit der Veranstaltung: „Biodiversität, Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Resilienz – wenn man hier fragt, ob sich das überhaupt rentiert, so muss man antworten: kurzfristig vielleicht nicht; es ist eine Frage der Langzeitbetrachtung!“

Das Fachkolloquium fand statt auf Einladung der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung unter Mitwirkung der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, vertreten durch das ordentliche Mitglied Prof. Dr. Dr. Alois Heißenhuber.

Zum Download:

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Umwelt und Energie, Städte, Ländlicher Raum
Silke Franke
Leiterin