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Koalitionsland Südafrika
Das Zentrum hält – vorerst

Autor: Hanns Bühler

Nur noch 40.3 Prozent hatten bei der historischen Wahl am 29. Mai in Südafrika für den African National Congress (ANC) gestimmt. Das bedeutet zum ersten Mal den Verlust der absoluten Mehrheit für die Partei von Cyril Ramaphosa. Nur wenige Wochen später einigten sich Vertreter der wichtigsten demokratischen Parteien auf eine Absichtserklärung zur Gründung einer Mehrparteienregierung. Ramaphosa wurde diese Woche als Präsident vereidigt.

Groß war und ist der Druck auf die politischen Entscheidungsträger. Nur zwei Wochen Zeit blieb den Volksvertretern, um zur konstituierenden Sitzung des Parlaments zusammenzukommen und einen neuen Präsidenten zu wählen. Ein enger Zeitrahmen, denn mit den unklaren Mehrheitsverhältnissen stand die ganz reale Gefahr im Raum, dass es in Südafrika zu einer demokratischen und wirtschaftlichen Rückabwicklung hätte kommen können. Würde eine pragmatische und entwicklungsorientierte Regierung zustande kommen? Möglicherweise der ANC und die größte Oppositionspartei, die marktorientierte Democratic Alliance (DA, 21,8 Prozent)? Oder würden antidemokratische und antimarktwirtschaftliche Patronage-Netzwerke rund um Jacob Zumas neue MK-Partei in Zukunft an den Schalthebeln der größten Volkswirtschaft in Afrika sitzen, zusammen mit den militant-linksradikalen Economic Freedom Fighters (EFF)?

Ein Pfeil weist nach rechts aus dem Bild. Er ist aus Sperrholz an einen dürren Baum in einer weiten Ebene genagelt und in den Südafrikanischen Nationalfarben bemalt.

Wird aus der Absichtserklärung eine stabile Regierungskoalition für Südafrika? Dazu müssen ANC, DA und IFP durchaus weltanschauliche Gräben überwinden.

gustavofrazao; ©HSS; AdobeStock

Eine Regierung der nationalen Einheit?

Noch während der konstituierenden Sitzung des Parlaments am 14. Juni und kurz vor der Wahl des Präsidenten hatten ANC- und DA-Vertreter verhandelt. Eine siebenseitige Absichtserklärung zwischen ANC und DA öffnete dann die Tür für eine historische Mehrparteienkoalition zwischen dem African National Congress, der Democratic Alliance und der Inkatha Freedom Party (IFP). Cyril Ramaphosa (ANC) wurde daraufhin mit Unterstützung der DA und IFP-Abgeordneten zum Präsidenten (wieder)gewählt, Thoko Didiza (ANC) zur Parlamentssprecherin und Dr. Annelie Lotriet (DA) zu ihrer Stellvertreterin. In den neun Provinzparlamenten des Landes wurde dieser Prozess wiederholt. In Gauteng und in KwaZulu-Natal, wo der ANC ebenfalls seine Mehrheit verloren hatte, wurden Koalitionsregierungen zischen ANC, DA, IFP und anderen Parteien gebildet, ohne Beteiligung der radikalen Kräfte.

Die Rede ist jetzt von einer Einheitsregierung. Gerade der ANC versucht mit dieser Semantik auf Vorbehalte in der eigenen Partei zu reagieren. Denn eine Zusammenarbeit mit der DA wird von vielen ANC-Anhängern aus ideologischen Gründen kritisch gesehen. Tatsächlich hinkt der Vergleich zu 1994, als Südafrika unter Nelson Mandela erfolgreich eine Einheitsregierung organisierte. Im jetzigen Parlament sind 18 Parteien vertreten. Viele dieser Parteien haben sich bereits gegen eine Einheitsregierung ausgesprochen. Dass die Absichtserklärung zur Koalitionsregierung zwischen ANC, DA und IFP fragil ist, zeigen bereits öffentlich ausgetragene Konflikte. So hatte der ANC weitere Parteien in die Koalitionsregierung aufgenommen, ohne Konsultation mit den Gründungsmitgliedern – eine Verletzung der Absichtserklärung.

Ein Erfolg für Südafrikas Demokratie

Auch wenn die bisher ausgearbeitete Absichtserklärung zur Gründung einer Regierung der Einheit nur als erster Schritt gesehen werden kann, ist sie doch historisch und ein Erfolg für Südafrikas Demokratie:   Die Einparteienherrschaft des ANC wurde gebrochen und der ANC hat sich in der Niederlage verfassungstreu verhalten. Gleichzeitig konnte eine Regierungsbildung unter Beteiligung der verfassungsfeindlichen und militanten Parteien durch ein Zusammenrücken des Zentrums verhindert werden. Die Verhandlungsführer der DA und des ANC haben Weitblick bewiesen und das Interesse des Landes über das Interesse ihrer Parteien gestellt.

Politische Umbruchzeiten - Chancen und Herausforderungen

Die nächsten Tage werden darüber entscheiden, ob aus der Absichtserklärung zusammenarbeiten zu wollen, eine tatsächliche Koalition geschmiedet werden kann. Cyril Ramaphosa wird ein Kabinett bestimmen und ein gemeinsames Regierungsprogramm wird ausgearbeitet werden müssen. Für die Koalitionsparteien bedeutet das einen umfassenden Kulturwandel. Alte Denkmuster und jahrzehntelange politische Feindschaften müssen über Bord geworfen und gleichzeitig die Identität der sehr unterschiedlichen Parteien am Leben erhalten werden. Der ANC wird schnell lernen müssen, Macht zu teilen, oder er riskiert das Scheitern der Koalition. Empathie und Sensibilität für Befindlichkeiten in verschiedenen Bevölkerungsgruppen und die richtige Tonlage im Umgang miteinander sind von allen Koalitionspartnern gefragt. All dies ist für Südafrikas junge Demokratie und die verantwortlichen Entscheidungsträger eine Herkulesaufgabe.

Die Absichtserklärung umfasst unter anderem ein Bekenntnis zu den Werten und Prinzipien der südafrikanischen Verfassung und Rechtsstaatlichkeit, die Förderung von Wachstum und Industrialisierung und eine professionelle, und leistungsorientierte öffentliche Verwaltung.

Gelingt es den Koalitionspartnern, daraus ein Regierungsprogramm zu schmieden, wäre dies eine große Chance für Südafrika. Denn die Lebensrealität der Bevölkerungsmehrheit ist geprägt von Energie- und Wasserknappheit, 41,2 Prozent Arbeitslosigkeit, dem Verfall der Infrastruktur und von Kriminalität. Die Koalitionspartner werden unter Zugzwang stehen, innerhalb ihrer Legislaturperiode Erfolge vorzuweisen und spürbar zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen beizutragen.

Wenn dies nicht gelingt, würden die militanten und antidemokratischen Parteien stark profitieren. Jacob Zumas MK-Partei und Julius Malemas EFF haben sich bereits im Parlament zu einer Fraktion zusammengeschlossen. Sie werden ohne Hemmungen die gesellschaftliche Spaltung des Landes für ihre populistischen und opportunistischen Ziele ausnützen, dem ANC-Verrat vorwerfen und die DA als ausbeuterische Bewegung darstellen, die gegen die Interessen der Mehrheitsbevölkerung handelt. Für den ANC und die DA geht es also auch um das politische Überleben.

Überzeugt davon, dass eine ANC-DA geführte Mehrparteienkoalition die beste unter den zur Verfügung stehenden Optionen wäre, waren die Märkte. Diese reagierten positiv. Zum ersten Mal seit Monaten stabilisierte sich die Landeswährung, der „Rand“. Es wird als ein gutes Zeichen gewertet, dass die Regierung der nationalen Einheit auch auf kommunaler Ebene mit neuen Bündnissen aktiv werden will. Gerade in den Großstädten tragen instabile Koalitionen - oft unter Beteiligung radikaler Parteien - seit Jahren zu Krisen bei. Besonders auf kommunaler Ebene würde der Bürger von einer Verbesserung der Serviceleistungen des Staates direkt profitieren, während Reformprozesse auf nationaler und Landesebene dauern werden.

Europa und Südafrika

Während es in den vielen afrikanischen Ländern in den letzten Jahren zu demokratischen Rückentwicklungen gekommen ist, haben Südafrikas demokratische Institutionen, trotz Angriffe und Desinformationskampagnen, nochmals standgehalten. Auch für Europas Partnerschaft mit Südafrika ergeben sich mit der neuen Regierung wichtige neue Erkenntnisse: Die Stärkung des Rechtsstaats, von Staatsanwaltschaft und Polizei, sowie einer freien und unabhängigen Presse und Zivilgesellschaft wird Voraussetzung dafür sein, dass Patronagen-Netzwerke die Verfassung nicht weiter unterminieren und die Regierung ihr Reformprogramm umsetzten kann. Projektpartnerschaften für mehr Wachstum und eine sichere Energieversorgung sollten weiter gestärkt werden, genauso wie das Service-Angebot auf kommunaler Ebene.

Ob Südafrikas Demokratie gestärkt oder geschwächt aus den politischen Umbrüchen hervorgeht, wird allein davon abhängen, ob die neue Regierung in der Lage sein wird, zu liefern. Europa hat daran ein Eigeninteresse.

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Projektleiter: Hanns Bühler
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