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Nachruf auf Henry Kissinger
„Der Fürther Bub, der Geschichte schrieb“

Autor: Andreas von Delhaes-Guenther

Wohl keiner hat die US-Außenpolitik im 20. Jahrhundert so sehr geprägt wie er: Henry Kissinger. Der frühere US-Außenminister, Friedensnobelpreisträger und gebürtige Fürther ist nun im Alter von 100 Jahren in seinem Zuhause im US-Bundesstaat Connecticut gestorben.

Henry Kissinger, Träger des ersten FJS-Preises der HSS, hält seine Dankesrede im Kaisersaal der Münchner Residenz, 1996.

Henry Kissinger, Träger des ersten FJS-Preises der HSS, hält seine Dankesrede im Kaisersaal der Münchner Residenz, 1996.

HSS; HSS Archiv

Kissinger wird bei einer privaten Feier im Familienkreis beigesetzt, eine Gedenkfeier folgt später in New York. Der HSS-Vorsitzende Markus Ferber, MdEP, würdigt den Verstorbenen: „Mit Henry Kissinger hat uns einer der ganz großen Weltversteher und Welterklärer des 20. Jahrhunderts verlassen. Mit Realismus, aber auch mit fränkischer Schläue war er ein großer Gestalter der Nachkriegsordnung auf diesem Globus. Er wird uns sehr fehlen, um die richtigen Ratschläge in den bestehenden Konflikten zu geben.“ 1996 zeichnete ihn die HSS als ersten Träger des Franz-Josef-Strauß-Preises für seine außerordentlichen Verdienste um Frieden, Freiheit und Demokratie aus. Kissinger bedankte sich damals mit den Worten: „Es bedeutet für mich viel, in meinem Heimatland geehrt zu werden – und mit einem Preis ausgezeichnet zu werden, der den Namen meines Freundes Franz Josef Strauß trägt.“

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schrieb, Bayern trauere um Kissinger, einen bedeutenden Staatsmann, "der mit Weitsicht und großem analytischen Scharfsinn die Menschen überzeugen konnte". Söder weiter: "Nicht alle seiner Positionen waren unumstritten. Aber er war einer der wichtigsten und klügsten Außenpolitiker des vergangenen Jahrhunderts." Zudem unterstrich er die bayerische Herkunft Kissingers: "Er war Bayer, Franke, Fürther und seiner alten Heimat und dem jüdischen Leben bis zuletzt verbunden."

Viele Politiker aus aller Welt kondolierten, sogar Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping schickte US-Präsident Joe Biden ein Beileidsschreiben.

Preisträger Henry Kissinger mit dem ehemaligen CSU-Vorsitzenden Theo Waigel (1988-1999) und dem ehemaligen HSS-Stiftungsvorsitzenden Alfred Bayer (1994-2004).

Preisträger Henry Kissinger mit dem ehemaligen CSU-Vorsitzenden Theo Waigel (1988-1999) und dem ehemaligen HSS-Stiftungsvorsitzenden Alfred Bayer (1994-2004).

HSS; HSS Archiv

Die ersten Jahre

Heinz Alfred Kissinger wurde am 27. Mai 1923 in Fürth als Sohn deutsch-jüdischer Eltern geboren. In seiner Kindheit spielte er begeistert Fußball. Seinem damaligen Verein, der Spielvereinigung Fürth, blieb er als treuer Fan verbunden. Die CSU-Europaabgeordnete Marlene Mortler berichtete über ein Treffen mit Kissinger, bei dem sie sich als Nürnberg-Fan outete. Seine Entgegnung: „Ich verzeihe Ihnen noch einmal.“

Als die Nazis in Deutschland an die Macht kamen, verlor der Vater seine Arbeit als Lehrer, die Söhne mussten die Schule verlassen und durften auch Fürther Fußballspiele nicht mehr besuchen. Die Familie floh 1938 gerade noch rechtzeitig nach New York. Aus Heinz wurde der US-Staatsbürger Henry. „Es waren schwierige Zeiten, es war kein Vergnügen. Aber es hat mir auch gezeigt, wie wichtig die Freiheit ist“, sagte Kissinger später. Nach dem Militärdienst im Zweiten Weltkrieg arbeitete er in Deutschland an der Aufklärung von NS-Kriegsverbrechen und später für die US-Spionageabwehr. Zurück in den USA promovierte er an der Harvard University und wurde Professor für Politikwissenschaft. In seinem Buch „Kernwaffen und Auswärtige Politik“ von 1957 hielt er noch einen „begrenzten Atomkrieg“ für beherrschbar.

Der Pendelminister

1968 wurde er Nationaler Sicherheitsberater unter Präsident Richard Nixon, 1973 US-Außenminister - und blieb das auch unter Nixons Nachfolger Gerald Ford. Kissinger prägte die „Pendeldiplomatie“ – er reiste zwischen Hauptstädten hin und her und verhandelte direkt zwischen Konfliktparteien. Kissinger organisierte den ersten Besuch eines US-Präsidenten in China – 1972 traf Nixon KP-Parteiführer Mao Zedong. Er bemühte sich auch um internationale Abrüstung mit der Sowjetunion: Das erste Abkommen zur Rüstungsbegrenzung SALT I war sein Werk. Außerdem handelte Kissinger 1973/74 das Ende des Jom-Kippur-Krieges arabischer Staaten gegen Israel aus. Nach jahrelangen Geheimverhandlungen vermittelte Kissinger 1973 den Friedensvertrag im Vietnamkrieg – wofür er gemeinsam mit dem Nordvietnamesen Le Duc Tho den Friedensnobelpreis erhielt.

Allerdings wurde seine Rolle in einigen Konflikten und Diktaturen kritisiert, darunter in Kambodscha, Chile und Osttimor. Die Vorwürfe hat Kissinger stets zurückgewiesen. „Henry ist überzeugt, niemals einen Fehler gemacht zu haben“, sagte der ehemalige US-Präsident Ford. Für viele galt Kissinger als außenpolitisches Genie. Kritiker monierten, bei ihm habe der Zweck die Mittel geheiligt. Was irgendwie auch stimmte: Der Deutschamerikaner galt als Verfechter der Realpolitik, wonach mit den Mitteln der Diplomatie pragmatische Ziele erreicht und nicht hehre Ideale vorangetrieben werden sollten.

Gruppenbild am Rande der Preisverleihung in München: Henry Kissinger mit den Strauß-Kindern Franz-Georg, Max und Monika, sowie dem damaligen Bundesfinanzminister Theo Waigel.

Gruppenbild am Rande der Preisverleihung in München: Henry Kissinger mit den Strauß-Kindern Franz-Georg, Max und Monika, sowie dem damaligen Bundesfinanzminister Theo Waigel.

HSS; HSS Archiv

Die Bühne nie ganz verlassen

Kissinger selbst beschrieb seinen Lebensweg so: „Wenn mich irgendetwas auf diese Karriere vorbereitet hat, dann ist es, dass ich im Chaos groß geworden bin.“ Nach dem Amtsantritt des demokratischen Präsidenten Jimmy Carter 1977 verließ Kissinger die politische Bühne – wenn auch nie ganz. Er gründete in New York die Berater-Denkfabrik „Kissinger Associates“, schrieb bis 2022 weitere Bücher und war ein gefragter Redner. „Ich bin eine weltweite Berühmtheit. Ich kann einfach nicht das Leben eines normalen Professors führen“, sagte er ganz unbescheiden.

Die aktuelle Weltlage sei "komplizierter und langfristig betrachtet dadurch auch gefährlicher" als während des Kalten Kriegs, betonte Kissinger 2022 in einem Interview. Im Juni 2023 feierte er in seiner fränkischen Geburtsstadt seinen 100. Geburtstag nach, mit Gästen aus Politik und Diplomatie - und seinem Lieblingsverein SpVgg Greuther Fürth. Das Land, das seine Familie einst vertrieben hatte, war wieder Heimat geworden. Noch im Juli flog er zu „privaten“ Gesprächen mit Präsident Xi Jinping nach China, kurz nachdem über den USA ein Spionageballon abgeschossen wurde.

2012 freute er sich bei einem Treffen mit Markus Ferber in New York über den Aufstieg seiner Fürther in die Erste Fußball-Bundesliga. „Der Fürther Bub, der Geschichte schrieb“, hielt der HSS-Vorsitzende damals fest. „Er steht wie kaum ein anderer für die Wiederaufnahme Deutschlands in die internationale Gemeinschaft und das Zusammenwachsen Europas. Danke Henry Kissinger.“

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Redakteur: Andreas von Delhaes-Guenther
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