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Medienpolitischer Arbeitskreis
"Berichtet klug und differenziert ohne Tabus"

Wirkungen und Folgen der Medienberichterstattung über die Flüchtlingsströme seit Sommer 2015 war Thema des medienpolitischen Arbeitskreises. Die Diskussion war geprägt von großer Selbstreflexion aller beteiligten Journalisten.

Sigmund Gottlieb, Joachim Herrmann, Andreas Bönte, Ruham Hawash, Martin Balle, Peter Limbourg

Sigmund Gottlieb, Joachim Herrmann, Andreas Bönte, Ruham Hawash, Martin Balle, Peter Limbourg

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann bescheinigte insgesamt eine sachgerechte Berichterstattung über das Schleuserunwesen und die zahlreichen Schiffskatastrophen im Mittelmeer. Vor diesem Hintergrund waren die Berichte über eine deutsche Willkommenskultur für die über die Balkanroute ankommenden Flüchtlinge ein wunderbares humanitäres Zeichen. In Folge des zunehmenden Flüchtlingsstroms unterblieb aber die kritische Diskussion über die Beherrschbarkeit des Ausmaßes sowohl in der Politik, als auch in den Medien.

Die Dominanz der emotionalen Bilder verdrängte zuerst, nach Ansicht von Sigmund Gottlieb, Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens, eine tiefere journalistische Analyse der komplexen Situation. Fakten über Flüchtlinge (heute wissen wir, dass 80% der Flüchtlinge junge Männer sind), über ihre Herkunft, ihre Absichten, über Registrierungsquote, Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt, Sprachkenntnisse und Bildungsniveau wurden nicht recherchiert. Andreas Bönte, kommissarischer Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks, glaubt, dass die positive Berichterstattung über die anfängliche deutsche Willkommenskultur eine motivierende Rolle bei der nächsten Flüchtlingswelle gespielt habe., doch Peter Limbourg, Intendant der Deutschen Welle, ist überzeugt, dass Deutschland aufgrund seiner Beliebtheit im Ausland, seiner Leistungsfähigkeit, Arbeitswelt und Sozialstaatlichkeit als Zufluchtsland gewählt werde.

Sein Sender, der vorwiegend in verschiedenen Sprachen in der arabischen Welt zu hören ist, berichtet sachgerecht über die deutschen Sorgen im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik und versucht etwaige Mythen über das Wunderland Deutschland auszuräumen.

Das lange Schweigen zu den Vorkommnissen in der Silvesternacht habe, so Limbourg weiter, schwerwiegende Folgen für die deutschen Medien gehabt. Eine gewisse Skepsis gegenüber der Presse gäbe es in Deutschland schon immer, aber die Vorwürfe, einseitig zu berichten, Informationen absichtlich vorzuenthalten (Schweigekartell) oder die Bevölkerung zu belügen (Lügenpresse) - laut Umfragen glauben 39 % der Bevölkerung das - sind diffamierend. Journalisten sind angesichts der Komplexität und Dramatik der Situation verunsichert und versuchen möglichst keine Fehler zu machen, aber absichtliches Fehlverhalten möchte Sigmund Gottlieb keinem seienr Kollegen unterstellen. Mehr Differenzierung und Transparenz der Pressearbeit ist angesagt, so Martin Balle, Verleger des Straubinger Tagblatts. Es dürfe keine Tabuisierung mehr über bestimmte Themen, wie zum Beispiel Obergrenzen der Zuwanderung geben, aber gleichzeitig müsse ein Klima der Toleranz medial erhalten bleiben. Gottlieb spricht vom semantischen Betrug bei der Verwendung der Begriffe Obergrenze, Kontingent, Begrenzung und ähnlichem. Diese Unterscheidung versteht kein Bürger mehr. Auf der Strecke bleibt die politische und mediale Glaubwürdigkeit und dies nähre die Stereotypisierungs- und Vorurteilsbildungssstrategien von AfD, Pegida und Neonazis. Kein einziges Land der Welt könne beliebig viele Flüchtlinge aufnehmen und darüber müsse öffentlich und mit großer Sachlichkeit diskutiert werden. Joachim Herrmann möchte auch, dass in den Medien wieder zwischen Bürgerkriegsflüchtlingen und politischen Asylsuchenden unterschieden wird. Nach geltendem EU-Recht ist die Rückkehr von Kriegsflüchtlingen in ihre Heimat nach Beendigung des Krieges vorgesehen. Insofern muss auch das Integrationsthema differenzierter betrachtet werden.

Ruham Hawash, vor zweieinhalb Jahren aus Damaskus nach Deutschland geflohen und Mitbegründerin von Citizens for Syria e.V., kennt die Wirkung der Medien auf ihre Landsleute. Man orientiert sich mehr über Social Media, informiert sich gegenseitig, hat mehr Vertrauen in die Berichte und Tipps von Angehörigen und Freunden. Syrer suchen auch aktiv Kontakte zu deutschen Bürgern, zum Beispiel organisieren sie mit Hilfe von Facebook und Instagram unter anderem Kochaktionen für Obdachlose, verteilen nach den Vorkommnissen in Köln Blumen an deutsche Frauen, unterstützen sich über Smartphone im Erlernen der deutschen Sprache, produzieren YouTube-Clips über den deutschen Lebensstil. Hawash berichtet aber auch über Hetzinfos gegen Deutschland in den Social Media. Die offiziellen Medien (wie beispielsweise die BR-App) werden genutzt, wenn spezifische Alltagshilfestellungen benötigt werden, wie für einen Arzt- oder Behördenbesuch.

Der an die Medienvertreter gerichtete Schluss-Appell kam aus dem Zuhörerkreis: Berichtet klug und differenziert, ohne Tabus in großer Verantwortung für ein gesellschaftliches Klima der Toleranz. Berichtet vor allem über europäische Lösungen, über das Ringen in der EU um eine europäische Lösung, über Fluchtursachen, über Bleibeperspektiven, denn die Flucht aus den Kriegsgebieten wird sich nicht stoppen lassen.

Die Diskussion war von ARD-alpha aufgezeichnet und am 6. Februar 2016 um 22.30 Uhr im Rahmen der „Denkzeit“ ausgestrahlt worden.