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Vor 105 Jahren
Die Geburt des Frauenwahlrechts in Deutschland

Autor: Prof. Ursula Männle

November 1918: der Kaiser hatte abgedankt. Noch vor Ausrufung der Republik in Deutschland verkündete der Rat der Volksbeauftragten als Übergangsregierung des deutschen Reiches in einem Aufruf an das deutsche Volk: „Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht aufgrund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen“ – die Geburtsurkunde des Frauenwahlrechts in Deutschland.

Eine Frau betrachtet ein Wahlplakat des Ausschusses der Frauenverbände Deutschlands, 1918.

Sonderausstellung des Historischen Museums in Frankfurt am Main im Jahr 2018: "Damenwahl! 100 Jahre Frauenrecht".

epd; HSS; IMAGO

Damit wurde eine der wichtigen Forderungen der Frauenbewegung, die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts aufgestellt wurde, endlich erfüllt. Als erste Partei hatte dies die SPD 1891 in ihr Grundsatzprogramm aufgenommen, die bürgerlichen Parteien waren eher ablehnend und selbst die konfessionellen Frauenverbände hielten die Zeit für noch nicht reif und die Frauen für zu wenig vorbereitet. Krieg und Revolution brachten die entscheidende Wende.

Als Freie und Gleiche

Bereits bei der am 19. Januar 1919 erfolgten Wahl zur Nationalversammlung gingen 82,3 Prozent der Frauen zur Wahl. Der Anteil der gewählten Frauen betrug 9,6 Prozent. Ein gutes Ergebnis, das die Frauen bei der Formulierung der Weimarer Verfassung und später bei der Gesetzgebung umzusetzen wussten. Zwar sank das Ergebnis für die erste Wahl in den „republikanischen“ Reichstag im Juni 1920 von 8,7 Prozent bis zur letzten Wahl im März 1933 auf 3,8 Prozent, aber viele Gesetze im Sozial-, Jugend- und Bildungsbereich wurden wesentlich von den Frauen mitgestaltet. Und das Protokoll, das noch ,,Heiterkeit" bei der Rede von Marie Juchacz vermerkte, als sie sagte: „Meine Herren und Damen, es ist das erste Mal in Deutschland, dass die Frau als Freie und Gleiche zum Volk sprechen darf“, wich doch der Anerkennung der Leistungen dieser Frauen.

Einige der bereits in der Weimarer Republik aktiven Parlamentarierinnen arbeiteten nach 12 Jahren Diktatur am demokratischen Wiederaufbau mit, kandidierten in den Ländern und zum deutschen Bundestag und brachten ihre Erfahrungen ein. Wieder war der Frauenanteil in den politischen Gremien gering. Nur vier Frauen von 65 Mitgliedern des Parlamentarischen Rats – die verfassungsgebende Versammlung 1948/49 - setzten sich erfolgreich für den Satz im Grundgesetz ein: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Und der Frauenanteil im ersten Bundestag betrug nur 7,1 Prozent. Er sollte bis 1987 immer unterhalb der Zehn-Prozent-Grenze bleiben. Signifikant steigen konnte er durch den Einzug der Grünen ins Parlament und durch parteiinterne Quotierungsregelungen. Bei der Bundestagswahl 2O21 betrug er inzwischen 34,9 Prozent, nur ein bisschen mehr als ein Drittel. Bei den Wahlen zum bayerischen Landtag Anfang Oktober dieses Jahres ging der Frauenanteil leider auf ein Viertel zurück. Für viele Frauen ein Grund, nach Parität zu rufen. Auch Politiker beklagen die geringe Frauenrepräsentanz.

Deutsche Nationalversammlung: Barmherzige Schwestern vor einem Wahllokal im Jahr 1919.

Deutsche Nationalversammlung: Barmherzige Schwestern vor einem Wahllokal im Jahr 1919.

Bundesarchiv; CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE; Wikimedia Commons

Das Wahlrecht entscheidet

Wo liegt die Ursache? Bei den Frauen oder den Parteien oder dem Wahlrecht? Betrachtet man international die Wahlgesetze, so ist pauschal festzustellen, dass diese einen entscheidenden Einfluss auf den Frauenanteil in den Parlamenten haben. Bei einem reinen Mehrheitswahlrecht (zum Beispiel Großbritannien), wo die örtliche Basis üben die Kandidatur entscheidet, ist der Frauenanteil deutlich geringer, als bei einem Verhältniswahlrecht (wie in den skandinavischen Ländern). Dort wird nach zentralen Listen der Parteien gewählt. Unser personalisiertes Verhältniswahlrecht liegt dazwischen.

Die Mechanismen und Kriterien der Kandidatenwahl sind grundverschieden. Das innerparteiliche Aufstellungsverhalten bestimmt sich danach: Sichere Direkt-Wahlkreise werden eher an Männer vergeben. Parteien, die ihre Mandate dagegen fast ausschließlich über die Listen erhalten, können diese besser nach übergeordneten Gesichtspunkten gestalten, bis hin zum Reißverschlussverfahren. Wichtig ist nur, dass die Delegierten der Aufstellungsversammlungen dem zustimmen. Sind die Listen starr und nicht - wie im bayerischen Kommunalwahlrecht – durch Panaschieren und Häufeln veränderbar, entscheidet über die Repräsentanz von Männern und Frauen nicht das Wahlvolk, sondern das jeweilige für die Aufstellung zuständige Parteigremium.

Quotierungsregelungen in den Parteien haben deutlich gemacht, dass diese entscheidend sind für den Frauenanteil in den politischen Gremien. Natürlich bemühen sich die anderen Parteien, dem ohne Vorgaben in den Satzungen nahezukommen und freiwillig den Frauenanteil zu erhöhen. Analysiert man jedoch die Ergebnisse der Parteien etwa in der kürzlich stattgefundenen Landtagswahl in Bayern, sieht man, dass die Hoffnungen, durch Freiwilligkeit Veränderungen im Aufstellungsverhalten zu erreichen, nur wenig helfen oder sogar Rückschritte erzielen. Auf den Willen der Parteien kommt es vorrangig an.

Prof. Ursula Männle (Staatsministerin a.D. und ehemalige Vorsitzende der HSS) bei der Neueröffnung des Konferenzzentrums der Hanns-Seidel-Stiftung in München, 2021.

Prof. Ursula Männle (Staatsministerin a.D. und ehemalige Vorsitzende der HSS) bei der Neueröffnung des Konferenzzentrums der Hanns-Seidel-Stiftung in München, 2021.

HSS

Frauen müssen sich Kandidaturen stellen

Verbleiben die Frauen. An ihnen kann es eigentlich nicht liegen. Kandidatinnen auf den Wahlzetteln werden gewählt. Aber Frauen müssen bereit sein, in die Parteien zu gehen, dort mitzuarbeiten und auch, sich Kandidaturen zu stellen. Auf dem Silbertablett wird nichts mehr angeboten und falls doch: Zugreifen, meine Damen. Keine Zurückhaltung. Sie schaffen das.

Der Ruf nach einer Änderung wird bei denen lauter, die die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an den politischen Entscheidungsprozessen wollen. Die weitere Änderung unseres Wahlrechts steht auf der Tagesordnung. Jedenfalls ist vom Deutschen Bundestag hierfür eine Kommission einberufen worden, die Vorschläge erarbeiten soll. Bisher denkt sie ausschließlich im Rahmen unseres bestehenden Systems. Ob dies ausreicht? Jedenfalls geht es nicht ohne den Willen des Gesetzgebers, ernsthaft an der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frauen, wie es in Artikel 3 des Grundgesetzes formuliert ist, zu arbeiten.

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Redakteur: Andreas von Delhaes-Guenther
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