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Interview mit Dr. Thomas Schlemmer
Grundsätzliches im Wandel?

Autor: Maximilian Witte

Am 13. Februar findet die Podiumsdiskussion "Grundsätzliches im Wandel?" zur Geschichte der Grundsatzprogramme der CSU seit 1945 statt. Mit dem Historiker Dr. Thomas Schlemmer vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ) unterhalten wir uns im Vorfeld über die Entwicklung der CSU und ihrer politischen Ausrichtung in den vergangenen 78 Jahren.

Die Auftaktveranstaltung in voller Länge:

Die CSU, eine Allerweltspartei? Das ist sie nie gewesen. Sieben Grundsatzprogramme hat sie im Laufe ihrer Geschichte vorgelegt und damit Antworten auf die drängenden Fragen und Herausforderungen ihre Zeit gegeben. Ein mit den ehemaligen und aktuellen Vorsitzenden der CSU-Grundsatzkommissionen - Theo Waigel, Edmund Stoiber, Alois Glück, Markus Blume, Anja Weisgerber, Gerhard Hopp - sowie dem Historiker Thomas Schlemmer/IfZ hochkarätig besetztes Podium diskutiert Entwicklung, Ziele und Schwerpunktsetzungen der Programme, die den gesellschaftlichen und politischen Wandel Bayerns seit 1945 widerspiegeln. Moderiert wurde die Auftaktveranstaltung zu einer ganzen Reihe „Grundsätzliches“ von Sandra Victoria Rothhaar.

Dr. Thomas Schlemmer studierte Neuere und Neueste Geschichte, Sozial- und Wirtschaftgeschichte sowie Politikwisschenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er promovierte 1996 mit einer Arbeit über „Die Christlich-Soziale Union 1945 bis 1955“. Er lehrt seit seiner Habilitation im Jahr 2009 auch als Privatdozent an der Universität München. Von 1993 bis 2001 und seit 2005 ist er wisschenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Seit 2019 ist Schlemmer zudem Chefredakteur der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte.

Dr. Thomas Schlemmer studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München und arbeitet am Institut für Zeitgeschichte. 1996 promovierte mit einer Arbeit über „Die Christlich-Soziale Union 1945 bis 1955“.

Dr. Thomas Schlemmer studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München und arbeitet am Institut für Zeitgeschichte. 1996 promovierte mit einer Arbeit über „Die Christlich-Soziale Union 1945 bis 1955“.

Sammy Hart; IfZ

Fragen an Dr. Thomas Schlemmer zur Veranstaltung "Grundsätzliches im Wandel?" am 13. Februar

HSS: Wie hat christlich-soziale Politik die bundesdeutsche Politik in den vergangenen Jahrzehnten mitbestimmt? Haben Sie da ein paar Beispiele?

Thomas Schlemmer: In der Gründungsphase der Bundesrepublik ist an erster Stelle die Verankerung und Ausgestaltung des föderativen Prinzips zu nennen, in den 1950er Jahren sicher auch die Mitarbeit am Aufbau der Bundeswehr unter Franz Josef Strauß , der zwischen 1966 und 1969 zudem maßgeblich an der Modernisierung des finanz- und wirtschaftspolitischen Apparates der Bundesrepublik beteiligt war.

Man denkt auch die Klage der bayerischen Staatsregierung unter Ministerpräsident Alfons Goppel gegen den Grundlagenvertrag mit der DDR vor dem Bundesverfassungsgericht im Jahr 1972, die zwar 1973 abgewiesen wurde, aber dessen Urteil die Deutschlandpolitik der Bundesregierung künftig an das Wiedervereinigunggsgebot des Grundgesetzes band.

Als die beiden deutschen Staaten dann 1989/90 wieder zusammenfanden, gestaltete die CSU als Teil der Bundesregierung den schwierigen Vereinigungsprozess mit. Und da ist kann man natürlich die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion nicht vergessen, die eng mit dem Namen Theo Waigel verbunden ist.

Die CSU sieht sich als konstruktiver aber ab und zu unbequemer Partner, gegenüber der Schwesterpartei CDU genauso wie gegenüber etwaigen Koalitionspartnern der Union in Berlin und in München. Wie gelingt das politische Miteinander im parlamentarischen Alltag?

Die CSU sichert ihren Einfluss in Berlin durch geschlossenes Auftreten und durch die konsequente Rückendeckung der Partei für ihre Abgeordneten, die eine relative Autonomie der Landesgruppe sicherstellt. Wir groß deren Gewicht – in Regierung oder Opposition – ist, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Landesgruppe bei engen Mehrheitsverhältnissen ihre Rolle als Zünglein an der Waage ausspielen kann. Das politische Miteinander von CDU und CSU kann dabei im parlamentarischen Alltag übrigens rasch in ein konfliktreiches Gegeneinander umschlagen.

„[…] im Geiste des Christentums und einer wahren sozialen Gesinnung.“ So steht es im ersten CSU-Grundsatzprogramm von 1945. Würde man das heute auch so formulieren? Wie zeitlos sind die grundsätzlichen Überzeugungen der Partei?

Die Wortwahl wäre heute sicher eine andere; gerade die programmatischen Dokumente der Jahre 1945 und 1947 atmen ein Pathos, das heute etwas fremd anmutet. Aber ohne den Bezug auf das christliche Menschenbild und die soziale Verantwortung kommt die CSU auch heute nicht aus, ebensowenig ohne den selbstverständlichen Bezug auf Bayern. Sonst wäre die CSU nicht mehr die CSU.

Thema Volksparteien im Niedergang. Die CSU versammelt als Landespartei nach wie vor den größten Teil der bayerischen Bevölkerung hinter ihren gemäßigten, bürgerlichen Überzeugungen. Wie kann das auch in Zukunft gelingen?

Versammelt die CSU wirklich noch den größten Teil der bayerischen Bevölkerung hinter sich? Das letzte Landtagswahlergebnis von 2018 spricht eine andere Sprache. Dass die CSU ihre Stellung als strukturelle Mehrheitspartei in Bayern verloren hat, geht vor allem auf zwei Ursachen zurück: Erstens führt die zunehmende Pluralisierung der Gesellschaft auch im Freistaat zu einer zunehmenden Fragmentierung des Parteiensystems. Und zweites wird dieser Prozess immer weniger durch die Überzeugung gedämpft, es bedürfe einer autonomen Landespartei, um bayerische Interessen im Bund effektiv vertreten zu können. Der Faktor Bayern ist, mit anderen Worten, für die Wahlentscheidung immer weniger wichtig geworden, und das bekommt die CSU zu spüren.

Die demographische Entwicklung in Deutschland stellt nicht nur für die CSU eine Herausforderung dar. Unterscheiden sich die jüngeren Generationen hinsichtlich ihrer Parteibindung?

In der älteren Generation ist die Bindung an bestimmte Traditionen und die Identifikation mit gesellschaftlichen Großgruppen wie Kirchen oder Parteien sicher stärker verankert als in der jüngeren, die dem Erbe der jüngeren Vergangenheit vielfach skeptisch gegenübersteht. Dabei sind viele junge Menschen nicht uninteressiert oder gar unpolitisch, sie engagieren sich aber lieber in zivilgesellschaftlichen Gruppierungen jenseits der Parteien, die der politische Alltag zu Kompromissen nötigt. Wen der Idealismus beispielsweise für den Klimaschutz antreibt, der fühlt sich vor allem von großen Parteien schnell enttäuscht, die viele Interessen unter einen Hut bringen müssen.

Gibt es ein grundsätzliches einigendes Moment der bayerischen Spitzenpolitiker vom Kaliber eines Strauß, Stoiber, Waigel, Glück?

Verantwortung über die Interessen der eigenen Partei hinaus.

Vielen Dank für ihre Zeit!

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