„Als ich das letzte Mal hier war, habe ich mich nur von Zuckerrohr und Rum ernähren können“, erzählt die Stiftungsvorsitzende, Prof. Ursula Männle, ihren neugierigen Gesprächspartnern in Havanna bei ihrem Besuch der HSS-Projekte auf der Karibikinsel im Oktober. Dieses „letzte Mal“ war im Jahr 1994, als die kubanische Wirtschaft nach dem Ende der Sowjetunion zusammenbrach und die sogenannte „Sonderperiode“ eingeleitet werden musste. Sie war mit massiven Entbehrungen für die Bevölkerung verbunden und prägt bis heute als traumatisches Erlebnis das Kollektivbewusstsein der Kubaner. Die Industrie und das Transportwesen kamen wegen Ölmangels zum Erliegen; drastische Nahrungsmittelrationierungen führten zu Unterernährung und Hunger. Damals war Männle als Abgeordnete des Deutschen Bundestages nach Kuba gereist, um deutsche Frauen, die mit Kubanern verheiratet waren, in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen. Von der Nahrungsmittelknappheit während der Sonderperiode war auch sie als Besucherin betroffen.
Wenngleich Kuba auch heute noch an regelmäßigen Versorgungskrisen leidet und Engpässe bei Lebensmitteln keine Seltenheit sind, hat sich seitdem vieles zum Besseren verändert: Die Öffnung für den internationalen Tourismus und die seit 2010 erfolgten, vorsichtigen Wirtschaftsreformen haben das Land ein Stück weit aus seiner prekären Lage befreit. Neben der Planwirtschaft konnte seitdem ein zweiter Bereich mit marktwirtschaftlichen Elementen entstehen (trabajo de cuenta propia – Arbeit auf eigene Rechnung). Die Schaffung neuer Freiräume für selbständige Erwerbstätige in derzeit 200 Berufsfeldern betrifft vor allem Kleingewerbe wie Friseure, Taxis, Privatrestaurants und Mietunterkünfte; etwa 10 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung sind inzwischen in diesem Bereich beschäftigt. Trotz solcher, aus der Not geborenen Entwicklungen steht Kuba jedoch nach wie vor höchst komplexen strukturellen Herausforderungen gegenüber, wie die Stiftungsvorsitzende in ihren zahlreichen Gesprächen vor Ort unschwer erkennen konnte.
Seit der historischen Annäherung Kubas und der USA, die mit dem Kubabesuch des US-Präsidenten Obama im Dezember 2015 ihren Höhepunkt erreichte, ist viel von einem „Wandel“ und „Öffnungsprozess“ des Landes die Rede gewesen. Verschiedene Faktoren hatten dieses Bild zusätzlich genährt, darunter auch der exponentielle Anstieg des Tourismus, der Kuba zusätzlich in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung rückte. Zahlreiche Politiker und Unternehmer aus aller Welt, auch aus Deutschland, hatten infolge dessen Havanna besucht, um Kooperations-und Investitionsmöglichkeiten zu eruieren. Diese anfängliche Euphorie ist inzwischen einer zunehmenden Resignation gewichen, da ersichtlich wurde, dass die kubanische Regierung keinerlei Anstalten macht, einen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Liberalisierungsprozess über das bisher erfolgte Maß hinaus zuzulassen. Hinzu kommt die neue Ausrichtung der US-amerikanischen Kuba-Politik unter Präsident Trump, der sich einer vergessen geglaubten Rhetorik wie aus Zeiten des Kalten Krieges bedient und die unter seinem Amtsvorgänger erzielten Fortschritte auf dem Weg zur Normalisierung der Beziehungen beider Länder teilweise wieder rückgängig gemacht hat. Ihren Aufenthalt in Havanna nutzte die Stiftungsvorsitzende daher auch dazu, sich durch den Austausch mit verschiedensten Akteuren ein möglichst umfassendes Bild der komplexen Situation Kubas anzueignen – darunter staatliche Funktionäre, Wissenschaftler, Künstler sowie Vertreter der internationalen Gemeinschaft. Dabei konnte Männle von dem breitgefächerten Projektportfolio des für Kuba zuständigen HSS-Büros „Zentralamerika und Karibik“ profitieren. Freilich gelingt es der Stiftung im Einparteienstaat Kuba nur indirekt, klassische Aufgabenfelder ihrer internationalen Arbeit – wie etwa die Stärkung demokratischer Strukturen und eines parlamentarischen Pluralismus – zu adressieren. Gleichwohl tragen ihre Projektmaßnahmen in den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Tourismus zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung des Landes bei, fördern dessen internationale Öffnung und schaffen relevante Multiplikatoren für notwendige Reformen und Modernisierungsprozesse.
Eines der ältesten Kooperationsfelder ist dabei die Professionalisierung des kubanischen Tourismussektors, der aktuell wohl zukunftsträchtigsten Industrie des Landes. Bereits seit 1999 ermöglicht die HSS in Zusammenarbeit mit der Führungskräfteakademie des kubanischen Tourismusministeriums FORMATUR die Fortbildung von Fach- und Führungskräften und trägt durch Beratungsleistungen zur Erschließung neuer Tourismuszweige bei. Begleitend dazu festigt die Stiftung das akademische Fundament für eine nachhaltige Entwicklung der Industrie, indem sie sich für eine Verbesserung von Lehre und Forschung an Tourismusfakultäten kubanischer Universitäten einsetzt.
Für das Jahr 2017 erwartet die kubanische Regierung mit insgesamt 4,7 Millionen Besuchern aus dem Ausland Rekordeinnahmen von 2,7 Milliarden Dollar, wie Männle im Austausch mit Vize-Tourismusminister Luis Miguel Díaz Sánchez erfuhr. Obwohl die Besucherzahlen in den vergangenen Jahren bereits exponentiell angestiegen waren, bedeutet dies erneut ein Wachstum von 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Gleichwohl bleibt die Qualität der touristischen Infrastruktur und touristischer Dienstleistungen nach wie vor weit hinter internationalen Standards zurück und vermag den wachsenden Anforderungen nicht gerecht zu werden. „Der HSS liegt besonders am Herzen, dass Kuba bei der Entwicklung seiner Tourismusindustrie die Fehler anderer Länder nicht wiederholt“, betonte Männle während ihres Gesprächs im Ministerium. „Deshalb müssen die Prinzipien der Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz im Vordergrund stehen. Konzepte wie Natur- und Kulturtourismus ermöglichen eine Entwicklung auch abseits der Strände und verbessern die Einkommensmöglichkeiten der ländlichen Bevölkerung.“ Die Bestrebungen der Stiftung, insbesondere den Kulturtourismus zu stärken und das einzigartige kulturelle Erbe der Insel zu bewahren, äußern sich auch in ihrer Zusammenarbeit mit dem Büro des Stadthistorikers von Havanna – einer der wichtigsten Institutionen der kubanischen Hauptstadt, die neben den fortschreitenden Restaurationsarbeiten in der Altstadt auch ein umfassendes Kulturprogramm koordiniert. Mit Projekten in den Bereichen Theater, Tanz und Musik stärkt die HSS die Kapazitäten künstlerischen Personals und fördert den Austausch kubanischer Künstler mit Kulturschaffenden bzw. Kulturtouristen aus aller Welt. Während ihres Kubaaufenthaltes erhielt Männle Gelegenheit, sich von den Früchten dieser Arbeit selbst zu überzeugen: durch den Besuch eines Konzerts im Rahmen des renommierten Mozart-Festivals, dessen Programm mithilfe bayerischer Musiker entwickelt worden war.
Bei ihrem Besuch im Tourismusministerium erkundigte sich die Stiftungsvorsitzende auch nach der Bedeutung der privaten Familien- und Einpersonenbetriebe für den Tourismussektor, deren Zahl im Zuge der Wirtschaftsreformen zuletzt stark angestiegen war. Kuba ist aktuell der am schnellsten wachsende Airbnb-Markt weltweit und verfügt bereits über mehr als 22.000 Unterkünfte in 70 Städten und Gemeinden. Die Vermietung privater Wohnungen und Häuser ist damit der bedeutendste Zweig innerhalb des streng reglementieren Privatsektors; ebenso hat sich die Zahl privat geführter Gaststätten inzwischen auf über 17.000 erhöht. Vor Kurzem allerdings ordnete die kubanische Regierung einen Vergabestopp für Lizenzen dieser Berufe an und verkündete eine zeitlich nicht näher definierte Neuordnung des Wirtschaftsbereichs. Zuvor waren bereits das staatliche Monopol über die Lebensmitteldistribution und Restriktionen für den privaten Transportsektor wiedereingeführt worden. Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass mittelfristig eher mit einer erhöhten staatlichen Kontrolle über die Wirtschaft als einer weiteren Liberalisierung in Kuba zu rechnen sein wird.
In dieser Einschätzung wurde die Stiftungsvorsitzende auch bei einem Termin im Zentralkomitee der Kommunisten Partei (CCPCC) bestätigt. „Eine Transformation wird es nicht geben – sondern Kontinuität.“ betont Juan Carlos Marsán, Vizedirektor der Abteilung für Internationale Beziehungen der Partei. Zwar wurden im Rahmen des 2016 abgehaltenen VII. Parteitags die Grundlagen für weitere wirtschaftspolitische Anpassungen gelegt; ein Reformprozess auf politischer Ebene lässt sich daraus jedoch mitnichten ableiten. So werden auch die aktuell stattfindenden Kommunalwahlen zweifelsohne wieder die Kommunistische Partei als alleinigen Sieger hervorbringen.
Nach der anschließenden Wahl der Provinzversammlung, des Vertretungsorgans kubanischer Regionen, wird in der letzten Etappe des Wahlprozesses sodann über die Zusammensetzung der Nationalversammlung abzustimmen sein, des höchsten Legislativorgans des Landes. Bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren waren mehr als 8,6 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, das 611-köpfige Parlament sowie die 1.269 Kandidaten für die Provinzversammlungen zu wählen. Auch diesmal stehen wieder mehr als 600 Kandidaten in über 12.500 Wahlkreisen auf den Listen, wie Männle bei einem Besuch in der „Asamblea Nacional del Poder Popular“, dem kubanischen Parlament, erfuhr. Sie werden zum einen von den Kommunalparlamenten, zum anderen von den sogenannten Massenorganisationen (Komitees zur Verteidigung der Revolution, Frauenverband, Zentralgewerkschaft, Studentenorganisation etc.) nominiert. Fast alle sind Mitglieder der Kommunistischen Partei.
Dabei stellen die Kandidaten der verschiedenen parlamentarischen Ebenen keine eigenen politischen Programme vor und betreiben keinen Wahlkampf. Sie werden ihrer Wählerschaft lediglich durch ausgehängte, von den Wahlkommissionen verfasste Kurzbiografien präsentiert. Zwar verfügt auch die Opposition über die Möglichkeit, ihre Kandidaten auf Gemeindeebene ins Rennen zu schicken. Bislang verloren oppositionelle Herausforderer die Wahlen jedoch stets; oftmals ein Resultat der von staatlichen Autoritäten induzierten öffentlichen Diffamierung und gesellschaftlichen Ächtung.
Am 24. Februar 2018 werden die neuen Abgeordneten sodann auf der konstituierenden Sitzung der Nationalversammlung den neuen Staatsrat und dessen Vorsitzenden wählen: den Staats- und Regierungschef. Es wird erwartet, dass Präsident Raúl Castro, wie angekündigt, sein Präsidentenamt niederlegt. Damit nähert sich eine symbolträchtige Ära Kubas ihrem Ende – die der Castro-Brüder. Zwar wird der 86-jährige seinen Posten als Erster Sekretär der Kommunistischen Partei zunächst behalten (und damit auch die faktische Macht im Lande); ein historischer Generationenwechsel steht Kuba jedoch unvermeidlich bevor.
Fundamentale politische Veränderungen lässt dieser gleichwohl nicht erwarten. Als wahrscheinlicher Nachfolger des Präsidenten gilt sein derzeitiger Stellvertreter Miguel Díaz-Canel. Internationale Bekanntheit erlangte der Politiker zuletzt durch einen im Internet veröffentlichten, parteiinternen Redeauftritt, in dem er Maßnahmen zur Zerschlagung von Opposition und unabhängiger Presse erläutert. Nicht wenige Kubaner gehen davon aus, dass die Parteispitze selbst dafür sorgte, dass dieses Video an die Öffentlichkeit gelangen konnte – als deutliches Signal an all jene, die mit dem Ende des Castro-Ära die Hoffnung auf einen Systemwechsel verbinden. „Die moralische Autorität der Revolutionsgeneration wird eine nachfolgende kubanische Führung niemals ersetzen können“ erklärt Juan Carlos Marsán vom CCPCC im Gespräch mit der Stiftungsvorsitzenden. „Ein Trauma wird das bei uns jedoch nicht auslösen – wir sind seit langem vorbereitet.“
Auf ihrer Reise traf Männle auch Vertreter kubanischer Forschungsinstitute und Hochschulen, mit denen die HSS gemeinsame Projekte zur Förderung des wissenschaftlichen Gedankenaustausches durchführt. Vor Studenten der prestigeträchtigen Universität Havanna beschrieb sie die Ziele, die ihre Stiftung im Rahmen von Projektmaßnahmen wie etwa Forschungsreisen kubanischer Wissenschaftler nach Bayern, internationalen Konferenzen und Workshops verfolgt: „Durch unsere Projektarbeit tragen wir Debatten von der internationalen Forschungsfront nach Kuba und ermöglichen es den Beteiligten, ihren intellektuellen Horizont zu erweitern und dadurch einen Perspektivwechsel zu erfahren.“ Auch Kooperationsabkommen zwischen bayerischen Hochschulen, wie etwa der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, und der Universität Havanna sind Früchte dieser Tätigkeit. Von den rund 40.000 Studenten, die an den insgesamt achtzehn Fakultäten in Havanna immatrikuliert sind, stammen inzwischen 8.000 aus dem Ausland.
Im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit der Führungskräfteakademie des kubanischen Außenministeriums und des Forschungszentrums für internationale Politik fördert die Stiftung in verschiedensten Veranstaltungsformaten u.a. Debatten zu aktuellen Entwicklungen in Europa und Deutschland. Dabei erhalten nicht nur Studenten und Dozenten, sondern auch Funktionäre und politische Entscheidungsträger die Möglichkeit, sich mit internationalen Experten auszutauschen. Im Gespräch mit Männle galt das Interesse der Forscher dann vor allem der politischen Situation in Deutschland nach den Bundestagswahlen. Männle erklärte die Hintergründe der neuen Machtverhältnisse im Parlament und betonte: „Sechzig Prozent aller AfD-Wähler sind Protestwähler. Diese gilt es zurückzugewinnen. Aufgabe der Hanns-Seidel-Stiftung in Deutschland muss es sein, Fakten und Rationalität in die politische Debatte zu bringen, aufzuklären. Und im Ausland: weiterhin Fluchtursachen zu bekämpfen, so wie wir es in unserer internationalen Zusammenarbeit seit bereits vierzig Jahren tun.“
Wiederholt äußersten Männles kubanische Gesprächspartner ihre Sorge wegen der erneuten Spannungen in den Beziehungen ihres Landes zu den USA. Während die unter Obama erfolgte Annährung erstaunliche Fortschritte in Bezug auf Handel, wissenschaftliche Kooperation und Reisefreiheit erzielt hatte, droht die Trump-Administration nun all dies wieder zunichte zu machen. Mit der im Juni verkündeten Abkehr von der Kuba-Politik seines Vorgängers beschränkte Trump bereits den Handel US-amerikanischer Firmen mit Kuba und führte strengere Regeln für Individualreisen US-amerikanischer Staatsbürger ein.
Den aktuellen diplomatischen Eklat um angebliche „akustische Angriffe“ auf insgesamt 21 Mitarbeiter der US-Botschaft in Havanna wiesen die Kubaner unisono als absurd und konstruiert zurück. Derartige Angriffe seien in der vermeintlich vorgefallenen Weise technisch de facto gar nicht möglich. Washington hatte infolge des Auftretens unerklärlicher Gesundheitsstörungen große Teile des eigenen Botschaftspersonals aus Havanna abgezogen. Als Folge dessen ist die US-Botschaft derzeit quasi inaktiv. Darüber hinaus wurden kubanische Diplomaten aus Washington ausgewiesen. Von kubanischer Seite jedoch wurde im Gespräch mit der Stiftungsvorsitzenden wiederholt der Verdacht geäußert, „konterrevolutionäre Kräfte“ bzw. die US-Regierung selbst hätten diese Situation herbeigeführt, um weitere Rückschritte in den bilateralen Beziehungen beider Staaten rechtfertigen zu können.
Im Lichte dieser Entwicklungen betonten Männles Gesprächspartner die hohe Relevanz der Europäischen Union für die künftige Entwicklung ihres Landes. Die Ende 2016 erfolgte Unterzeichnung eines Abkommens über politischen Dialog und Zusammenarbeit stellt einen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der EU und dem Inselstaat dar. Es löst den seit dem Jahr 1996 gültigen, umstrittenen „Gemeinsamen Standpunkt“ der Europäischen Union zu Kuba ab, der die Bereitschaft zur Kooperation ausdrücklich mit dem Ziel eines Systemwechsels verknüpft hatte. „Nach 20 Jahren schwierigen Verhältnisses zur EU sind nun endlich Beziehungen auf Augenhöhe möglich“, freute sich Gerardo Peñalver, Generaldirektor für bilaterale Angelegenheiten des kubanischen Außenministeriums, im Gespräch mit Männle. Er erwähnt, dass er als ehemaliger Botschafter Kubas in Berlin besonders von der politischen und wirtschaftlichen Zugkraft Bayerns beeindruckt war. Vor dem Hintergrund der aktuellen Neuausrichtung der US-Außenpolitik empfiehlt er der EU nun, mehr Verantwortung auf der globalen Bühne zu übernehmen und sich endlich von den USA zu emanzipieren. „Solch ein Prozess muss aber von Deutschland angeführt werden“, betont der Diplomat.
Bei den kubanischen Handelspartnern nimmt die EU inzwischen den dritten Platz sein; innerhalb der EU wiederum steht Deutschland an dritter Stelle. Von verbesserten Beziehungen beider Länder erhofft sich Kuba vor allem deutsche Direktinvestitionen, so etwa im Bereich der erneuerbaren Energien. „Kuba plant seine Energiematrix fundamental zu verändern“, berichtete Inalvis Bonachea, Direktorin der Europaabteilung des Ministeriums für Außenhandel und Ausländische Direktinvestitionen der Stiftungsvorsitzenden. „Bis zum Jahr 2013 wollen wir den Anteil erneuerbarer Energien von derzeit 4 auf 24 Prozent erhöhen. Dabei könnten wir von Deutschlands Erfahrungen bei der Umsetzung der Energiewende profitieren.“
Die Erschließung neuer Energiequellen ist für Kuba eine Notwendigkeit. Der niedrige Ölpreis und die aktuelle Krise in Venezuela bedeuten auch für den Inselstaat schwerwiegende wirtschaftliche Einschnitte. Seit 2016 kürzt Venezuela seine Öllieferungen an Kuba drastisch; Kuba, das Teile des günstigen Öls auf dem Weltmarkt weiterverkauft, nimmt dadurch weniger Devisen ein und hat mit Energieengpässen zu kämpfen. Durch Rationierungsmaßnahmen für Elektrizität und Treibstoff versucht die Regierung, die Situation zu überbrücken, während sie gleichzeitig eine Diversifizierung ihrer Handelsbeziehungen anstrebt.
Hohe bürokratische Hürden und infrastrukturelle Schwierigkeiten jedoch wirken auf viele internationale Investoren abschreckend. Hinzu kommen die schmerzhaften Restriktionen des US-Wirtschafts-, Handels- und Finanzembargos gegen Kuba, dessen mögliche Aufhebung unter der Präsidentschaft Trumps nun wieder in weite Ferne gerückt ist. Nach wie vor fehlen dem Land eigene Industrien und Produktionsmöglichkeiten. Trotz des Vorhandenseins fruchtbaren Ackerbodens müssen 80 Prozent der Nahrungsmittel importiert werden. Permanente Versorgungskrisen befeuern Korruption und Vetternwirtschaft; der Schwarzmarkt blüht.
Gleichzeitig droht mit steigender sozialer Disparität aktuell eine der fundamentalen „Errungenschaften der Revolution“ an Gültigkeit zu verlieren – die soziale Gleichheit. Verantwortlich dafür sind nicht nur Korruption und die von Haushalt zu Haushalt variierenden Transferleistungen kubanischer Verwandter aus dem Ausland. Vor allem der wachsende Privatsektor sorgt zunehmend für Einkommensdisparitäten und beeinträchtigt den sozialen Frieden. Während ein Staatsbediensteter monatlich im Durchschnitt circa 20 Euro verdient, verfügen einige Privatunternehmer bereits über mehrere Gaststätten, können sich Reisen ins Ausland leisten und frequentieren die neu entstandenen, teuren Bars in Havannas Stadtteil Miramar. Dabei sehen Kubas Richtlinien für den wirtschaftlichen „Aktualisierungsprozess“ strikt vor, die Akkumulation von Vermögen zu verhindern und am sozialistischen Gesellschaftmodell festzuhalten. „Wir sind daher gezwungen, unser Steuersystem weiter zu reformieren und künftig Menschen zu subventionieren anstatt Leistungen“, kommentierten kubanische Wirtschaftsforscher im Gespräch mit der Stiftungsvorsitzenden. Sie bezogen sich dabei vor allem auf die für die gesamte Bevölkerung kostenfreien Leistungen des Bildungs- und Gesundheitssystems sowie die noch unterentwickelte Besteuerung des Privatsektors. Auf die Frage, ob dies dann nicht der logische Weg hin zu einer sozialen Marktwirtschaft sei, bleiben sie Männle eine Antwort jedoch schuldig.
„Quo vadis, Kuba?“ – auch diese Frage muss während des Projektbesuchs der Vorsitzenden unbeantwortet bleiben. Ein Mitarbeiter der Parteizentrale unternahm im Gespräch mit Männle zumindest einen Interpretationsversuch: „Sehen Sie, Deutschland würde zuerst einen Plan erstellen und diesen dann in die Praxis umsetzen. Hier in der Karibik ist es genau umgekehrt: Wir beginnen mit der Umsetzung, bevor ein Plan überhaupt steht. Wir schreiten einfach schon einmal voran; die dazugehörige Strategie verfassen wir dann während der Reise…“
Es bleibt zu hoffen, dass es Kuba gelingt, auf dieser Reise möglichst viele Kubaner mitzunehmen. Derzeit treffen etwa 60.000 Insulaner jährlich die Entscheidung, ihre schöne Heimat auf teilweise abenteuerlichen Wegen zu verlassen – sei es aus wirtschaftlichen Gründen oder als Resultat der nach wie vor durch den Staat ausgeübten politischen Verfolgung. Gleichwohl haben die vergangenen Jahrzehnte gezeigt, dass nicht Aggression und Isolation, sondern vielmehr internationaler Austausch, Horizonterweiterung und Annäherung die probatesten Mittel externer Akteure sind, um zu einer Befreiung des Karibikstaats aus der Perspektivlosigkeit seines Satus Quo beizutragen. In dieser Überzeugung wurde Männle auch im Gespräch mit dem Dompfarrer Pater Yosvani bestärkt, der als Vertrauter des kubanischen Kardinals Ortega y Alamino maßgeblich an den geheimen Verhandlungen zur Vorbereitung der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Kuba und den USA beteiligt gewesen war. Die katholische Kirche hat es im postrevolutionären Kuba wahrlich nicht einfach gehabt; trotzdem hat sie stets auf Dialog gesetzt.
Die HSS-Projektarbeit beherzigt diese Lektionen und legt Wert darauf, bei allen Differenzen auch immer Gemeinsamkeiten zu betonen – wie die Stiftungsvorsitzende abschließend vor kubanischen Studenten erläuterte: „Sowohl Kuba als auch Bayern bestechen durch ihre landschaftliche Schönheit, ihre reiche Kultur und Geschichte, ihre vielfältigen Traditionen – und nicht zuletzt ihre liebenswerten, immer nach Eigenständigkeit strebenden Menschen. Auf Grundlage dieser Gemeinsamkeiten Austausch und Kooperation zwischen unseren Völkern zu fördern: diesem Anliegen unserer Stiftung möchten wir gern auch in Zukunft durch unsere Projektarbeit Ausdruck verleihen.“