Print logo

Europa und der Brexit

Die Ankündigung der britischen Premierministerin Theresa May, Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union auszulösen und damit die Verhandlungen über den Brexit zu eröffnen, wurde durch die Entscheidung des Londoner High Court vom 3. November 2016 in Frage gestellt, da nunmehr das Parlament noch zustimmen muss.

Wilfried Scharnagl, Kea-Sophie Stieber, Josef Janning und Reinhard Meier-Walser

Wilfried Scharnagl, Kea-Sophie Stieber, Josef Janning und Reinhard Meier-Walser

Die Ankündigung der britischen Premierministerin Theresa May, Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union Ende März 2017 auszulösen und damit die Verhandlungen über den Brexit zu eröffnen, wurde durch die Entscheidung des Londoner High Court vom 3. November 2016 in Frage gestellt, da nunmehr das Parlament noch zustimmen muss. Diese Entscheidung entfachte neue Diskussionen über den britischen Austritt. Fragen über vorgezogene Neuwahlen und die Möglichkeit einer parlamentarischen Ablehnung des Brexits wurden aufgeworfen. Unterdessen hat die Regierung die Anfechtung des Urteils angekündigt. Der Oberste Gerichtshof wird sich nun voraussichtlich im Dezember mit dem Fall befassen.

Teilnehmer/innen des Roundtables

Teilnehmer/innen des Roundtables

Unter dem Motto „Europäische Perspektiven und Aktionen“ analysiert die Hanns-Seidel-Stiftung regelmäßig die Zukunft Europas mit Experten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Der Roundtable des 10. November war dem Thema Brexit gewidmet. Der Leiter des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations, Josef Janning, stellte drei diskussionsprägende Brexit-Optionen in den Raum:

  1. Den „soft-Brexit“: eine nach norwegischem oder schweizerischem Vorbild verhandelte Beteiligung Großbritanniens am Wirtschaftsmarkt der Europäischen Union (EU), inklusive Freizügigkeit und ohne britische Mitbestimmung der europäischen Bestimmungen, denen sie in Zukunft unterworfen sein werden.
  2. Den „hard-Brexit“: eine geregelte Beendigung des Verhältnisses, bei welcher Übergangsregelungen für EU-Bürger in Großbritannien und britische Bürger in der EU getroffen werden. Nach Abschluss der Verhandlungen entscheidet das Parlament über den Austrittsvertrag und möglicherweise wird diese Abstimmung mit einer Wahl verbunden.
  3. Den „cold hard-Brexit“: ein ungeregelter forcierter Austritt durch Verstreichenlassen der zweijährigen  Frist des Art. 50 EUV (Vertrag über die Europäische Union) ohne Verhandlungsergebnis bei gleichzeitig fehlender Einigkeit der EU-Staaten, den Verhandlungsprozess zu verlängern.

Die letzte Alternative hielten viele der Teilnehmer für sehr wahrscheinlich, da die Hürde der Abstimmungseinigkeit am schwierigsten zu überwinden sei. Einigkeit herrschte ebenfalls darüber, dass die unterschiedlichen Optionen miteinander inkompatibel seien und im Zuge der Verhandlungen keine Aufweichung des Binnenmarktes durch Sonderregeln stattfinden solle.

Die Diskussion fand vor dem, von dem Leiter der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung, Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser, dargelegten Hintergrund statt, dass das Ergebnis des britischen Referendums nicht nur die Besorgnis der Wähler, sondern auch die historisch bedingte Haltung Großbritanniens gegenüber Europa zum Ausdruck brachte. Durch den Status als Empire verfolgte Großbritannien eine Politik der Machtbalance in Kontinentaleuropa. Die special relationship mit den USA und nach dem zweiten Weltkrieg die Konzentration auf Symbole der Macht, verzögerten das Ablegen dieser Sonderrolle. Zu Beginn des EU-Integrationsprojekts verblieb Großbritannien daher in splendid isolation. Bis heute prägt ein unterschiedliches Identitätsverständnis das Verhältnis der Insel zum Kontinent. Die europäische Integration legitimiert sich aus britischer Sicht daher nur durch ihre Vorteile, wird nicht als Selbstzweck gesehen und soll im Sinne eigener Interessen beeinflusst werden. Hinzu tritt ein unterschiedliches Verständnis der europäischen Integration. In Europa herrschte – zumindest bis vor kurzem – der Anspruch einer ever closer Union vor. Großbritannien dagegen versteht die Europäische Union als intergouvernementales, nicht supranationales Projekt. Der Unterschied zwischen union und unity, also einem lockeren Verbund und einer hochintegrierten Einheit, stelle dabei keine semantische Spitzfindigkeit, sondern eine konzeptionell klare Unterscheidung dar, betonte Meier-Walser.

Es wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern diese konzeptionelle Problematik auch für andere EU-Staaten gelte. Am förderlichsten für die EU sei es, wenn weder ihre Kernprinzipien kompromittiert noch Sonderregelungen eingeführt werden, denn letzere laufen wider die wirtschaftlichen Interessen anderer EU-Mitgliedsstaaten. Desweiteren solle der Brexit Ansteckungen verhindern, indem an diesem Beispiel die Exit-Kosten und Bedingungen allgemein verdeutlicht würden. Unter diesem Aspekt stelle sich gerade der soft-Brexit als bedenklich dar, da Konsequenzen abgeschwächt und der Eindruck vermittelt werden könnten, Rosinenpicken sei möglich. Bezüglich des britischen Vorgehens herrschte die Wahrnehmung vor, dass momentan alle Optionen ausgetestet würden und die bevorzugte Option die Beibehaltung aller Vorteile ohne die Lasten sei.