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Bügerbeteiligung
Die schlafenden Hunde wecken

Autor: Silke Franke

„Das ist wie eine olympische Flamme – man muss das Feuer stets am Brennen halten“, so der Rat eines bayerischen Bürgermeisters, der mit den Bürgern ein kommunales Leitbild erarbeitet hatte. Tatsächlich ist Bürgerbeteiligung als Thema nicht neu, aber man muss sich damit regelmäßig auseinandersetzen und auch die Verantwortlichen immer wieder neu motivieren und neue Impulse an die Hand geben.

Zahlreiche nützliche Handbücher, Checklisten und Best Practice-Sammlungen bieten Tipps, doch letztendlich muss jeder selbst Vorbehalte und Ängste überwinden und sich ergebnisoffen darauf einlassen. Der beste Lehrmeister ist wohl die dabei gewonnen Erfahrung - wenn man dazulernen möchte und versucht, immer besser zu werden. Ein „Beteiligungs-Aktionismus“ kann allerdings auch nicht die Antwort sein.

Die Gesellschaft ändert sich und mit ihr die Ansprüche und Aufgaben, die immer komplexer werden und immer schneller bewältigt werden müssen. Auch darauf müssen wir uns einstellen. In erfolgreichen Gemeinden entwickelt sich mit der Zeit eine gemeinschaftlich gelebte Beteiligungskultur. Es ist ein Prozess, der anspruchsvoll ist, Momente der Frustration und Rückschläge haben kann – aber vor allem auch motiviert, Kreativität weckt und Bestätigung gibt. Die Bestätigung kommt nicht unbedingt immer von den Teilnehmern selbst –oft ist es die Anerkennung von außen, wenn man als beispielhaft wahrgenommen wird, und der Erfahrungsaustausch mit anderen. Dies liefert den Ansporn, noch mehr zu wagen. 

Info

Wir haben während einer Veranstaltung im Konferenzzentrum München über die Notwendigkeit von Bürgerbeteiligung gesprochen und verschiedene Elemente eingebaut (Thesenwerkstatt und Abschluss-Workshop), in denen wir die Teilnehmer selbst um ihre Einschätzungen gebeten haben. Ihre Statements konnten sie an Pinwänden festhalten.

„Was nehme ich aus der Veranstaltung mit?“

  • „Motivation für die eigene Arbeit“  
  • „Anstoß für Gemeinderäte, wie Beteiligung professionell gelingen kann“, „Kennenlernen von Bewährtem“, „Erfolgsfaktoren“ 
  • „Bürgerbeteiligung ist wichtig“ 
  • „Schwierige Frage: Wann Bürgerbeteiligung?“,  „Wie umfassend ist die Beteiligungsmöglichkeit / der Entscheidungsspielraum? “  
  • „Große Herausforderung: Motivation zum Mitmachen schaffen“, „Betroffenheit herstellen / auf Betroffene zugehen“, „Neugier wecken“, „Medien einbinden“, „Atmosphäre schaffen“  
  • „Auch Teilerfolge als Erfolg werten“, „Mikroprojekte sofort umsetzen“ 
  • „Neue Formate gibt es auch für kleine Gemeinden, nicht nur stadtteilbezogen“
  • „Best Practice sammeln und teilen“
  • „Beteiligungsexperten beauftragen“
  • „Ausprobieren“, „Neue Wege wagen“

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Wen wollen wir in Zukunft stärker einbinden?

Es gibt Vorhaben, die mit direkt Betroffenen geklärt werden müssen, aber auch Fragestellungen, bei denen alle Bürger eingebunden werden können (und sollten) – etwa die Frage, wie sich der Ort oder die Region in Zukunft weiterentwickeln könnte, wie man mit Herausforderungen umgehen und als Gesellschaft leben möchte. Dabei sollte auch sichergestellt sein, dass alle angesprochen werden: alle Altersgruppen und sozialen Schichten, Alt- und Neubürger, Bürger vom Hauptort und den Ortsteilen, jene, die sich lautstark zu Wort melden und engagiert überall dabei sind genauso wie die, die eher zurückhaltend sind, im Hintergrund wirken, weniger Zeit haben oder als Randgruppe gelten.

Dies hat gute Gründe: Wir wollen niemanden ausschließen oder benachteiligen.
Wir wollen eine Querschnitt der Gesellschaft abbilden. Wir wollen möglichst vielfältige Perspektiven berücksichtigen – und damit nicht nur unterschiedliche Bedürfnisse, sondern auch wertvolle Erfahrungen und Informationen. 
Um dies zu erreichen, braucht es verschiedene Ansprache- und Beteiligungsformate.
Es macht Sinn, auch mal in die Ortsteile hinauszugehen, für Kinder und Jugendliche einen eigenen Workshop zu veranstalten oder jene, die weggezogen sind anzuschreiben und nach ihren Beweggründen zu fragen.

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Bei was sollten Bürger eingebunden werden?

Im Grunde gibt es kein Thema, an dem nicht auch Bürger beteiligt werden können, zumindest, wenn dies erst gemeint ist und in geeigneter Form geschieht! Dazu müssen vorab zentrale Fragen geklärt werden.

„Beteiligung -  warum und wozu?“ Um welche Stufe der Beteiligung geht es? Geht es um bloße Informationsvermittlung und die Möglichkeit, Fragen zu klären? Geht es um eine unverbindliche Sammlung von Stimmungen, Meinungen und Ideen? Gibt es tatsächlich etwas mitzugestalten oder mitzuentscheiden? Dies muss den Verantwortlichen klar sein, damit sie den Beteiligten von Anfang an deutlich kommunizieren können, wie groß der Gestaltungsspielraum tatsächlich ist und wo die Grenzen liegen. Es wäre fatal, hier falsche Hoffnungen zu wecken. Bürger, die sich in einem Beteiligungsprozess engagieren, erwarten zurecht Transparenz darüber, was ihr Engagement letztendlich bewirken kann. Auch sie wollen abschätzen können, ob sich ihr Einsatz aus ihrer individuellen Sicht „lohnt“. Über eines muss sich jeder im Klaren sein: Beteiligung heißt nicht automatisch, dass man sich mit seiner Meinung durchsetzt! 

„Beteiligung: wann?“ Wichtig ist, den richtigen Zeitpunkt für die Beteiligung zu wählen – und das heißt möglichst frühzeitig, wenn es tatsächlich auch noch Optionen gibt. 

Und wichtig ist, dass die Beteiligung ernst gemeint und ehrlich ist. Alibi-Veranstaltungen werden früher oder späte als solche erkannt und sorgen für Konflikte, die das notwendige Vertrauensverhältnis belasten. Wer dann aus Angst, „schlafende Hunde zu wecken“, lieber auf Bürgerbeteiligung verzichtet, wird die Situation nur verschärfen. Beteiligung ist nicht einfach.
Aber Nicht-Beteiligung oder Pseudo-Beteiligung schieben ein offensichtliches Problem nur auf die lange Bank.

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Was ist das wirklich Neue? Was ist erfolgversprechend?

„Beteiligung: wie?“ Beteiligung muss professionell geplant und durchgeführt werden. Sie beginnt bereits lange vor dem Aufruf an die Bürger, sich zu beteiligen, denn es gilt zu überlegen: Auf welcher Planungs- oder Projektstufe erfolgt welcher Beteiligungsschritt? Welche Akteure und Zielgruppen gilt es einzubinden? Welche Informationen und Hilfsmittel brauchen die Beteiligten? Hier gibt es hilfreiche Handbücher und für die "Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung bei Planung und Bau von Infrastrukturprojekten" die Richtlinie VDI 7001. Es schadet auch nicht, sich für die Beteiligung Profis von außen zu holen. 

„Beteiligung braucht Beziehung.“ Die persönliche Betroffenheit ist das wichtigste Motiv für die Beteiligung. Bürger engagieren sich dann, wenn sie darin einen Sinn erkennen oder ihre Neugier geweckt wird. Beteiligungsprozesse müssen daher durch „lustvolle Öffentlichkeitsarbeit“ begleitet werden. Es braucht die richtigen Fragestellungen und vielleicht auch mal provokante Aktionen, um Menschen aus der Reserve zu locken und ihre eigene Betroffenheit wahrnehmen zu lassen. Für eine gute Ergebnisqualität ist es unerlässlich, im laufenden Beteiligungsprozess die objektiven Fakten auf den Tisch zu legen. Aber ebenso wichtig ist es, sich mit den emotionalen Facetten des Themas auseinanderzusetzen (wo berührt es die Menschen?), und einen Wertediskurs anzustoßen (was ist uns wichtig?).  

 „Atmosphäre schaffen.“ Der Klassiker für Veranstaltungen mit vielen Menschen ist die Mehrzweckhalle: vorne ein Podium mit den Sprechern, hinten die Reihen der Zuhörer. Dies mag für reine Informationsveranstaltungen zweckmäßig sein. Wer aber dazu aufruft, gemeinsam (neue) Lösungen zu finden, sollte auch neue Wege gehen und v.a. auf die Menschen zugehen. Ein Beispiel ist die „rote Couch“, die in verschiedenen Ortsteilen, auch an Randgebieten, aufgestellt wird und zu einem Dialog auf Augenhöhe einlädt. Auch nicht so perfekte Orte, die eher einen Werkstattcharakter haben, bieten eine besondere, kreative Atmosphäre. „Dialog findet statt, wo Menschen sind“, daher ist auch an Marktplätze und Stammtische zu denken.

„Bilder erzeugen.“ Neue Kanäle der Wahrnehmung eröffnen neue Sichtweisen und fördern neue Ideen. Gerade die neuen Medien erlaubt es, komplexe Sachverhalte und verschiedene Szenarien zu veranschaulichen. Das können 3D-Darstellungen sein, kurze Video-Clips oder spielerische Elemente.

„Methodenmix“ Kurzfristige Projekte benötigen andere Beteiligungsformen als langfristig angelegte Planungs- und Entwicklungsprozesse. Auch die Menschen haben unterschiedliche Stärken. Der eine Typus bewegt sich lieber in theoretischen und konzeptionellen Überlegungen, der andere bevorzugt etwas Konkretes zum Anpacken. Junge Menschen fühlen sich vielleicht eher von den neuen Medien angesprochen, andere wiederum erreicht man eher am Stammtisch. Daher sollte auch ein Methodenmix zum Einsatz kommen. Noch spannender ist es, wenn es gelingt, die Menschen aus gewohnten Bahnen, Filterblasen und gedanklichen Schubladen herauszuholen und sie sich auf einen Perspektivwechsel einlassen. Die Beispiele der Vortragenden haben gezeigt: Es geht. Dazu braucht es Einfühlungsvermögen, Fantasie und auch einen langen Atem.

Umwelt und Energie, Städte, Ländlicher Raum
Silke Franke
Leiterin