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Ehrenamt beim Bayerischen Roten Kreuz - Interview
"Der Eintritt erfolgt freiwillig, der Austritt durch Ableben"

Sanitäts- und Rettungsdienste sind auf freiwilliges Mitwirken angewiesen. Beim Bayerischen Roten Kreuz kommen zu 6000 Festangestellten über 140.000 ehrenamtliche Einsatzkräfte, die pro Jahr ca. 2,5 Millionen Stunden leisten. Gut, dass es so viele freiwillige Helfer gibt – ihnen genügt es nicht, nur für den Lebensunterhalt zu arbeiten. Sie suchen Herausforderung und Zufriedenheit im sozialen Engagement. Beim BRK kann man in der Berg- und Wasserwacht, bei Sozialarbeiten und im Bereitschaftsdienst arbeiten.

Egal ob Autounfälle, ein Schwächeanfall bei einem Festival oder geflutete Keller nach einem riesigen Unwetter - auf die Einsatzkräfte im Bereitschaftsdienst kann man sich immer verlassen.

Egal ob Autounfälle, ein Schwächeanfall bei einem Festival oder geflutete Keller nach einem riesigen Unwetter - auf die Einsatzkräfte im Bereitschaftsdienst kann man sich immer verlassen.

Bayerisches Rotes Kreuz (BRK)

HSS: Arbeiten im Rettungsdienst sind mit einer besonderen Belastung verbunden. Wie sind Sie ausgerechnet zu diesem Ehrenamt gekommen?

 

Thilo Osterburg: "In meinem früheren Beruf, habe ich an mehreren Erste-Hilfe-Kursen teilgenommen. Die Art und Weise des Ausbilders und seine Erzählungen aus der Praxis haben mich motiviert, mein Wissen im Bereich der Ersten Hilfe zu erweitern. Das hat mich so begeistert, dass ich eine Ausbildung zum Sanitätshelfer gemacht und mich dann in der Bereitschaft Türkenfeld als Ehrenamtlicher in der „Helfer vor Ort“-Gruppe eingebracht habe."

 

HSS: In welchem Bereich des BRK sind Sie tätig? Wie sieht Ihr „normaler“ Dienstalltag aus?

 

"Zu meinen Aufgaben als stellvertretender Bereitschaftsleiter gehören:

  • Sicherstellung der Einsatzbereitschaft für den Katastrophenschutz
  • Vorbereitung von Dienst- und Übungsabenden
  • Fahrzeug- und Materialpflege
  • Aus- und Fortbildung
  • Sanitätsdienst auf Anforderung bei Veranstaltungen
  • Rettungsdienst in Bereitschaft

Außerdem gebe ich Erste-Hilfe-Kurse und bin Ausbilder für den sog. „Helferführerschein“ (PKW-Führerscheinerweiterung bis 7,5 Tonnen). Neben diesen Aufgaben bin ich Mitglied im Haushaltsausschuss. Das Amt des ersten Bereitschaftsleiters habe ich abgegeben, da sich die Verwaltungsaufgaben so erhöht haben, dass ich diesen nicht mehr nachkommen konnte. Im vergangenen Jahr habe ich neben meiner Vollzeitstelle ca. 700 Stunden für mein Ehrenamt investiert. Nur für den Rettungsdienst und Aus- und Weiterbildungen die ich gebe, bekomme ich eine Aufwandsentschädigung."

 

HSS: Sie tragen, wie wir erfahren haben, sehr viel Verantwortung. Welche Möglichkeiten zum Training bzw. zur Fortbildung bietet das BRK für seine ehrenamtlichen Helfer?

 

"Die Arbeit in der Leitungs- oder Führungsebene im BRK oder als Einsatzkraft setzt eine fundierte Ausbildung voraus. Den im Volksmund verwendeten Begriff „Helfer“ finde ich daher falsch, da jede Person eine fachlich ausgebildete Einsatzkraft ist. Unsere Ausbildung ist nie abgeschlossen, wir trainieren regelmäßig und bringen uns auf den aktuellsten Stand. Die Kurse finden immer an Wochenenden statt, die Teilnehmer bekommen sämtliche Kosten wie etwa Unterkunft, Verpflegung und Fahrtkosten erstattet. Auch die Einsatzkleidung wird vom BRK bezahlt und zur Verfügung gestellt."

Mann in Anzug sitzt vor einem Mischpult mit Kopfhörern in der Hand. Er lächelt fröhlich in die Kamera.

Thilo Osterburg ist seit 2000 Mitglied im Bayerischen Roten Kreuz (BRK). Seit 2001 ist er in Vollzeit im Konferenzzentrum München als Technischer Leiter angestellt. Seinen Dienst beim BRK hat er nicht aufgegeben sondern setzt sich als Ehrenamtlicher für die Bereitschaft Türkenfeld ein. Um von seinem häufig hektischen Alltag abzuschalten geht er wandern.

HSS; Konferenzzentrum München

 

HSS: Sie arbeiten als Technischer Leiter im Konferenzzentrum München in Vollzeit. Wie vereinbaren Sie Ihr freiwilliges Engagement mit Ihrem Beruf?

 

"Aufgrund der flexiblen Arbeitszeiten im Konferenzzentrum können geplante ehrenamtliche Dienste am Wochenende berücksichtigt werden. Da übernehme ich dann abwechselnd Tag- oder Nachtdienste. Im Bereitschaftsdienst dauert eine Schicht 12 Stunden. Bei allen anderen Alarmen kann ich nach eigenem Ermessen zu den Einsätzen fahren. Meine Aufgaben im Konferenzzentrum übernimmt dann ein Kollege. Es wird immer abgewogen aber im Zweifelsfall geht der Beruf vor. Grundsätzlich gilt, bei Einsätzen unter der Woche muss es sich um ein Großschadensereignis oder ein besonders hohes Einsatzaufkommen handeln, damit wir ehrenamtlichen Helfer gerufen werden."

 

HSS: Für Ihre kurzfristigen Einsätze haben Sie eine Abmachung mit Ihrem Arbeitgeber. Wie sieht es bei absehbaren oder mehrtägigen Einsätzen aus?

 

"Für solche Fälle habe ich ein gutes Beispiel: Das BRK hat an der internationalen, mehrtägigen Katastrophenschutzübung "EU Taranis 2013" in Österreich teilgenommen. Für diese einmalige Chance wurde ich freigestellt."

Info:

Vom 27. bis 29. Juni 2013 fanden in Salzburg und Umland mehrere Katastrophenschutzübungen statt. Diese internationale Aktion wurde von der EU mitfinanziert. An 22 Übungsszenarien nahmen insgesamt rund 1.700 Personen (ca. 900 Einsatzkräfte und ca. 800 Figuranten, Organisatoren und Observer) aus 8 europäischen Nationen teil. Neben dem Österreichischen Militär und dem Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK) beteiligen sich Einsatzkräfte aus Deutschland, Italien, Kroatien, Tschechien, Bulgarien, Rumänien und den Niederlanden.

 

HSS: Haben Sie jemals daran gedacht, Ihr Hobby zum Beruf zu machen?

 

"Nicht wirklich. Der Reiz beim Roten Kreuz für mich ist und bleibt das Ehrenamt und das Hobby. Als ich im Konferenzzentrum angefangen habe, wusste ich, dass ich meinen Lebensunterhalt als Technischer Leiter verdienen möchte. Der Aufbau des Konferenzzentrums und die zusammen gemeisterten Herausforderungen mit Kollegen und Vorgesetzten haben eine große Verbundenheit zu meinem Beruf geschaffen.

Am ehesten könnte ich mir vorstellen den Bereich Rettungsdienst in Vollzeit auszuführen, wobei ich die Abstumpfung in der hauptberuflichen Arbeit sehr problematisch finde. Außerdem finde ich es erschütternd wie sehr das Anspruchsdenken der Bevölkerung meine Kollegen im hautamtlichen Rettungsdienst belastet und in Schwierigkeiten bringt. Zum Beispiel bekommen wir immer wieder „Notfälle“, die sich im Nachhinein als Bagatellverletzung herausstellen."

 

HSS: Im vergangenen Jahr haben Sie über 700 Stunden beim BRK verbracht, das sind mehr als 30 Tage. Bleibt Ihnen da Zeit für andere Hobbys, Freunde und Familie?

 

"Wer beim Roten Kreuz ist braucht keine anderen Hobbies mehr. Da steckt eine gewisse Lebenseinstellung dahinter, wobei man ganz klar auch hier Pausen einlegen muss, um den Spaß an der Sache nicht zu verlieren und um seine eigenen Grenzen nicht zu überschreiten. Die anfängliche Begeisterung für sämtliche Sanitätsdienste wurde durch Einsätze bei Partys die oft bis um 4 Uhr früh andauern, gelindert. Die Menschen mit denen ich zusammenarbeite sind nicht nur Kollegen, sondern Freunde, die genauso verrückt danach sind anderen Menschen zu helfen. Wir ticken alle gleich und verfolgen dieselben Ziele. Hinter dem Ehrenamt beim Bayerischen Roten Kreuz steht Zusammengehörigkeit und ein großes Familiengefühl. Meinen Vater besuche ich alle 2 Wochen und den Rest der Familie sehe ich bei den Familienfeiern."

Mann in Einsatzkleidung sieht zu einer Person die auf einer Liege liegt hinunter. Die liegende Person hat eine Verletzung im Gesicht.

Große Gruppen freiwilliger Einsatzkräfte zu managen ist kein Kinderspiel. Vor allem Sanitätsdienste in den Sommermonaten oder Vorfälle die ein großes Einsatzaufkommen benötigen, fordern von den freiwilligen Koordinatoren und Einsatzkräften sämtliche Energie.

Bayerisches Rotes Kreuz (BRK)

 

HSS: Fällt Ihnen der Sanitäts- und Bereitschaftsdienst immer noch so leicht wie früher?

 

"Selbstverständlich merkt man, dass man älter wird. Mit 42 ist man nicht mehr so leistungsfähig wie mit 20. Wenn früher ein oder mehrere bis in den Morgen gehende Sanitätsdienste ohne Probleme möglich waren, braucht man jetzt länger, um wieder in die Spur zu kommen. Durch die Doppelbelastung braucht man mehr Zeit zur Erholung. Dazu kommt, dass die beruflichen Ansprüche so gestiegen sind, dass das Ehrenamt oft leider zu kurz kommt. Ich habe einfach nicht mehr so viel Freizeit zur Verfügung wie früher. Aber aufgeben möchte ich mein Engagement natürlich nicht. In BRK-Kreisen sagt man immer: Der Eintritt erfolgt freiwillig, der Austritt durch Ableben."

 

HSS: Als stellvertretender Bereitschaftsleiter managen Sie eine große Einsatzkräfte Gemeinschaft. Ist die Organisation mit WhatsApp, Facebook, E-Mail und Co. einfacher geworden?

 

"Die scheinbare Erleichterung durch die Digitalisierung zeigt sich mir weder im Beruf noch im Ehrenamt. In den Sommermonaten kann es schnell vorkommen, dass die Anfragen für Sanitätsabsicherungen so stark steigen, dass die freiwilligen Einsatzkräfte nicht mehr in ausreichender Anzahl zu Verfügung stehen. Dies führt zu Spannungen und Stresssituationen. Ich kann meine Leute nicht mehr so spontan einplanen. Die Anfragen zum Dienst kamen früher mündlich, der Vertrag zur Dienstübernahme ging quasi per Handschlag, heute geht dem Sanitätsdienst ein riesiger Verwaltungsakt voraus (und nach)."

 

HSS: Herr Osterburg, vielen Dank für Ihre Zeit und das tolle Gespräch!

 

Das Gespräch führte Lisa Eichler.