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Archivgut mit Sprengkraft

Autor: Katharina Köhn, M.A.

Das Archive durchaus Materialien mit Sprengkraft besitzen, belegen gelegentlich Artikel und Berichte in der Presse über vermeintliche und tatsächliche „Sensationsfunde“ in Archivbeständen, nach denen, zumindest, wenn man der Auffassung einiger Autoren folgt, Geschichte neu geschrieben werden müsste. Das Archivbestände nicht nur wegen ihres Inhaltes, sondern schon allein durch ihre physische Beschaffenheit sogar für das Archiv selbst zur Gefahrenquelle werden können, musste das Archiv für Christlich-Soziale Politik (ACSP) in der Adventszeit 2022 erfahren.

Im Mai 2022 übernahm das ACSP den Nachlass der CSU-Politikerin und ehemaligen Münchner Bundestagsabgeordneten Edeltraud Kuchtner. Der mehr als 70 laufende Meter umfassende schriftliche Nachlass war völlig ungeordnet und bestand überwiegend aus losem Material. Aufgrund des Zustandes war eine aufwändige Sichtung und Sortierung mit umfangreicher Kassation erforderlich. Übrig blieben Unterlagen, deren Inhalt eine Art „Doppelnachlass“ darstellt, weil darin auch die schriftliche Überlieferung ihres Bruders Eberhard Kuchtner (1906-1983) enthalten ist. Er war von 1947 bis 1971 in leitender Funktion im bayerischen Wirtschaftsministerium tätig.

Nitrofilmrollen mit den typischen Verwerfungen des Materials und den gelblichen Ausblühungen.

Nitrofilmrollen mit den typischen Verwerfungen des Materials und den gelblichen Ausblühungen.

Thilo Osterburg; ACSP; ACSP

Bei der Übergabe der bereits verpackten Archivalien an das ACSP wurde auch auf vier Schachteln mit Filmrollen in einem der Archivkartons hingewiesen. Zur weiteren Bearbeitung wurde der Bestand in das Außenmagazin des ACSP nach Ebersberg gebracht. Das Filmmaterial wurde nach Abschluss der Sortierarbeiten zur weiteren Bearbeitung und eventuellen Digitalisierung in die Magazinräume nach München gebracht.

Die Archivmitarbeiter bemerkten bereits bei einem ersten Blick in die Filmschachteln den schlechten physischen Zustand der Rollen. Bei einer genaueren Begutachtung fielen dann neben deutlichen Zerfallserscheinungen und gelblichen Ausblühungen auch ein stechender Geruch im Magazin auf. Der Verdacht, es könnte sich um Nitro- bzw. Nitratfilm handeln, wurde durch die auf der Umverpackung vermerkte Datumsangabe mit 1949 erhärtet. Auch die hinzugezogenen Sicherheitsbeauftragten der HSS bestätigten die Vermutung, dass es sich um besagtes hitzeempfindliches und selbstentzündliches Filmmaterial handelt. Daher setzten sich diese umgehend mit der Feuerwehr in Verbindung, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Ein Betretungsverbot für den betroffenen Magazinraum wurde erteilt.

Aufgrund der chemischen Zusammensetzung von Nitratfilmen fallen diese unter das Sprengstoffgesetz und unterliegen strengen Vorschriften bezüglich Lagerung, Handhabung und Transport. Die zuständigen Fachentsorger in der näheren Umgebung waren wenige Tage vor Weihnachten bereits ausgelastet und konnten den Abtransport der Nitratfilme nicht sofort durchführen. Jedoch konnte eine Lösung für die Sicherung der Filmrollen bis zum Abtransport im Januar 2023 gefunden werden. In einer für diesen Zweck zur Verfügung gestellten Tonne wurde das Material unter Wasser gesetzt und an einem kühlen Ort zwischengelagert, für diesen Bereich galt ebenfalls bis zur Entsorgung ein Betretungsverbot. Nach dem Abtransport der Filmrollen durch eine Fachfirma wurde der Magazinraum gelüftet und gereinigt.

(Weiterführende Informationen zum Umgang mit Nitrofilm finden Sie hier.
https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Artikel/Ueber-uns/Aus-unserer-Arbeit/nitrozellulosefilm.html)