Print logo

Europäische Entwicklungstage in Brüssel
Frauen im Fokus

Autor: Michelle Wiesner
, Ilke Fidan
, Dietrich John

Weltweit ist weniger als ein Viertel aller Abgeordneten weiblich. Nur sechs von hundert Staatsoberhäuptern sind Frauen. Auch in der Wirtschaft sind Frauen unterrepräsentiert. Dabei zeigt ein Blick in die Geschichte: je besser Frauen eingebunden werden, desto stärker wächst die Wirtschaft.

Wie können die wirtschaftlichen und sozialen Rechte von Frauen gerade in Entwicklungsländern gestärkt werden? Wie lässt sich die Teilhabe von Frauen in der Politik und anderen Bereichen des öffentlichen Lebens steigern? Die jährlich von der Europäischen Kommission veranstalteten Europäischen Entwicklungstage (EDDs) standen dieses Jahr unter dem Motto: „Frauen und Mädchen an vorderster Front der nachhaltigen Entwicklung: schützen, stärken, investieren“. Dazu fanden in Brüssel 120 parallel veranstaltete Debatten und Vorträgen statt. Dass die EU das Thema ernst nimmt, zeigt die hochkarätige Rednerliste; von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der Hohen Vertreterin für Außen-und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, bis zu EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani.

Dame in traditionell afrikanisch anmutender Tracht und fröhlichem Kopftuch steht, lächelnd referierend, an einem Rednerpult.

Amina Mohammed, stv. UN-Generalsekretärin: „Sustainable Development Goals sind die Andockstation aller anderen Ziele für nachhaltige Entwicklung.”

EDD Brussels

Auch das Europäische Netzwerk Politischer Stiftungen (ENoP), zu dem auch die Hanns-Seidel-Stiftung zählt, hielt eine Podiumsdiskussion zur politischen Teilhabe von Frauen.

Status quo

Bei manchen Themen gibt es nichts zu diskutieren: weniger Diskriminierung und mehr Gleichberechtigung von Frauen sind ein Wert an sich. Für Amina Mohammed, stv. Generalsekretärin der Vereinten Nationen steht das Thema sogar im Zentrum aller Bemühungen um nachhaltige Entwicklung, wirtschaftlich und sozial.

Allerdings ist die Situation weltweit alles andere als zufriedenstellend. Besonders in Entwicklungsländern sind Frauen häufiger als Männer Gewalt, Korruption, Belästigungen, prekären Arbeitsverhältnissen und Diskriminierungen ausgesetzt. Zudem verlassen Frauen tendenziell die Schule früh, um sich Aufgaben in der Familie zu widmen. Das führt dazu, dass viele Frauen finanziell abhängig von männlichen Familienmitgliedern bleiben.

Ein konkretes Beispiel zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen ist die Spotlight Initiative, ein gemeinsames Programm der Vereinten Nationen und der Europäischen Union. Durch die Initiative werden in Asien, Afrika, Lateinamerika, im Pazifischen Raum sowie in der Karibik beträchtliche Summen in Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen investiert. Die EU ist mit € 500 Millionen der größte Geldgeber.

Die genannten fünf Damen auf dem Pannel

ENoP Podiumsdiskussion (vlnr): Barkatou Sabi Boun Adamou (Ministerium digitale Wirtschaft, Benin), Nouzha Bouchareb (Connecting Group International, Marokko), Sabina Wölkner (Multinationaler Entwicklungsdialog, KAS, Brüssel), Gudrun Kopp (Parlamentarische Staatssekretärin a.D. und Vorstand ENoP), Touria Laabidy (Get Involved-Women Empowerment, Morocco und Benin)

EDD Brussels

Möglichkeiten, die das Internet gerade Frauen in traditionellen Gesellschaften bieten könnte, in denen es beispielsweise keine staatlich garantierte Kinderbetreuung gibt, werden noch zu wenig wahrgenommen. Weltweit haben Frauen heute 26% weniger Zugang zum mobilen Internet als Männer und bleiben so von digitalen Möglichkeiten zu ökonomischen Selbständigkeit ausgeschlossen.

Gerade in der Digitalisierung sieht daher Anusha Rahman Ahmad Kahn, pakistanische Ministerin a.D. für Informationstechnologie und Telekommunikation eine Chance. Hier böten sich Zugänge zu Arbeitsgelegenheiten, die auch von zu Hause aus erledigt werden können.  

Was kann helfen? Quoten, Netzwerke und bessere Bildung!  

Frauenquoten in Politik und Wirtschaft könnten nur ein erster Schritt sein, sagte Nouzha Bouchareb, die Vorsitzende der "Connecting Group International" in Marokko. In dem Netzwerk mit über 6000 Mitgliedern können Frauen ihre Erfahrungen austauschen und sich gegenseitig unterstützen. In solchen Strukturen sieht Bouchareb eine große Chance.

Dame steht mit kämpferischer Mine an einem Rednerpult, die Arme raumgreifend aufgestützt.

„Diskriminierung von Frauen gehört auf den Müllhaufen der Geschichte, gemeinsam mit Rassismus und Sklaverei“ (Erna Solberg, norwegische Ministerpräsidentin)

EDD Brussels

Genau wie Barkatou Sabi Boun Adamou, die Generaldirektorin für Digitale Wirtschaft und Post im beninischen Ministerium für Digitale Wirtschaft und Kommunikation. Je früher Frauen damit begännen, sich zu solidarisieren desto besser. Für sie steht die Förderung von Mädchen sowohl in der Schule als auch in der Erziehung zu Hause im Vordergrund. Neben ihrer hauptamtlichen Tätigkeit leitet sie erfolgreiche Projekte, in denen Mädchen im Schulalter lernen, vor Gruppen zu sprechen, eigene Projekte umzusetzen und untereinander ein Netzwerk zur gegenseitigen Unterstützung auszubauen.  

Es geht aber auch um einen stärkeren Einsatz gegen die verbreiteten, überkommenen Rollenbilder, die dazu führen, dass Mädchen häufig von klein an auf ihre „natürliche“ Aufgabe als Hausfrau und Mutter hin erzogen werden. Ihnen wird beigebracht, rücksichtsvoll und fürsorglich zu sein und bescheiden im Hintergrund zu arbeiten. Fähigkeiten, die im Erwerbsleben wertvoll sein können, wie Durchsetzungsstärke, Ehrgeiz oder dominantes Verhalten, werden noch weit verbreitet als „männlich“ wahrgenommen.

Rechts eine große Bühne mit Pannel, links ein im Schatten liegender Zuschauerraum mit mehreren hundert Zuhörern.

Über 600 Sprecher diskutierten über Wege, Frauen weltweit bessere wirtschaftliche Chancen und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

EDD Brussels

Dies mindert oft das Selbstbewusstsein von Frauen, sich eine exponierte Stelle in Politik oder Wirtschaft zu erkämpfen. Bildung ist daher, so der allgemeine Konsens des Gipfels, eine entscheidende Stellschraube, um für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen. Gerade bei den Eltern müsse hier Aufklärungsarbeit geleistet werden. Auch eine stärkere Einbindung von Männern in diesen Prozess wurde immer wieder gefordert. Statt den Weg zur Gleichberechtigung als einen Kampf anzusehen, den Frauen alleine führen, sollte die bestehende Diskriminierung als gesamtgesellschaftliche Problem betrachtet werden.  

Immerhin scheint sich insgesamt weltweit der Zugang zu Bildungsangeboten für Frauen verbessert zu haben. Gerade die Politischen Stiftungen spielen hier eine wichtige Rolle z.B. führt die Hanns-Seidel-Stiftung in Tansania ein EU-finanziertes Projekt zur Ausbildung von angehenden Politikerinnen durch. Außerdem schlossen sich verschiedene Politische Stiftungen zusammen, um die Rolle von Frauen in politischen Parteien in Marokko und in Benin zu stärken. Auch dieses Projekt wird von der EU finanziert.

Junge Menschen sitzen aktiv um einen Tisch und diskutieren etwas.

Auch die Jugend war vertreten

Gleamlight

EU geht voran, Nationalregierungen zögern

Dass in vielen Ländern zuverlässige Daten über die Situation von Frauen schlicht nicht vorhanden sind, macht eine zuverlässige Bewertung der Entwicklung nicht leichter. Vor allem in Entwicklungsländern werden die sozioökonomischen Statistiken selten nach Männern und Frauen aufgeschlüsselt. Die weltweite Einigung auf Entwicklungsziele (SDGs) verspricht hier eine Änderung. Jetzt geht es darum, dass alle Unterzeichnerstaaten die neue Art der Datenerfassung auch umsetzen und die gewonnenen Erkenntnisse für konkrete Politikentscheidungen nutzen.

Dass außer der Präsidentin von Malta, Marie-Louise Coleiro und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Belgiens kein einziger Regierungsvertreter eines EU-Landes in Brüssel anwesend war, lässt allerdings Zweifel aufkommen, ob die EU und ihre Mitgliedstaaten wirklich gemeinsam an einem Strang ziehen, um die Frauenförderung weltweit voranzubringen.

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter