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Flucht und Migration
Gibt es eine neue Balkanroute?

Autor: Armin Höller

Nach den denkwürdigen Ereignissen 2015, als hunderttausende Flüchtlinge und Migranten über den Balkan nach Europa zogen, haben sich die Fluchtrouten ins Mittelmeer verlagert. Die Balkanroute scheint geschlossen zu sein. Aber: trügt die Ruhe in Osteuropa und auf dem Balkan?

Im März 2016 wurde durch verschiedene Maßnahmen der Balkanländer der bis dahin wenig behinderte Durchzug Hunderttausender Flüchtlinge und Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten, die über die Türkei und Griechenland in den Westbalkan kamen und von dort nach Westeuropa wollten, nachhaltig gestoppt.

Karte Griechenlands mit den ägäischen Inseln und Nachbarstaaten

Die Zahl derjenigen, die den türkisch-griechischen Grenzfluss Evros durchquerten und in Griechenland registriert wurden, ist von rund 1.600 im März auf 4.000 im April gestiegen.

United Nations; CC0; Wikimedia Commons

Folgen der Schließung der Balkanroute 2016

Nachdem Bulgarien schon 2015 begonnen hatte, seine Landgrenze zur Türkei durch einen 250 km langen Zaun zu schützen, riegelte Mazedonien bis Anfang März 2016 seine Grenzen für Flüchtlinge aus Griechenland ebenfalls durch einen Zaun ab. Am 20. März 2016 trat dann das EU-Abkommen mit der Türkei in Kraft, das seitdem die Rückführung der in den EU-Staaten registrierten neu aus der Türkei angekommenen Migranten regelt. Insgesamt sollen 2015 und Anfang 2016 über eine Million Menschen aus Griechenland bzw. der Türkei über die Balkanhalbinsel nach Westeuropa gekommen sein.

Seitdem die sogenannte „Balkanroute“ weitgehend geschlossen ist, sitzen Zehntausende Flüchtlinge und Migranten in Griechenland fest. Dort können sie einen Asylantrag gemäß der Dublin-Verordnung stellen und müssen sich auf lange Wartezeiten einstellen.  Weitere Tausende Flüchtlinge und Migranten, denen die Überwindung einzelner Grenzen nach Bulgarien (wo sie präzise nach den Dublinvorschriften registriert werden), Albanien, Serbien oder Bosnien-Herzegowina gelungen ist, harren derzeit vor Ort aus, weil ein Weiterkommen nach Westeuropa durch die streng ihre Grenzen kontrollierenden EU-Staaten Kroatien und Ungarn fast unmöglich geworden ist.

Inzwischen konzentrieren sich die Flüchtlings- und Migrationsströme nach Europa, wenn auch deutlich verringert im Vergleich zu den Jahren 2015/16, von Nordafrika aus über das Mittelmeer, insbesondere nach Italien und Spanien. Dabei sinken immer wieder die hochseeuntauglichen Boote der Schlepper. Berichte von dramatischen Rettungsaktionen und katastrophalen Bootsunglücken sind seitdem in europäischen Medien zur Normalität geworden. 

Info: Balkanroute

Als Balkanroute bezeichnet man zusammenfassend Routen zwischen dem Nahen Osten und Europa, die über die Balkanhalbinsel führen und dort die EU-Außengrenze überschreiten. Der Begriff wird vor allem im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise seit 2015 und dem Schmuggel von Drogen aus Afghanistan nach Europa verwendet. Zu Beginn der Flüchtlingskrise gelangten die meisten Flüchtlinge aus der Türkei über die Ägäisinseln nach Griechenland, von dort weiter über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Österreich und Deutschland (ursprüngliche Balkanroute). Nach der Abriegelung der mazedonischen Grenze zu Griechenland im März 2016 hat sich eine alternative Balkanroute von Istanbul über Bulgarien, Serbien und weiter über Ungarn oder Kroatien/Slowenien nach Österreich herausgebildet, die jedoch rasch ebenfalls dichtgemacht wurde, weil die Behörden in Bulgarien die meisten Flüchtlinge aufgriffen, registrierten und in Lagern festhielten bzw. gemäß dem EU-Türkei-Abkommen vom März 2016 zurückschickten. Wer es bis zur serbisch-ungarischen bzw. serbisch-kroatischen Grenze schaffte, stieß dort ebenfalls auf nahezu undurchdringliche Grenzsicherungen, so errichtete Ungarn bereits ab September 2015 einen Grenzzaun. Derzeit wird befürchtet, dass sich eine neue Balkanroute von der Türkei durch den Grenzfluss Evros nach Griechenland und weiter über Albanien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina sowie Kroatien und Slowenien nach Österreich entwickeln könnte. Die Flüchtlingszahlen sind im Jahr 2018 besonders in Bosnien-Herzegowina deutlich angewachsen, können aber nicht als alarmierend bezeichnet werden.

Unfreundlicher Grenzzaun mit unfreundlicher Silhouette eines Grenzpolizisten im Schatten im Hintergrund

Auch die Grenze zwischen Serbien und Ungarn ist weitgehend abgeriegelt.

Delmagyarorzag; CC_BY-SA_3.0; Wikimedia Commons

Situation auf dem Westbalkan

Die Lage in den einzelnen Ländern des Westbalkans ist dagegen derzeit relativ entspannt, ausgenommen Bosnien-Herzegowina, wo im Nordwesten, an der Grenze zu Kroatien, in den Städten Bihac und Velka Kladusa mehrere Tausend Flüchtlinge und Migranten in Lagern untergebracht sind (hierüber berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 11.08.2018 unter dem Titel "Endstation Sehnsucht" ausführlich).

Doch obwohl die Zahl der in Bosnien-Herzegowina von Januar bis Juli 2018 neu eingetroffenen Flüchtlinge gegenüber dem gesamten Vorjahr deutlich gestiegen ist (von 755 auf über 9000), lassen sich hiermit keine Vergleiche zur Situation vor dem März 2016 ziehen, als innerhalb von etwa einem halben Jahr rund 660.000 Flüchtlinge die kroatische Grenze erreichten und das Land durchquerten. In Bihac halten sich derzeit ca. 4000 Flüchtlinge auf, die vom örtlichen Roten Kreuz und von der Internationalen Organisation für Migration versorgt werden. Die Behörden vor Ort befürchten, dass sich die Zahl der Flüchtlinge und Migranten in der Region im Herbst auf 10.000 erhöhen könnte.

In Serbien ist nach einem Bericht der Deutschen Welle vom 08.08.2018 die Anzahl der Flüchtlinge nicht alarmierend. Insgesamt warten dort mehrere Tausend Menschen auf eine Möglichkeit zur Weiterreise nach Westeuropa. Laut UNHCR haben sich im Juni 2018 739 Neuflüchtlinge in Serbien registrieren lassen, von denen nur 22 Asylanträge für das Land stellten. Auch in Albanien ist die Zahl von Flüchtlingen, denen es mit Hilfe von Schleppern gelingt, die fast durchgehend gebirgige Grenze zu Griechenland zu überqueren, recht gering. Laut Aussage des albanischen Soziologen Artan Sadiku vom 05.07.2018 lehnt sein Land die Errichtung von EU-Asylzentren kategorisch ab und hat keinerlei Interesse, eine größere Zahl von Flüchtlingen ins Land bzw. durch das Land ziehen zu lassen.

Flüchtlinge an der Bayerischen Grenze. Polizisten.

Insgesamt sollen 2015 und Anfang 2016 über eine Million Menschen aus Griechenland bzw. der Türkei über die Balkanhalbinsel nach Westeuropa gekommen sein.

Metropolico; CC By-SA 2.0.; Wikimedia Commons

Eine neue Balkanroute?

Im Frühjahr 2018 ist es zu einem merklichen Anstieg der Flüchtlings- und Migrantenzahlen auf dem Westbalkan gekommen. So ist die Zahl derjenigen, die den türkisch-griechischen Grenzfluss Evros durchquerten und in Griechenland registriert wurden, von rund 1.600 im März auf 4.000 im April gestiegen, wozu auch noch eine schwer abschätzbare Dunkelziffer zu rechnen ist. Auch wenn die Zahlen im Mai wieder merklich gesunken sind, wird befürchtet, dass sich über den Evros eine neue Flüchtlingsroute bilden könnte, zumal das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen diesen Grenzbereich nicht einschließt und die türkischen Sicherheitskräfte hier kaum eingreifen. Der Großteil der Flüchtlinge, die derzeit in Griechenland eintreffen, kommt aus Syrien, Afghanistan, Iran und Pakistan.

Bislang haben sich Befürchtungen über ein Wiederaufleben der Balkanroute bzw.  das Entstehen einer „neuen Balkanroute“ vorerst nicht bestätigt. Laut Anne-Christine Eriksson, der Verantwortlichen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen für Südosteuropa, handelt es sich bei den Flüchtlingen und Migranten in Bosnien vor allem um Menschen, die schon seit Jahren in Lagern in Griechenland und Serbien festsäßen und sich nun über Serbien, Albanien oder Montenegro nach Bosnien aufgemacht hätten. „Die Route ist insofern nicht neu, als sie schon die ganze Zeit da war“ (zitiert nach dem obengenannten Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 11.08.2018).

Sowohl Bulgarien, als auch Mazedonien und Albanien, durch das die sogenannte „neue Balkanroute“ verlaufen würde (siehe Infokasten), sind weiterhin fest entschlossen, ihr bisheriges Grenzregime beizubehalten. So gelingt es immer nur einzelnen Gruppen mit Hilfe von Schleppern, aus Griechenland heraus Richtung Norden zu kommen. Und dort erscheint die EU-Grenze zu Kroatien bzw. Ungarn als weiteres weitgehend unüberwindliches Hindernis, wie derzeit für die mehreren Tausend Flüchtlinge im Nordwesten Bosniens. Um ein Wiederaufflammen der sogenannten Balkanroute zu verhindern ist es aber besonders wichtig, dass die EU, den Zustrom von Flüchtlingen aus der Türkei nach Griechenland, der sich von der Ägäis über die Inseln aufs Festland über den Grenzfluss Evros verschoben hat, zeitnah in den Griff bekommt.

Eine aktuell größere Herausforderung sind die Routen von Nordafrika aus durch das Mittelmeer nach Spanien und Italien. Auch hier ist die EU gefordert, Handlungskompetenz zu zeigen.

Südosteuropa
Armin Höller
Leiter