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Historisches Treffen zur weltweiten Christenverfolgung

Erstmals in der Geschichte haben sich hochrangige Vertreter der verschiedenen kirchlichen Traditionen zusammengefunden und über die weltweit wachsende Verfolgung von Christen beraten. Als Ergebnis wurde eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, die ein neues Kapitel der Kirchengeschichte aufschlagen könnte.

Der orthodoxe Erzbischof Anastasios Yannoulatos begrüßte die Teilnehmer in Tirana

Der orthodoxe Erzbischof Anastasios Yannoulatos begrüßte die Teilnehmer in Tirana

© GCF

Die Abgesandten des „Pontifical Council for Promoting Christian Unity“ des Vatikan, der „Pentacostal World Fellowship“, der „World Evangelical Alliance“ und des „World Council of Churches“ bekannten in enger Abstimmung mit Orthodoxen Kirchenvertretern zum ersten Mal in der Kirchengeschichte gemeinsam ihre Schuld, dass sie sich in der Vergangenheit sowohl untereinander als auch andere religiöse Gemeinschaften verfolgt haben, und baten gegenseitig um Vergebung.

Gemeinsam forderten sie die Regierungen weltweit auf, das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit als ein fundamentales Menschenrecht zu respektieren und zu schützen.Ihr besonderes Augenmerk solle zusammen mit den internationalen Organisationen aktuell auf dem Schutz der Christen und anderer religiöser Minderheiten in den betroffenen Kriegs- und Krisengebieten liegen. Des Weiteren wurden auch die Medien aufgefordert, in angemessener und unvoreingenommener Weise über die Verletzungen der Religionsfreiheit zu berichten. Als Selbstverpflichtung formulierten alle Beteiligten, künftig noch stärker als bisher den Bedrängten zuzuhören, beizustehen, für sie zu beten, ihnen gemeinsam eine klare und starke Stimme zu verleihen und nach effektiven Wegen zu suchen, Religionsfreiheit für alle Unterdrückten und Verfolgten durchzusetzen. 

Zum vollständigen Text der gemeinsamen Erklärung geht es HIER.

Olav Fykse Tveit repräsentierte in Tirana den Ökumenischen Rat der Kirchen.

Olav Fykse Tveit repräsentierte in Tirana den Ökumenischen Rat der Kirchen.

© GCF

Als einer der Hauptredner war der Gründer der Gemeinschaft Sant’Egidio nach Tirana gekommen. Er warf den westlichen Christen Ignoranz und einen Mangel an Sensibilität vor: „Die westliche Kultur“, so Andrea Riccardi, „ist geprägt von einem starken Schuldbewusstsein aufgrund vergangener Fehlentwicklungen und Gewalt, die im Namen des Christentums begangen worden ist.“ Dieses durchaus berechtigte Bewusstsein habe allerdings eine andere Realität fast vollständig überlagert, die sich durch das gesamte letzte Jahrhundert hindurch bis in die Gegenwart ziehe, die Verfolgung von Christen.„Christliche Gemeinschaften sind vielfach mit sich selbst beschäftigt und überhören häufig die Rufe aus einer Welt, in der Männer wie Frauen des Glaubens gedemütigt und verfolgt werden. Ihnen fehlt das Gespür für die zutiefst schmerzhaften Erinnerungen des 20. Jahrhunderts. Diese Unkenntnis der Vergangenheit und gegenwärtige Insensibilität bedingen einander.“ 

Zahlreiche Augenzeugenberichte aus Ländern wie Syrien, Sudan, Eritrea oder Nigeria unterstrichen die dramatischen Ausmaße, die dieses Thema inzwischen angenommen hat.
Als ein Vertreter der verfolgten Christen kam Basile Georges Casmoussa, der frühere Erzbischof von Mossul im Irak, zu Wort: „Erleben wir nicht gegenwärtig einen sozio-kulturellen Genozid an den Christen des Irak? Ein Genozid beginnt nicht erst bei der physischen Auslöschung eines Volkes, sondern mit der systematischen Zerstörung seiner sozialen Bindungen, seiner Kultur, seiner gemeinschaftlichen Geschichte und Überlieferungen, ebenso wie seiner Zukunft und aktiven Präsenz im Land seiner Vorfahren. Die Christen in der Ninive-Ebene erleben täglich massive Diskriminierung. Wenn sie verschwinden, steht die Existenz der christlichen Gemeinschaft im Irak auf dem Spiel.“ 

Kurt Kardinal Koch überbrachte eine Botschaft von Papst Franziskus.

Kurt Kardinal Koch überbrachte eine Botschaft von Papst Franziskus.

© GCF

Eine besondere Note erhielt die Konferenz durch ein Grußwort von Papst Franziskus, das von Kurt Kardinal Koch überbracht wurde. „Ich denke mit tiefer Traurigkeit an die eskalierende Diskriminierung und Verfolgung von Christen im Nahen Osten, in Afrika, Asien und andernorts auf der Welt“, so der Papst. „Ihre Zusammenkunft zeigt, dass wir als Christen unseren leidenden Brüdern und Schwestern nicht gleichgültig gegenüberstehen. In verschiedenen Teilen der Erde ist das Bekenntnis zu Christus gerade durch den damit verbundenen Blutzoll zu einer gemeinsamen Erfahrung von Katholiken, Orthodoxen, Anglikanern, Protestanten, Evangelikalen und Pfingstlern geworden, die tiefer und stärker ist als die Unterschiede, die unsere Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften immer noch trennen. Die ‚communio martyrum‘ ist das größtmögliche Zeichen unserer gemeinsamen Wanderschaft.“ 

Man darf gespannt sein, ob die beteiligten Vertreter der verschiedenen kirchlichen Traditionen diesen besonderen Moment der Kirchengeschichte zu nutzen verstehen und die gewaltige Herausforderung, vor der die Christenheit heute als ganze durch die Missachtung des Menschenrechts Religionsfreiheit steht, künftig verstärkt gemeinsam angehen. 

Die Organisatoren der informellen Plattform „Global Christian Forum“ hatten den Ort der Zusammenkunft unter dem Titel „Discrimination, Persecution, Martyrdom: Following Christ Together“ mit Bedacht gewählt. Albanien hatte sich 1967 in seiner Verfassung als (ersten) atheistischen Staat konstituiert. Nach Zeiten schlimmster Verfolgung der christlichen und muslimischen Bevölkerung erlebt das Land heute eine religiöse Renaissance im Rahmen eines interreligiösen Klimas des Respekts und der Toleranz. Dies unterstrich auch Staatspräsident Bujar Nishani bei einem abendlichen Empfang zu Ehren der Konferenzteilnehmer.