Print logo

Die Reform der Tötungsdelikte

An der Frage, ob das deutsche Strafgesetzbuch einen neuen Mordparagraphen braucht, scheiden sich die Geister auf allen Ebenen, von der Politik über die Wissenschaft bis hin zur Praxis. Ein Thema also, das die Hanns-Seidel-Stiftung in ihrem Strafrechtssymposium vom 3. November 2015 gerne aufgegriffen hat, um den rechtspolitischen Diskurs zu begleiten.

Ursula Männle

Nachdem am Nachmittag bereits eine Expertenrunde mit Prof. Dr. Hans Kudlich und Prof. Dr. Alexander Ignor die „Überfällig- bzw. Überflüssigkeit“ der Reform eingehend diskutiert hatte, eröffnete die Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, Prof. Ursula Männle, die abendliche Podiumsdiskussion mit Bayerns Staatsminister der Justiz, Prof. Dr. Winfried Bausback, MdL.

In ihrer Einführung zeigte Männle die Kernfragen der Debatte auf. So ist ein zentraler Streitpunkt die Frage nach der Beibehaltung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Zudem wird von vielen Seiten eine sprachliche Korrektur des Wortes „Mörder“ verlangt, um die Behaftung des Tatbestandes vom NS-Jargon und dem „Tätertyp“ zu befreien.

Winfried Bausback, MdL

Zu Beginn seines Impulsvortrages stellte Bausback seinen Standpunkt mit folgendem Zitat klar: „Wenn es nicht unbedingt notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, ist es unbedingt notwendig, ein Gesetz nicht zu erlassen“. Zwar räumte er Randunschärfen einzelner Tatbestandsmerkmale und Anwendungsfragen gerade bei atypischen Fallkonstellationen ein. Die Rechtsprechung habe den Mordtatbestand jedoch in einer Weise rechtsstaatlich ausgeformt und konkretisiert, die es der Praxis ermögliche, gerechte Ergebnisse zu erzielen und besonderen Härtefällen Rechnung zu tragen. Eine Reform würde nur neuerliche Rechtsunsicherheiten hervorrufen, bis die Rechtsprechung auch hier in jahrzehntelanger Arbeit Klarheit schaffen würde. Schließlich akzentuierte er den für ihn wichtigsten Punkt der Debatte: Die Beibehaltung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Der Schutz des Höchstwerts ‚Leben‘ gebiete eine eindeutige Antwort auf Fälle höchststrafwürdiger Tötung.

Der Unterabteilungsleiter für materielles Strafrecht im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Dr. Bernhard Böhm, leitete die Sitzungen der Anfang des Jahres 2014 von Bundesjustizminister Heiko Maas, MdB einberufenen Expertenkommission. Zwar bestehe kein unerträglicher Rechtszustand, da die Praxis entsprechende Taten mit den durch die Rechtsprechung entwickelten Mechanismen angemessen aburteile.  Dennoch sieht er Reformbedarf der aktuellen Gesetzeslage. Die Legislative stehe in der Pflicht, die Verantwortung nicht auf die Richter abzuwälzen, sondern die Konflikte der Praxis im Gesetz zu lösen.

Bernhard Böhm, Hans Kudlich, Helene Bubrowski, Winfried Bausback, Alexander Ignor,Erik Ohlenschlager

Erik Ohlenschlager, Leitender Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Bamberg, hält eine Reform in seiner Praxis hingegen nicht für nötig. Die Rechtsprechung habe die mit dem Mordtatbestand in Zusammenhang stehenden Probleme genügend präzisiert.  Die reine Umformulierung des Wortlauts, „Mörder ist, wer..“,  könne durch eine redaktionelle Korrektur erreicht werden. Auch die praktische Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe sei zu befürchten, wenn diese unter ein Alternativverhältnis zu einer zeitigen Strafe gestellt werden sollte, gab der Strafrechtsprofessor Hans Kudlich zu bedenken. Nach empirischen Befunden wird die Absolutstrafe eines Tatbestandes, insbesondere dann, wenn es sich um die lebenslange Freiheitsstrafe handelt, von Richtern kaum angewandt.

Das Rechtsstaatsprinzip sei ein Optimierungsprinzip, dessen Aufgabe es ist, das Recht weiterzuentwickeln und sich verändernden gesellschaftlichen Bedürfnissen anzupassen, meinte der Strafverteidiger und Vorsitzende der Bundesrechtsanwaltskammer, Professor Alexander Ignor. Dem widersprach der Minister und betonte, das Bedürfnis der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit im Strafrecht sei ebenfalls ein bedeutender Aspekt des Rechtsstaatsprinzips, das durch eine Veränderung des Tatbestandes zwangsläufig gefährdet würde.

Die Moderatorin, Dr. Helene Bubrowski, selbst Juristin und Redakteurin für Rechtspolitik bei der FAZ, thematisierte das in der Praxis am bedeutendsten und gleichzeitig umstrittenste Tatbestandmerkmal der Heimtücke. Mit diesem Mordmerkmal geht eine ständige Rechtsweiterentwicklung einher, für die eine klare Definition doch bis heute fehlt. Trotz der Rückhaltung der Kommission in diesem Punkt, hält Böhm das Merkmal durchaus für reformbedürftig. Ignor ging noch einen Schritt weiter und bezeichnet die Verurteilungen nach dem Merkmal der Heimtücke geradezu als „Caselaw“ wie es im angelsächsischen Rechtskreis üblich ist. Das bedeutet, es wird von den Gerichten über den Gesetzeswortlaut hinaus eine Kasuistik entwickelt, nach welchen Kriterien eine Tat sanktioniert wird. Ignor reichte als Mitglied der Expertenkommission einen eigenen Gesetzesvorschlag zur Änderung der Heimtücke ein, um den Anwendungsbereich zu präzisieren. Es sei gar nicht möglich, den Gesetzestext so auszuformulieren, dass er alle Eventualitäten und Fallvarianten umfasse. Daher sieht Ohlenschlager durch den bestehenden Tatbestand und die daraus entwickelte Rechtsprechung auch die Merkmale der „Heimtücke“ und „niedrigen Beweggründe“ sowohl durch den Bundesgerichtshof als auch das Bundesverfassungsgericht ausreichend ausjudiziert. Dem stimmte Kudlich zu. Die Ersetzung eines unbestimmten Begriffs durch einen anderen sei unergiebig. In der Aufnahme von konkretisierenden Beispielen im Gesetzestext sieht er die Gefahr einer falschen Signalsendung. Der Begriff verlange eine Wertung und müsse durch Auslegung ausgefüllt werden. Am Ende wird die Entscheidung durch den BGH überprüft, fügte der Minister an.

Die Kommission hält den bestehenden, durch die Praxis geprägten Zustand insgesamt für weitgehend akzeptabel.  Ob der Gesetzgeber nun das Ergebnis der Kommission umsetzt oder die Verantwortung weiterhin der Rechtsprechung überlässt, bleibt abzuwarten. Klar ist jedenfalls, dass akuter Reformbedarf nicht besteht.