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Gastbeitrag des Bayerischen Innenministers Joachim Herrmann
75 Jahre Grundgesetz: Ein Anlass zum Feiern, ein Auftrag und eine Verpflichtung

Als Deutschland in Trümmern lag wurde auf Herrenchiemsee unser Grundgesetz geschaffen, in wenigen Monaten. Das Dokument ist "die Grundlage unserer staatlichen Ordnung", nennt der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann, MdL, diesen Meilenstein der deutschen Rechtsgeschichte und historischen Glücksfall, nicht nur für Deutschland.

Die Entstehung des Grundgesetzes erscheint historisch betrachtet geradezu unvorstellbar: Deutschland war nach dem Zweiten Weltkrieg ein gebrochenes, zerstörtes und in Trümmern liegendes Land – auch und vor allem in menschlicher und moralischer Hinsicht. Die Aussichten waren düster: Hunger, Not, Unsicherheit, unsägliche Schuld. Was dann – ausgehend nicht zuletzt auch von Herrenchiemsee – in Monaten geschaffen wurde, ist „nichts weniger als ein Wunder“ (Frank-Walter Steinmeier anlässlich zum 70. Jahrestag des Grundgesetzes), ein Glücksfall nicht nur für Deutschland.

Joachim Herrmann ist seit 1994 Mitglied des Bayerischen Landtags und seit 2007 Bayerischer Innenminister. Heute ist Herrmann offiziell "Bayerischer Staatsminister des Innern, für Sport und Integration".

Joachim Herrmann ist seit 1994 Mitglied des Bayerischen Landtags und seit 2007 Bayerischer Innenminister. Heute ist Herrmann offiziell "Bayerischer Staatsminister des Innern, für Sport und Integration".

©HSS; stmi.bayern

Kern unseres Rechtsstaats

Beständig, kraftvoll, zeitlos und bisweilen sogar poetisch bildet das Grundgesetz – ursprünglich als Provisorium gedacht, nunmehr aber bereits seit 75 Jahren in Kraft – das feste Fundament für ein stabiles politisches System. Unter seiner Geltung hat sich Deutschland zu einer freiheitlichen Demokratie, zu einem vorbildlichen Rechts- und Sozialstaat und zu einem verlässlichen europäischen und internationalen Partner entwickelt. Und nicht zuletzt wurde die deutsche Verfassung daher auch beispielgebend für viele andere Länder in Europa und weit darüber hinaus.

Sucht man nach der Identität dieses Grundgesetzes, so fällt der Blick schnell auf die sogenannte Ewigkeitsgarantie in Art. 79 Abs. 3 GG. Sie gibt die zentralen Grundlagen unserer staatlichen Ordnung vor. Die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze sind so essentiell, dass sie nicht einmal durch eine verfassungsändernde Mehrheit geändert werden können.In Art. 1 GG steht ganz bewusst am Anfang unserer Verfassung, was unser Menschenbild und den Geist des Grundgesetzes prägt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Die Garantie der Menschenwürde ist das zentrale Konstitutionsprinzip des Grundgesetzes. Mit dem Bekenntnis zur Unantastbarkeit der Würde stellt das Grundgesetz klar, dass der Staat um des Menschen willen da ist und nicht der Mensch um des Staates willen. Genau dies hatte schon der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee an die Spitze seines Entwurfs gestellt.

Der Staat dient den Menschen, nicht umgekehrt

So verstanden ist die Staatsfundamentalnorm vor dem Eindruck des völligen Zusammenbruchs jeder Menschlichkeit vor allem eine entschiedene Absage an totalitäre, gottlose und menschenverachtende Willkür. Menschenwürde steht jedem Menschen ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften oder seinen sozialen Status zu. Sie bindet alle staatliche Gewalt. Mit ihr ist der soziale Wert und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, ihn zum bloßen Objekt des Staates zu degradieren. Die zentrale Garantie ist für das Verständnis sämtlicher Grundrechte des Einzelnen und unserer objektiven Wertordnung insgesamt von überragender Bedeutung und wurde zum obersten Wert des Grundgesetzes und zum Kerngehalt unserer gesellschaftlichen und kulturellen Identität.

Von entscheidender Bedeutung sind zudem die in Art. 79 Abs. 3 GG für unabänderbar erklärten fundamentalen Organisationsprinzipien des Art. 20 GG: Republik, Demokratie, Sozialstaat und Bundesstaat (Art. 20 Abs. 1 GG), die Grundsätze der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) sowie das Rechtsstaatprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG: Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung und an Gesetz und Recht). Diese grundlegenden Bestimmungen über die Staatsorganisation haben von Beginn an eine demokratische Kultur gewährleistet, in der die Vielfalt der Interessen und Meinungen in unserer pluralen Gesellschaft in Achtung vor dem politischen Mitbewerber zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden konnte.

Wehret den Anfängen

Dennoch steht unsere Demokratie heute aber auch vor zahlreichen Herausforderungen: Extremismus, Polarisierung und Radikalisierungen bedrohen den gesellschaftlichen Frieden. Politische Ränder erstarken, Populismus und Hetze gegen andere nehmen zu – in der analogen wie in der digitalen Welt. Der Antisemitismus  zeigt auf unseren Straßen wieder seine hässliche Fratze und autoritärer Neoimperialismus führt mitten in Europa wieder einen menschenverachtenden Krieg gegen Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung. Und auch im eigenen Land wird die politische Grundordnung, die unser Grundgesetz seit 75 Jahren definiert, zunehmend offen und unverhohlen in Frage gestellt.

Hier gilt als Lehre unserer deutschen Geschichte mehr denn je: Wehret den Anfängen! Wir müssen unsere Demokratie, die in leidvoller Erfahrung größter Verbrechen von den Verfassungsmüttern und -vätern errichtet wurde, wehrhaft verteidigen und Frieden und Freiheit bewahren. Das Grundgesetz bleibt deshalb auch nach 75 Jahren klarer Auftrag und Ansporn an jede Einzelne und jeden Einzelnen von uns, für unsere Werteordnung einzutreten und deutlich Position gegenüber all denjenigen zu beziehen, die sie ablehnen und mit Füßen treten. Ich appelliere darum an uns alle: Leben wir gemeinsam die Werte unseres Grundgesetzes, die unsere Heimat menschlich und erfolgreich machen. Zeigen wir als freiheitsliebende Bürgerinnen und Bürger:

Wir alle sind Hüter unserer Verfassung, Hüter der Würde jedes Menschen. Damit auch 2049 zum 100. Jubiläum unserer Verfassung und weit darüber hinaus noch unsere Kinder und Enkelkinder sagen können: Es ist ein Glück in Bayern und Deutschland zu leben – in Freiheit und Demokratie im Herzen Europas.

Joachim Herrmann
Bayerischer Staatsminister des Innern, für Sport und Integration
Mitglied des Bayerischen Landtags

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Redakteur: Maximilian Witte
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