Print logo

Wahlen in Argentinien
Anarcho-Kapitalist Javier Milei wird neuer Präsident

Autor: Prof. Dr. Klaus Georg Binder

Argentinien steht vor großen Veränderungen. Am Sonntag wählte das Land den selbsternannten „Anarcho-Kapitalist“ Javier Milei zum neuen Präsidenten. Dessen Reformprogramm soll das Land aus seiner langjährigen Krise ziehen. Warum es ihm gelang die Wähler zu begeistern und welche Herausforderungen nun vor ihm stehen, erklären wir in unserem Wahlbericht.

Argentinien wählte am Sonntag, den 19. November, einen neuen Staatspräsidenten. Zur Wahl standen der libertäre Populist Javier Milei von La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) und der Regierungskandidat Sergio Massa von der linken Unión por la Patria (Union für das Vaterland). Kurz vor Beendigung der Auszählung entfielen auf Milei 55,69 Prozent und auf Massa 44,30 Prozent der Stimmen.

Javier Milei, selbsternannter "Anarcho-Kapitalist", wurde mit 55,69 Prozent zum nächsten Präsidenten Argentiniens gewählt. Er steht vor großen politischen Herausforderungen.

Javier Milei, selbsternannter "Anarcho-Kapitalist", wurde mit 55,69 Prozent zum nächsten Präsidenten Argentiniens gewählt. Er steht vor großen politischen Herausforderungen.

Xinhua; IMAGO

Ein Land in der Krise

Der Wahlverlierer Massa gehört den regierenden Peronisten an, jener populistischen Bewegung, die sich auf Juan Domingo Perón und seine Frau Evita beruft und die argentinische Politik seit Jahrzehnten dominiert. Als amtierender Wirtschaftsminister ist Massa für die aktuelle Wirtschaftskrise Argentiniens mitverantwortlich. Trotz massiver Eingriffe des Staates in die Wirtschaft und umfangreicher Sozialprogramme leben momentan mehr als 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die Staatsschulden sind untilgbar, die Kassen leer. Die Inflationsrate liegt derzeit bei knapp über 140 Prozent. Argentinien leidet unter einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität seiner Industrie und einer großen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen vorenthält. Trotz der Krise griff Massa im Wahlkampf tief in die Staatskasse, gewährte Steuererleichterungen sowie zusätzliche Transferleistungen für Arme, Alte und Arbeitslose.

Milei verdankte seinen politischen Aufstieg in erster Linie von der Wut vieler Argentinier auf den wirtschaftlichen Niedergang, den sie den Peronisten zuschreiben.

Milei verdankte seinen politischen Aufstieg in erster Linie von der Wut vieler Argentinier auf den wirtschaftlichen Niedergang, den sie den Peronisten zuschreiben.

ZUMA Wire; IMAGO

Wut gegen das Establishment befeuerte Mileis Aufstieg

Der Wahlsieger Milei profitierte in erster Linie von der Wut vieler Argentinier auf die aktuelle Wirtschaftskrise und das politische Establishment. Lange wurde Milei, der sich selbst als Anarcho-Kapitalist bezeichnet, belächelt. Er verdankt seine Popularität hauptsächlich der Tatsache, dass er nicht um den heißen Brei herumredet. Es waren vor allem die jungen Wähler, die ihm zuerst zujubelten.

Kurz nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses sagte Milei zu seinen Anhängern Folgendes: „Heute geht eine Politik zu Ende und eine andere beginnt. In 35 Jahren werden wir wieder eine Weltmacht sein. Wir werden Hand in Hand mit allen Nationen der freien Welt zusammenarbeiten. Argentinien hat Zukunft und ist frei. Alle, die daran teilhaben wollen, sind willkommen."

Mileis Wahlsieg kündigt einen politischen Wandel an

Der Wahlsieg Mileis bedeutet eine echte Kehrtwende für Argentinien:

  • Milei ist ein Anhänger des österreichischen Ökonomen Friedrich August von Hayek. Deshalb wendet er sich gegen den in Argentinien omnipräsenten Staatsinterventionismus, der für die sich stets wiederholenden Wirtschaftskrisen verantwortlich ist.
  • Milei will die Hälfte aller Ministerien auflösen und Staatsbetriebe privatisieren.
  • Er beabsichtigt, die Zentralbank abzuschaffen und den US-Dollar als Zahlungsmittel einzuführen.
  • Milei verspricht Freihandel ohne Privilegien.
  • Er leugnet den Klimawandel, verteidigt den Organhandel und unterstellt dem argentinischen Papst Franziskus eine Nähe zu mörderischen Kommunisten.
  • Milei will zum einen keine neuen Steuern erheben und zum anderen die Staatsausgaben drastisch senken, da diese den Grund für die exorbitant hohe Inflation darstellen. Seit vielen Jahren finanziert die argentinische Regierung Staatsausgaben mit der Notenpresse.
  • Er beabsichtigt, den Waffenbesitz zu liberalisieren.
  • Milei plädiert für unbeschränkte Einwanderung, solange sie dem Staat keine Kosten verursacht.
  • Einerseits ist er gegen das Recht auf Abtreibung, andererseits unterstützt er die gleichgeschlechtliche Ehe.

Mileis zukünftige Vizepräsidentin Victoria Villarruel entstammt einer Familie, die mehrere hochrangige Militärs hervorgebrachte. Sie zieht die von Menschenrechtsorganisationen auf 30.000 geschätzte Zahl der Todesopfer bei Regierungsgegnern, linken Aktivisten, Gewerkschaftern und Studenten während der Militärdiktatur (1976 – 1983) in Zweifel und pocht ihrerseits auf mehr Anerkennung für die Opfer linker Guerillagruppen.

Die Wahl Mileis zum argentinischen Staatspräsidenten stellt ein großes Risiko dar, bietet aber zugleich die Chance, den jahrzehntelangen Niedergang des Landes endlich zu überwinden, das ist die Hoffnung seiner Anhänger.

Die Wahl Mileis zum argentinischen Staatspräsidenten stellt ein großes Risiko dar, bietet aber zugleich die Chance, den jahrzehntelangen Niedergang des Landes endlich zu überwinden, das ist die Hoffnung seiner Anhänger.

ZUMA Wire; IMAGO

Eine schwierige Regierungsbildung steht bevor

Im Parlament verfügt Milei über keine Mehrheit, zudem fehlt ihm professionelles Personal, um wichtige Schlüsselpositionen zu besetzen. Ex-Präsident Mauricio Macri, der Milei seit langem mehr oder weniger offen unterstützt, könnte Milei sowohl bei der Suche nach Mehrheiten im Parlament, als auch nach qualifiziertem Personal behilflich sein.

Nichtsdestoweniger stehen Argentinien turbulente Zeiten bevor. Es ist zu befürchten, dass die politische Polarisierung zunehmen wird. Sollte Milei seine angekündigte Politik tatsächlich in die Tat umsetzen, werden heftige soziale Auseinandersetzungen und Abwehrkämpfe der sich zukünftig in der Oppositionsrolle wiederfindenden Peronisten die Folge sein. Die Peronisten können Milei das Leben wirklich schwermachen, da sie bestens organisiert und jederzeit in der Lage sind, das öffentliche Leben lahmzulegen. Viel hängt dann auch davon ab, inwieweit es die argentinischen Sicherheitskräfte verstehen, mit derartigen Situationen rechtsstaatlich und verantwortungsvoll umzugehen.

Risiko und Chance für Argentinien

Auch in der Außenpolitik wird es Veränderungen geben. Milei kündigte an, fest an der Seite der USA und Israels zu stehen. Den Unternehmern sagte er, sie könnten weiter mit China und Brasilien Geschäfte machen, aber mit Kommunisten wie Xi Jinping oder Lula da Silva werde er sich nicht an einen Tisch setzen.

Die Wahl Mileis zum argentinischen Staatspräsidenten stellt ein großes Risiko dar, bietet aber zugleich die Chance, den jahrzehntelangen Niedergang des Landes endlich zu überwinden. Die von Milei angestrebte Politik ist bekannt. Sie einigermaßen sozialverträglich umzusetzen, ist die Kunst. Überspannt Milei den Bogen, wird er sich nicht lange im Amt halten können.

Kontakt

Projektleitung: Prof. Dr. Klaus Georg Binder
Argentinien
Projektleitung