Print logo

Ukraine und Russische Föderation streiten ums Asow`sche Meer
Eine gefährliche Lage

In sieben hochrangig besetzten Panels des II. Lwiwer (Lemberger) Security Forums wurden hochaktuelle Themen der ukrainischen und europäischen Sicherheitsarchitektur diskutiert. Dazu gehörte auch die aktuelle Situation im Asow`schen Meer, einer zunehmend konfliktgeladenen Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation, die sich bislang weitgehend unter der Wahrnehmungsschwelle internationaler Fachgremien entwickelt.

Eine Karte die den Verlauf der Straße von Kertsch zeigt

Besonders das Zufahrtsrecht in das Asow`sche Meer durch die Straße von Kertsch, die auch den Grenzverlauf zwischen der Ukraine und der RF bildete, wurde als Binnenangelegenheit der beiden Staaten interpretiert.

wikipedia; wikipedia

Das Asow`sche Meer ist ein Nebenmeer des Schwarzen Meeres und mit diesem durch die Straße von Kertsch verbunden. Alleinige Anrainerstaaten sind die Ukraine und die Russische Föderation (RF), die 2004 eine Vereinbarung über den internen Status des Asow`schen Meeres unterzeichneten. Insbesondere das Zufahrtsrecht in das Asow`sche Meer durch die Straße von Kertsch, die auch den Grenzverlauf zwischen der Ukraine und der RF bildete, wurde als Binnenangelegenheit der beiden Staaten interpretiert.   

Schleichende Wirtschaftsblokade

Mit der Annexion der Krim durch die RF hat sich das Gleichgewicht im Asow`schen Meer dramatisch verschoben. Vor allem seit der Fertigstellung der Brücke von Kertsch, die die Halbinsel Krim nun mit dem russischen Festland verbindet, hat die RF die Kontrolle über den Zugang zum Asow`schen Meer übernommen. Schiffe, die die Straße von Kertsch passieren wollen, werden von der russischen Marine kontrolliert.  
Selbst physisch hat die RF die Rahmenbedingungen der Schifffahrt geändert: die Brücke von Kertsch ist so niedrig, dass die größten Schiffe, die bisher die ukrainischen Häfen Mariupol und Berdjansk angelaufen haben, nicht mehr hindurch passen. Dies hat empfindliche Handelseinbußen für die Schwerindustrie des ukrainischen Donbas zur Folge - eine Region, die durch die Folgen des Konfliktes mit den russlandorientierten Separatisten in den sogenannten Lugansker und Donetzker Volksrepubliken ohnehin schon schwer belastet ist. De facto sieht sich die Ukraine einer schleichenden Wirtschaftsblockade ausgesetzt, die zu einer weiteren Destabilisierung führen könnte.   

Der Ukraine fällt es schwer, das staatliche Gewaltmonopol und ihre souveräne Interessensvertretung im Asow`schen Meer durchzusetzen. Die Schiffe des ukrainischen Grenzschutzes, der Küstenwache und der Marine sind der russischen Marine quantitativ und qualitativ hoffnungslos unterlegen. 

Nach der Annexion der Krim durch die RF hat die Ukraine formal alle dortigen Häfen geschlossen. Die Annexion der Krim wird von der breiten Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft (darunter auch die Europäische Union) als völkerrechtswidrig eingestuft, d.h. de jure gehört die Halbinsel weiterhin zur Ukraine. Andere Länder dürften nach internationalem Seerecht die besetzten Häfen nicht ansteuern. Die Ukraine hat aber keine Möglichkeiten (vor allem militärische) diese Rechtslage gegenüber Russland und allen denjenigen, die mit diesen Häfen Handel treiben wollen, durchzusetzen. 

Die Russische Föderation hat natürlich eine diametral gegensätzliche Auffassung in Bezug auf die Rechtslage, und internationale Beobachter gibt es vor Ort nicht - diese müssten durch die russische Marine zuerst Genehmigungen einholen, die Straße von Kertsch überhaupt passieren zu dürfen.  

Die Situation im Schwarzen Meer ist labil und gefährlich; vor wenigen Wochen hat ein ukrainischer Marine-Konvoi, begleitet von ukrainischen Kampfflugzeugen, die Straße von Kertsch passiert; die russische Marine hat nicht eingegriffen - wodurch eine direkte militärische Konfrontation vermieden wurde. Kurzfristig genügt aber wenig, um die Situation vor Ort eskalieren zu lassen; mittelfristig könnte die RF der Ukraine durch Beschränkungen der maritimen Transportmöglichkeit nachhaltigen wirtschaftlichen Schaden zufügen.  

General a.D. Ben Hodges, ehemaliger Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte für das Gebiet von Europa und der Nachfolgestaaten der Sowjetunion sagte hierzu: „Wir waren bisher in der Bewertung der Bedrohung der Ukraine durch die RF zu sehr auf landbasierte Szenarien konzentriert; die Situation im Asow`schen Meer zeigt aber deutlich, wie dringend auch der maritime Aspekt in einer umfassenden Sicherheitsdiskussion berücksichtigt werden muss.“

Zwei Autos die auf die Krim-Brücke in Kertsch fahren.

Die Straße von Kertsch - sie verbindet das Asow`sche Meer mit dem Schwarzen Meer.

avilarchik6956; pixabay

Abhängigkeit und Vulnerabilität

Ein Panel beschäftigte sich unter anderem auch mit der Frage nach der Erweiterung der bestehenden Erdgaspipeline North-Stream I, die als North-Stream II eine Kapazitätsverdoppelung des Gashandels zwischen der RF und Deutschland ermöglicht. Die Ukraine widersetzt sich vehement dem Projekt mehrerer europäischer Unternehmen und der russischen GazProm. Die Realisierung von North-Stream II könnte das ukrainische Gastransitnetzwerk überflüssig machen, denn die gesamte Gaslieferung der RF nach Europa könnte künftig ohne die Durchleitung durch die Ukraine erfolgen. Die Ukraine würde dabei, nach den derzeit bestehenden Durchflussmengen und vertraglichen Regelungen mit der russischen GazProm, Gastransitzahlungen von derzeit jährlich rund 3 Mrd. USD verlieren. Unterstützt wird die Ukraine in ihrem Kampf gegen North-Stream II durch den US-Kongress, der wiederholt Sanktionen gegen Firmen angekündigt hat, die sich an dem Projekt beteiligen.  

Die lebhafte Diskussion spiegelte die unterschiedliche Bewertung des Projektes durch verschiedene Akteure wieder: während formale und juristische Argumente für den Bau der Erdgasleitung vorwiegend von Befürwortern einer primär wirtschaftlichen Sichtweise des Projektes betont wurden, sahen Vertreter der politischen Bedeutung und damit Gegner des Projektes vor allem die sicherheitspolitischen Bedenken der Ukraine im Vordergrund und betonten die moralische Verantwortung Europas und der USA, den hybriden Angriffen der RF gegen die Ukraine zu begegnen. 

Da diese unterschiedlichen Interpretationen auch in der deutschen und europäischen Politik zu finden sind, wo sich diese Kontroverse bis in die Flügel der großen Volksparteien hinein fortsetzt, konnte auch auf dem Lwiw Security Forum das Thema nicht abschließend bewertet werden. Die Klarheit der Argumente und die Offenheit der Diskutanten trugen aber dazu bei, das komplexe Thema zielführend zu behandeln.

Jugend und Sicherheit

Ein weiterer Höhepunkt des Forums stellte das Panel "Jugend und Sicherheit" dar, bei dem sich ukrainische Studenten in einem Essaywettbewerb mit unterschiedlichen sicherheitspolitischen Themen auseinandersetzten. Die ideologisch weitgehend unbelastete Sichtweise der jungen Experten, die sich dennoch mit großem Elan für die Belange Ihres Heimatlandes engagierten, sorgte bei Forumsteilnehmern und Experten für Bewunderung.   
Die fünf nach Lwiw eingeladenen Finalisten - vier Studentinnen und ein Student -  behandelten die Themen:

  • Die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofes, den Konflikt im DonBas erst ab Juni 2014 als internationalen bewaffneten Konflikt unter Beteiligung der RF zu bewerten - mit dem Umkehrschluss, dass es sich davor tatsächlich um einen innerukrainischen Konflikt gehandelt hat.
  • "Realistisches" Sicherheitsparadigma (Militärische Macht) vs. "Liberales" Sicherheitsparadigma (Internationale Verträge, Bündnisse und Organisationen) in ihrer Bedeutung für die ukrainische Sicherheitsarchitektur.
  • De-Okkupation und Re-Integration der Krim und insbesondere des DonBas durch die Bildung einer integrativen ukrainischen Identität und eines Nationalitätsbewusstseins.
  • Friedenssicherung als asymmetrische Aufgabe - mögliche Szenarien der Entwicklung von Minsk II, OSZE- Missionen und Friedenseinsätzen im DonBas.
  • Wehrpflicht oder Berufsarmee? Fragen der Wehrbereitschaft der Ukraine.

Sprachenproblematik

Ein häufig wiederkehrendes Thema auf dem Forum war die ukrainische Sprachenproblematik. Von der Frage, ob das Sprachengesetz von 2014 entscheidender Auslöser der Separatistenbewegung im Donbas war, über aktuelle Probleme mit der ungarischen und rumänischen Minderheit in der Ukraine, denen nach der Novelle des Bildungsgesetzes 2017 kein muttersprachlicher Unterricht, sondern nur mehr erweiterter Fremdsprachenunterricht in ihrer Nationalsprache zusteht, bis zur Frage nach der Bedeutung der Sprache als Kultur- und Identitätsstiftendem Element der ukrainischen Nation wurde das schwierige Verhältnis insbesondere zwischen der ukrainischen und russischen Sprache in der Ukraine behandelt.

Das Verhältnis zwischen der ukrainischen und russischen Sprache beschäftigt die Ukraine seit mehr als einem Jahrhundert und war dabei auch immer ein Symbol der staatlichen Souveränität. Nach dem Ende der Sowjetunion stellte unabhängige Ukraine in ihrer Verfassung von 1996   fest: "Artikel 10. Amtssprache in der Ukraine ist die ukrainische Sprache. Der Staat gewährleistet die allseitige Entwicklung und Verwendung der ukrainischen Sprache in allen Bereichen des öffentlichen Lebens auf dem gesamten Territorium der Ukraine. In der Ukraine wird die freie Entwicklung, der Gebrauch und der Schutz der russischen Sprache und der anderen Sprachen der nationalen Minderheiten der Ukraine garantiert. Der Staat fördert das Studium der Sprachen der internationalen Gemeinschaft. Der Gebrauch der Sprachen wird in der Ukraine durch die Verfassung der Ukraine garantiert und durch ein Gesetz geregelt."   

Dieses Gesetz wurde erst 2012 unter dem russlandfreundlichen Präsidenten Janukowitsch verabschiedet. Wichtigste Regelung darin war der Begriff der "Nationalsprache":  Jede Sprache, die in einer Region des Landes von mindesten 10% der Bevölkerung gesprochen wurde, genießt als Nationalsprache weitreichende Privilegien in der Anwendung im öffentlichen Raum und in der schulischen Bildung.  2014, auf dem Höhepunkt der pro-europäischen Maidan Bewegung, wurde dieses Gesetz durch das Parlament aufgehoben -  dem Vernehmen nach, um die Bedeutung der russischen Sprache einzuschränken. Der Übergangspräsident Turtschinow weigerte sich damals, das Gesetz abzuzeichnen, es trat daher nicht in Kraft. Trotzdem war in der unruhigen Zeit das Narrativ geboren, die Regierung in Kiew beabsichtige das vollständige Verbot der russischen Sprache, das  rund  15% der Ukrainer als ihre Muttersprache ansehen . In dieser Fehlinformation wird ein entscheidender Faktor in der Separatistenbewegung im Donbas gesehen. 
Im September 2017 wurde ein neues Bildungsgesetz verabschiedet, das direkten Bezug auf die Sprachenfrage in der Ukraine hat, da umfangreiche Bestimmungen über den Unterricht in Minderheitensprachen der Ukraine enthalten sind. Vollumfänglich kann danach Unterricht in einer Minderheitensprache nur noch bis zur 4. Klasse erteilt werden. Danach werden nur noch die Fächer Literatur und Nationalgeschichte der jeweiligen Minderheiten in ihrer Sprache gelehrt. (Nationalsprache als Fremdsprachenunterricht ist davon nicht betroffen) Obwohl hiervon Sprachen ausgenommen sind, die in der EU gesprochen werden, haben sich vor allem Polen, Ungarn und Rumänien vehement gegen dieses Gesetz ausgesprochen.

Lwiw Security Forum

Die Bedeutung und öffentliche Wahrnehmung des 2017 mit Unterstützung der Hanns-Seidel-Stiftung und weiterer internationaler Partner gegründeten Lwiw Security Forum hat deutlich zugenommen. Während 2017 keine offiziellen staatlichen Stellen oder Regierungsvertreter an dem Forum teilnahmen, sprach heuer der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin bei der Eröffnung des Forums ein Grußwort und zahlreiche Vertreter ukrainischer Staats- und Regierungseinrichtungen nahmen teil. Unter den teilnehmenden Organisationen waren zahlreiche US-amerikanische und europäische Think-Tanks: Das US-amerikanische Center for Europaean Policy Analysis (CEPA), die Jamestown Foundation, der German Marshall Fund, das Wilfried-Martins-Center for European Studies, das Centre for European Policy Studies und andere. Um in der Diskussion noch mehr Raum für Europäische und Deutsche Positionen zu finden, streben wir für das III. Lwiw Security Forum 2019 eine noch stärkere Beteiligung deutscher und europäischer Think-Tanks und Experten an.

Mitteleuropa, Osteuropa, Russland
N.N.
Leitung