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Der Bologna-Prozess - eine Zwischenbilanz

15 Jahre nach Beginn des Bologna-Prozesses wurde bei einer Podiumsdiskussion am 30. November 2015 Bilanz gezogen. Aus der Sicht der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Studentenvertretung, der Hochschulen und der Politik erfolgte eine Bewertung der Ist-Situation.

Der Bayerische Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle

Der Bayerische Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle

Am 19. Juni 1999 unterzeichneten 29 Hochschulminister und –ministerinnen die sogenannte Bologna-Erklärung - einen zwischenstaatlichen Reformprozess zur Neugestaltung des europäischen Hochschulraums. Mittlerweile bekennen sich 48 europäische Länder als Mitglied zur Bologna-Reform. Mitglied kann jedes Land werden, das die europäische Kulturkonvention des Europarats unterzeichnet hat und sich im eigenen Hochschulwesen zu den Zielen des Bologna-Prozesses bekennt.

15 Jahre nach Beginn des Bologna-Prozesses wurde bei einer Veranstaltung der Hanns-Seidel-Stiftung nun Bilanz gezogen. Aus der Sicht der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Studentenvertretung, der Hochschulen und der Politik erfolgte eine Bewertung der Ist-Situation. In dieser Podiumsdiskussion am 30. November 2015 wurden sowohl positive als auch verbesserungswürdige Aspekte der Bologna-Reform thematisiert.
Zu den wesentlichen Kernelementen des Bologna-Prozesses zählen:

  • die Verbesserung der Mobilität von Studierenden und wissenschaftlichem Personal,
  • die Förderung von internationaler Wettbewerbsfähigkeit,
  • die Einführung eines zweistufigen Studiensystems mit Leistungspunkten und vergleichbaren Abschlüssen (Bachelor, Master),
  • die Beschäftigungsfähigkeit der Studierenden,Transparenz über Studieninhalte durch Kreditpunkte und Diploma Supplement,
  • Anerkennung von Abschlüssen und Studienabschnitten,
  • Sicherung von Qualitätsstandards auf nationaler und europäischer Ebene,
  • Umsetzung eines Qualifikationsrahmens für den Europäischen Hochschulraum,
  • Steigerung der Attraktivität des Europäischen Hochschulraums auch für Drittstaaten und
  • Förderung des lebenslangen Lernens.
Das Podium

Das Podium

An diesem Zielkatalog wird deutlich, dass der Bologna-Prozess ein überaus ambitioniertes und vielschichtiges Projekt ist. Die Einführung der Reform war daher sehr umstritten und die Aussagen zum Erfolg des Prozesses sind nach wie vor zum Teil widersprüchlich, wie die Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, Prof. Ursula Männle, in ihrer Begrüßung betonte. Mit dieser Veranstaltung, so Prof. Männle, solle eine „ehrliche“ Bilanz gezogen werden, die sowohl auf die bisherigen positiven Entwicklungen als auch auf die notwendigen Nachbesserungen, die es ohne Zweifel gebe, hinweist.

Warum der Veränderungsumfang im deutschsprachigen Raum wie in keinem anderen Wissenschaftsraum so massiv war, erklärte der Bayerische Wissenschaftsminister, Dr. Ludwig Spaenle in seinem Impulsvortrag mit der deutschen Wissenschaftstradition. Deutschland hatte keine gestuften Studienabschüsse, zumindest nicht in grundständigen Bereichen, wenn man von der Promotion und von weiteren Qualifikationen absieht. Insofern hatte die Einführung für Deutschland einen Komplettumbau des bundesdeutschen Wissenschaftssystems zur Folge, mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten. So sei der Bologna-Prozess zu Beginn der 90iger Jahre, der unter dem Druck einer zunehmenden Globalisierung und der Entwicklung der neuen Medien entstand, auch als ein Phänomen des Zeitgeistes zu sehen. Angesichts der bevorstehenden Osterweiterung der EU war der Drang nach Vernetzung auf europäischer Ebene spürbar. Unter dieser Dynamik wurde der Wissenschaftspolitik klar, dass sich Wissen immer komplexer über die Landesgrenzen hinweg formiert, dass, um zukunftsfähig zu bleiben, die Studierenden mobiler werden müssen und dass Bildung langfristig einen entscheidenden Wettbewerbsfaktor im internationalen Bereich darstellt. Auf all dies brauchte Europa eine gemeinsame Antwort.

Folgende Podiumsteilnehmer waren zugegen: 

  • Kolja Briedis, Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung GmbH,
  • Marcel Escher, Landesvorsitzender des RCDS Bayern,
  • Dr. Christof Prechtl, vbw - Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V.,
  • Dr. Ludwig Spaenle, Bayerischer Staatsminister für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und
  • Christian Tauch, Leiter des Arbeitsbereichs Bildung der Hochschulrektorenkonferenz.

Prof. Dr. Karl Wilbers, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, leitete die Moderation.

Wesentliche Thesen aus der Podiumsdiskussion:

  1. Die Tragweite der Reform war bei Einführung 1999 in Bologna in keiner Weise abschätzbar. Niemandem war klar, um welch historisches Ereignis es sich handeln würde.
  2. Der Zugang zu akademischer Bildung ist quantitativ betrachtet, so gut wie noch nie. Seit der schrittweisen Umsetzung der Bologna-Reform kann ein kontinuierlicher Anstieg der Studierenden-Anzahl verzeichnet werden. So waren im Wintersemester 2013/2014 rund 2,6 Millionen Studierende an deutschen Hochschulen eingeschrieben.
    Einen wesentlichen Anteil übernahmen dabei die Fachhochschulen, die 39 Prozent der Studienanfängerinnen und -anfänger aufnahmen. Der Hochschulpakt, der Qualitätspakt Lehre sowie die Exzellenzinitiative waren und sind bei der Bewältigung der steigenden Studentenzahlen wichtige Instrumente, um das Hochschulsystem qualitativ und quantitativ für die Zukunft zu rüsten.
  3. Des Weiteren konnte die beabsichtigte Steigerung der Auslandsmobilität der Studierenden durch die Bologna-Reform erreicht werden. Im Wintersemester 2013/2014 waren rund 135000 deutsche Studentinnen und Studenten an ausländischen Hochschulen eingeschrieben – das sind fast dreimal mehr als zu Beginn der Bologna-Reform 1999. Zudem haben auch Lehrende und das Personal des Hochschulmanagements die Möglichkeit, bei einem Auslandsaufenthalt durch Erasmus- und nationale Mobilitätsprogramme gefördert zu werden. Das Ziel einer stärkeren Internationalisierung der Hochschulen wird durch diese Ausweitung der Mobilität nachhaltig befördert. Auch bildet die Öffnung der Hochschulen einen wichtigen Baustein für eine stärkere Willkommenskultur gegenüber Zuwanderinnen und Zuwanderern und für Studierende mit Flüchtlingsstatus.
  4. Das ECTS Programm (Kreditpunktesystems) wurde im Rahmen des Erasmus Programms in den 90iger Jahren entwickelt, war aber zunächst ein freiwillig anwendbares System, um Arbeitsaufwände vergleichen zu können, über Grenzen hinweg und von Hochschule zu Hochschule. Auf Grund von Bologna wurde es dann in den nationalen Gesetzgebungen als verpflichtend eingeführt. ECTS ist vergleichbar dem Euro, es ist eine gemeinsame „Währung“, um eine Bezugsgröße zu schaffen, um Hochschulleistungen quantitativ vergleichen zu können. Empirische Untersuchungen haben ergeben, dass ein ECTS-Punkt 25 bis 30 Wochenstunden Arbeit entspricht. Bei ECTS soll die Arbeitsbelastung insgesamt mit einfließen, nicht nur die alleinige Anwesenheit. Dieses System hat sich grundsätzlich bewährt, wenn auch die angestrebte Transparenz aus studentischer Sicht noch nicht erreicht werden konnte.
  5. Wichtig für die Wirtschaft ist die internationale Mobilität; ein Mehrwert wird in einem Auslandssemester gesehen. Gleiches gilt, wenn ein Bewerber die Chance nach dem Bachelor für ein Auslandstudium nützt. Auslandserfahrung bringt im Bewerbungsverfahren eindeutige Vorteile.
    Es gibt heute relativ viele Studenten, die zwischen dem Bachelor und Master die Hochschule wechseln (ca. 40%). Des Weiteren wechseln zwischen Bachelor und Master nicht wenige Studierende von der Fachhochschule an die Universität (ca. 20 %). Diese Form der Mobilität gab es früher nicht.
  6. In Deutschland stehen den ca. 8500 Bachelor–Studiengängen 8200 Masterstudiengänge gegenüber und ungefähr 1300 Staatsexamina (Lehramt, Jura und Medizin). Studiengänge nach altem Muster gibt es so gut wie nicht mehr. Grundständige Studiengänge gab es zwar vor der Reform etwa nur 1000 weniger als es jetzt Bachelor Studiengänge gibt. Aber damals gab es auch fast eine Million weniger Studierende. Zusätzlich hinzugekommen sind allerdings die Masterprogramme. Deshalb besteht die riesige Anzahl von etwa 18000 Studiengängen insgesamt. Um den Studierenden Orientierung zu geben, muss daher das entsprechende Informationssystem noch weiter optimiert und ausgebaut werden. Von der Hochschulrektorenkonferenz wurde eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, um herauszufinden, wie man diese Vielzahl der Studiengänge durch Suchmasken derartig einengen kann, dass man Studierwilligen, die naturgemäß noch wenig Ahnung vom akademischen Betrieb haben, den Einstieg ermöglichen bzw. erleichtern kann.
  7. Die hohe Zahl der Studiengänge ist nicht negativ, allerdings herrscht eine große Unübersichtlichkeit wegen der Bezeichnungen. Das extreme Ausdifferenzieren der Studiengänge habe auch etwas mit den Interessen der Lehrenden zu tun, die ihre spezielle Sparte bedient sehen wollen. Grundlegend besteht eine positive Rückmeldung von Seiten der Wirtschaft, die Ausrichtung auf Beschäftigungsfelder und eine spätere Verwendung im Unternehmen betreffend.
  8. Bachelor und Masterstudiengänge werden in kürzerer Zeit absolviert als die früheren herkömmlichen Studiengänge. Die Zufriedenheit der Studierenden und auch die Studienqualität haben zugenommen. Des Weiteren nimmt die Akzeptanz des Bachelorabschlusses – abhängig von Fächergruppen und Hochschularten – auf dem Arbeitsmarkt zu. Zu nennen sind hier vor allem die Wirtschaftswissenschaften, die Ingenieurwissenschaften und die Informatik der Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Sehr gut bewertet die Wirtschaft die Einführung des Diploma Supplements, das eine genaue Qualifizierung wiedergibt.
  9. Bei der diesjährigen Konferenz der Wissenschaftsminister in Jerewan wurde das „student – centred learning enviroments“ in den Mittelpunkt gestellt. Dieses beinhaltet die neue bildungspolitische Zielsetzung, Studierende in das Zentrum des Lebens und Lernens zu setzen. Der Lehrende wird zum Begleiter des Studierenden in seinem Lernprozess. Nachweislich besteht ein großer Zusammenhang zwischen den studentenzentrierten Lernformen, den aktivierenden Lehr- und Lernformen und dem Kompetenzerwerb im Studium.  Allerdings bedeutet diese Art der Lehre einen höheren Arbeitsaufwand für die Lehrenden und kann auch nur schrittweise umgesetzt werden.

Insgesamt zeigte die Veranstaltung, dass der Bologna-Prozess von allen beteiligten Institutionen erfolgreich bewertet wird, dass aber laufende Anpassungen und weitere Reformschritte zur Optimierung erfolgen müssen.