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Plötzlich Partner?
Der Iran und der Westen nach dem Atomabkommen

Nach langen Verhandlungen einigte sich Anfang April 2015 die sog. „P5+1-Gruppe“ mit Teheran auf ein umfassendes Abkommen zur Lösung des Konfliktes um das iranische Atomprogramm. Um eine erste Bilanz zu ziehen und der Frage nachzugehen, wie sich die iranisch-westlichen Beziehungen in der Zwischenzeit gewandelt haben, lud die Hanns-Seidel-Stiftung am 26. November 2015 zur Expertenrunde nach Berlin.

Die Hauptmitwirkenden des Experten-Workshops

Die Hauptmitwirkenden des Experten-Workshops

Glanzstück der Diplomatie oder historischer Fehler – die Meinungen zum Abkommen zur Schlichtung des seit 2012 schwelenden Konfliktes um das iranische Atomprogramm gehen auseinander. Jahrelang verhandelten die fünf Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und Deutschland mit dem Iran, ehe im Frühjahr 2015 der Durchbruch gelang. Angesichts der gegenwärtigen und weitreichenden Sicherheitsbedrohungen in dieser Region wie dem Bürgerkrieg in Syrien und dem Aufstieg des Islamischen Staates (IS) hegt vor allem der Westen die Hoffnung, den Iran zukünftig als Partner gewinnen zu können. Um die Ergebnisse der bisherigen Umsetzung des Abkommens sowie dessen wirtschaftliche und sicherheitspolitische Dimension zu erörtern, teilten ausgewiesene Experten und Expertinnen aus den Medien, unterschiedlichen Forschungseinrichtungen und Bundesministerien ihre Einschätzungen.

Daniel-Dylan Böhmer, Oliver Meier, Tilo Klinner

Daniel-Dylan Böhmer, Oliver Meier, Tilo Klinner

Das erste Panel, das von Dr. Oliver Meier, Stiftung Wissenschaft und Politik, eingeleitet und von Daniel-Dylan Böhmer, Die Welt, moderiert wurde, beleuchtete den Aktionsplan (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) und seine bisherige Umsetzung. Zwar handelt es sich beim JCPOA nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag, die Vereinbarung wurde jedoch durch die UN-Resolution 2231 (2015) am 20. Juli 2015 durch den Sicherheitsrat bestätigt. Nachdem sowohl der amerikanische Kongress als auch das iranische Parlament den Aktionsplan gebilligt hatten, begann Teheran mit der Umsetzung der nuklearbezogenen Maßnahmen sowie freiwilliger Maßnahmen, die nicht vertraglich festgehalten wurden. So könnten bislang klare Fortschritte auf Seiten des Iran verbucht werden: die Zahl der Zentrifugen wurde signifikant verringert und die Transparenz deutlich erhöht. Im Gegenzug wurden bereits Abkommen zwischen dem Iran und Russland sowie China abgeschlossen, um die zivile nukleare Kooperation zu intensivieren. Unklar bleibe allerdings, wann sämtliche Eckpunkte des Abkommens nachweislich umgesetzt würden, so dass die Europäische Union (EU) und die USA ihre Sanktionen aussetzen könnten. Des Weiteren bestünde weiterhin die Gefahr eines sog. snap-back: Im Aktionsplan wurde ein Streitbeilegungsmechanismus verankert, der es ermöglicht, sich an eine Gemeinsame Kommission zu wenden, sollte eine Partei ihren Verpflichtungen unzureichend nachkommen. Im Falle einer „erheblichen Nichterfüllung“ wird der UN-Sicherheitsrat eingeschaltet, der innerhalb einer gewissen Frist für die „Beibehaltung der Sanktionsaufhebung“ stimmen muss. Andernfalls treten alte Resolutionen, z.B. wirtschaftsbezogene Sanktionen gegen den Iran, wieder in Kraft. Spätestens zum 18. November 2023 (sog. Transition Day) sollen die EU- und US-Sanktionen aufgehoben werden, während der Iran mit der Ratifizierung des Zusatzprotokolls zum Kernwaffensperrvertrag (Comprehensive Safeguards Abkommen), das der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) bessere Verifikationsmöglichkeiten einräumt, beginnen soll. Darüber hinaus sei zu beachten, dass das Abkommen von begrenzter Dauer ist und zum 18. Oktober 2025 außer Kraft tritt. Um die erfolgreiche Zusammenarbeit weiterhin garantieren zu können, müsse man sich einiger Herausforderungen stellen: Einerseits müsse der politische Wille von allen beteiligten Akteuren aufrecht erhalten werden, unabhängig von zukünftigen Wahlausgängen und etwaigen Regierungswechseln in den jeweiligen Ländern. Andererseits sei die Möglichkeit einer militärischen Dimension des iranischen Nuklearprogrammes bislang noch nicht gänzlich geklärt. Aus diesem Grund vereinbarten die IAEO und der Iran einen Fahrplan, der der IAEO u.a. den Zugang zu Militäranlagen wie Parchin einräumte, um neben transparenz- und vertrauensbildendenden Maßnahmen die Frage nach einem möglichen militärischen Hintergrund des Programms bis zum 15. Dezember 2015 abschließend zu klären. Allerdings dürfe man nicht annehmen, dass hierdurch ein Präzedenzfall geschaffen werde, schließlich sei der Iran derzeit „der am stärksten inspizierte Staat der Welt“, der wie jeder andere Staat nationalstaatliche, sicherheitspolitische Interessen verfolge und sich nachvollziehbarer Weise bedeckt halten wollen würde. Insgesamt biete das JCPOA eine gute Möglichkeit, um den schwelenden Konflikt um das iranische Atomprogramm zu schlichten. Zudem habe das Abkommen eine Stärkung der IAEO im Besonderen und des Nichtverbreitungsregimes im Allgemeinen erreicht, die als ein wichtiger Schritt zu einer nuklearwaffenfreien Zone im Mittleren Osten gewertet werden könne.

Andreas Rüesch, Tilo Klinner

Andreas Rüesch, Tilo Klinner

Im zweiten Panel, das Dr. Tilo Klinner, Auswärtiges Amt, eröffnete, diskutierten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen unter Moderation von Dr. Andreas Rüesch, Neue Zürcher Zeitung, die wirtschaftlichen Implikationen des Abkommens. Mit dem Tag der Umsetzung des Abkommens (Implementation Day), mit dem voraussichtlich im Februar 2016 gerechnet werden könne und an dem die IAEO attestiert, dass der Iran seinen Verpflichtungen nachgekommen ist, werden die EU und die USA ihrerseits die wirtschaftsbezogenen Sanktionen aussetzen. Zu bedenken sei allerdings, dass bei der Aussetzung der Sanktionen kein einfacher Rückbau möglich sei, da es unterschiedliche europäische, US-amerikanische und UN-Sanktionssysteme gäbe und die Aufhebung somit in mehreren Phasen erfolgen müsse. Somit würde das wohl „strikteste Sanktionsregime der Welt“ zwar gelockert werden, aber eine Reihe von Sanktionen, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen und die Unterstützung von als terroristisch eingestuften Organisationen richten, bestehen blieben. Des Weiteren bleiben Maßnahmen wie das bestehende Waffenembargo (inklusive Trägersysteme) und die strengen Auflagen für den Export von sog. dual-use-Gütern, also von Wirtschaftsgütern, die sowohl zivil also auch militärisch eingesetzt werden könnten, weiterhin gültig. Konkret geht es in der ersten Phase der Sanktionsaufhebung u.a. um die Streichung der Listungen zahlreicher iranischer Banken, Ministerien und Unternehmen im Öl- und Gassektor, die Aufhebung von Import- und Exportverboten für Ausrüstung und Erzeugnissen der Öl- und Gasindustrie sowie das Ende von Handelsbeschränkungen im Finanzsektor. Auch in diesem Panel wurde der Snap-Back-Mechanismus diskutiert und welche Auswirkungen es für die deutschen Unternehmen hätte, sollte das alte Sanktionsregime wieder in Kraft treten. Dabei verwiesen die Experten auf den sog. Altvertragsschutz mit begrenzter Laufzeit, der in diesem Fall für in der Zwischenzeit abgeschlossene Verträge gelten würde. Generell berge die Sanktionsaufhebung wirtschaftliche Möglichkeiten, da der Iran angesichts seiner Demographie, der vorhandenen Ressourcen und Infrastruktur einen aussichtsreichen Wirtschaftsmarkt darstelle. Dennoch gäbe es nach wie vor strukturelle und regulatorische Hürden. Zudem müsse man beachten, dass deutsche Unternehmen nach Sanktionsaufhebung mit den gegenwärtigen Haupthandelspartnern des Iran aus China und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Konkurrenz stünden. Insgesamt könne die Aufhebung der Sanktionen als wirtschaftliche, aber auch als politische Chance angesehen werden, der allerdings mit Umsicht begegnet werden müsse. 

Alexander Wolf, Christiane Hohmann

Alexander Wolf, Christiane Hohmann

Zum Abschluss des Workshops betrachteten die Teilnehmer die sicherheitspolitischen Aspekte der Einigung mit dem Iran. Auftakt machte Christiane Hohmann, Leiterin des Referats Grundsatzfragen, Abrüstung und Rüstungskontrolle im Auswärtigen Amt, ehe Moderator Dr. Alexander Wolf, Hauptstadtbüroleiter der Hanns-Seidel-Stiftung, die Diskussion für alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen eröffnete. Eine sicherheitspolitische Betrachtung des Abkommens mit dem Iran müsse auf drei Ebenen erfolgen: national, regional und global. Aufgrund der bestehenden innenpolitischen Verhältnisse im Iran hätten sich die Verhandlungen als durchaus schwierig erwiesen. Allerdings hege man die Hoffnung, dass sich das Abkommen und der zu erwartende wirtschaftliche Erfolg, wodurch sich der Iran teilweise aus der internationalen Isolierung bewege, auch positiv auf die inneren Zustände des Landes auswirken. Des Weiteren sei anzumerken, dass der Iran bisweilen seinen Anforderungen nachkomme, auch wenn die technische Umsetzung des Abkommens mehr Zeit bedürfe. So könne das Abkommen auch als Möglichkeit angesehen werden, nach Jahren der Auseinandersetzung gegenseitiges Vertrauen wieder aufzubauen.

Neben den nationalen Gesichtspunkten müsse man auch Irans Anspruch, eine regionale Hegemonialmacht zu sein, berücksichtigen. Einerseits könne dies zu vermehrten Spannungen in der Region führen, beispielsweise mit Saudi-Arabien, das ebenso hegemoniale Ansprüche erhebt. Andererseits könne Irans Rückkehr an den „runden Tisch“ auch zur Beilegung regionaler Konflikte genutzt werden, da Teheran einen wichtigen Akteur der Region darstellt. So könnte der Iran auch bei der Lösung der Syrien-Krise eine wichtige Rolle spielen, wobei es bislang noch unklar sei, inwiefern sich die iranischen und westlichen Interessen deckten. Darüber hinaus könnte das Abkommen ein wichtiger Schritt zur Errichtung einer nuklearwaffenfreien Zone im Mittleren Osten sein. Unwahrscheinlich sei es hingegen, dass sich die iranisch-israelischen Beziehungen in naher Zukunft verbessern würden.

International betrachtet werde das Abkommen auch erst nach geraumer Zeit seine vertrauensbildende Wirkung entfalten. Denn nach wie vor herrsche auf beiden Seiten der Verhandlungspartner eine Bedrohungsperzeption vor. Während der Westen gegenüber dem Iran und seinen Versicherungen, keine Nuklearwaffen angestrebt zu haben, immer noch skeptisch sei, fürchte man in Teheran zum einen eine kulturelle Unterwanderung durch westliche Einflüsse. Zum anderen befürchte vor allem die iranische Führungsriege, die USA und der Westen könnten insgeheim einen internen Wandel und schließlich einen Regime-Wechsel  beabsichtigen. Generell sei das Verhältnis zwischen den USA und dem Iran nach wie vor getrübt, so dass wohl erst ein Generationenwechsel in den Führungsriegen stattfinden müsse, ehe sich die Beziehungen normalisieren könnten. Denn auch wenn mit dem Abkommen ein wesentlicher Konflikt vorerst gelöst worden sei, gäbe es noch weitere Probleme, die zwischen dem Westen und dem Iran stünden.