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Vor und während der Ukraine-Invasion
Russlands Einsatz von Desinformation

Autor: Eleonora Heinze
, Manuel Steudle

Wie funktioniert Desinformation? Welche Mechanismen werden aktiviert, um das Vertrauen der Öffentlichkeit vor allem in Medien und Politik zu untergraben und die Menschen mit gelenkten Meinungen zu verunsichern? Am Beispiel des aktuellen Krieges in der Ukraine wird aufgezeigt, wie Desinformation eingesetzt wird und wirken kann.

Der Einsatz von Desinformation stellt keine genuine moderne Erscheinung dar, doch gerade der Kreml hat seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 die Intensität und Reichweite in diesem Bereich deutlich erhöht. So wird die Informationskriegsführung auch als ein explizit anerkannter Bereich der russischen Militärdoktrin definiert und ist daher systematisch und finanziell gut ausgestattet. Für die Verbreitung von Inhalten werden neben herkömmlichen Kommunikationsmitteln wie staatsnahe oder -eigene Fernsehersender oder Tageszeitungen, Instant Messaging-Dienste wie Telegram, Twitter oder Facebook genutzt.

Desinformation nach innen und außen

Eine Abgrenzung muss an dieser Stelle zwischen einer „nach innen“ und einer „nach außen“ gerichteten Desinformation vorgenommen werden. Verfolgt diese im Inland vor allem den Zweck der Stabilisierung des eigenen politischen Systems, war es nach außen – vor allem während der Annexion der Krim – ein Kampf um die Deutungshoheit und eine Legitimierung des russischen Vorgehens bei dem anvisierten Zielpublikum. Seit der Invasion kommt es nun vermehrt zu einer Strategie der Verwirrung, die bei dem Zielpublikum das Vertrauen der Öffentlichkeit in die etablierten Medien, Politik und Wissenschaft unterminieren soll und ein allgemeines Gefühl der Verunsicherung erreichen will. 

Taktische und strategische Desinformation

Unterschieden werden muss, insbesondere seit der Invasion in die Ukraine, auch zwischen taktischer und strategischer Desinformation. Bei Ersterer geht es vor allem um eine direkte Beeinflussung des Kriegsgeschehens, durch Proklamierung eines militärischen Erfolges oder Beschönigung von eigenen Verlusten, während bei Letzterer vor allem breit angelegte Narrative eingesetzt werden, die auf Dauer die Situation bei dem Zielpublikum verändern sollen. Präferiert werden solche Narrative wie die angeblich stark ausgeprägte Russophobie im Westen und die damit verbundene Gefahr für die russischsprachige Bevölkerung im jeweiligen Land, der historische Glanz Russlands, die Opferrolle Russlands sowie dessen kulturelle Überlegenheit. Laut einem weiteren russischen Narrativ spielt speziell die Ukraine, aber auch andere westliche NATO-Partner, eine Marionettenrolle der USA. 

Desinformation verbreitet gezielt falsche Inhalte, um Menschen zu verunsichern und zu manipulieren.

Desinformation verbreitet gezielt falsche Inhalte, um Menschen zu verunsichern und zu manipulieren.

Arkadiusz Warguła; HSS; istock

Zur aktuellen Situation

Vor dem Hintergrund des Angriffskrieges der Russischen Föderation gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die Europäische Union die Urheber von Falschinformationen – russische Akteure und Staatsmedien wie Russia Today (RT) und die Nachrichtenagentur Sputnik – verboten. Interessant in diesem Kontext ist die Verschiebung im Bereich russischer Kommunikation nach außen. So ist seit einigen Wochen zu sehen, dass vor allem hochrangige Politiker die Aufgabe von Sputnik und RT übernehmen. Dies ist unter anderem an Außenminister Sergej Lawrow zu sehen, der diverse – sowohl strategische als auch taktische – Desinformationen zur Rechtfertigung der Invasion an sich oder des Beschusses von Krankenhäusern mit Hilfe von Pressekonferenzen an eine globale Zuhörerschaft übermittelt.

Im Inland versucht Russland wiederum freie Meinungsäußerungen massiv einzuhegen und schottet seine Bevölkerung immer weiter von westlichen Informationen ab. So sind laut Ortskundigen nur noch knapp 10 Prozent in der Lage, unabhängige Informationen über VPN-Technologie (virtuelles privates Network, sogenannte „Tunnels“) zu erhalten. Ein Verbot der VPN-Programme wie in China dürfte nach Expertenmeinung nur noch eine Frage der Zeit sein. Trotz dem geringen Teil der Gesellschaft, die VPN-Technologie nutzt, gehen Schätzungen dennoch von einer 30-40-prozentigen  Ablehnung des Krieges in der russischen Gesellschaft aus. Interviews mit aus Russland geflohenen Journalistinnen und Journalisten zeigen darüber hinaus den schieren Druck, dem Medien in Russland auch schon vor der Invasion ausgesetzt waren und der sich nun noch mal deutlich verstärkte.

Betrachtet man die gut vorbereite und medial orchestrierte Annexion der Halbinsel Krim und die Geschehnisse in Donezk und Luhansk, erscheint die Informationskriegsführung Russlands auf strategischem Level in den ersten Wochen der Invasion sehr schleppend verlaufen zu sein. Ein offenkundiger Grund dafür ist, dass die Invasion nicht wie geplant verlief. Aus Expertenkreisen ist darüber hinaus zu vernehmen, dass die auf Transparenz ausgelegte Kommunikationspolitik der USA im Vorfeld der Invasion den Beginn der Invasion verzögert hat und somit auch die ein oder andere geplante Desinformationskampagne erschwerte.

Desinformation und die Folgen in Deutschland

Die derzeitige russische Desinformationskampagne in Deutschland ist hier im Bereich der strategischen Desinformation anzusiedeln und soll mit ihren inkohärenten Narrativen weiter das Misstrauen in etablierte Medien und Politik schüren. So soll der Rückhalt der deutschen Russlandpolitik in der Bevölkerung minimiert werden. Vor allem die russischsprachige Bevölkerung in der Bundesrepublik nimmt der russische Staatsapparat als Zielgruppe in Visier. Hier werden neben Telegram, Facebook und Twitter gerade bei älteren Rezipienten E-Mail-Verteiler verwendet, die extrem schwer bis gar nicht einsehbar sind. Eine weitere Zielgruppe stellt die über die letzten zwei Jahre der Pandemie immer medienkritischer aufgestellte Querdenker-Gruppierung in Deutschland dar, die vor allem über Telegram mit diversen russischen Desinformationen adressiert wird und diese weiterverbreitet. Nach neusten Analysen des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) verbreiteten acht von den zehn reichweitenstärksten deutschen Kanälen, während der ersten Woche der Invasion, russische Desinformationen über den Krieg. 

Gibt es Gegenmaßnahmen?

Bisher steht Deutschland russischen Desinformationskampagnen relativ unvorbereitet gegenüber. Eines der Probleme ist, neben fehlender Ausbildung staatlicher Institutionen, die mangelhafte öffentliche Kommunikation von Seiten der Politik, obwohl Politik und Sicherheitsbehörden nach Expertenmeinung genau wüssten, wer hinter diesen Desinformationskampagnen steckt. An dieser Stelle könnte sich die Politik, neben der Veränderung ihrer öffentlichen Kommunikation, an Tschechien oder Estland orientieren, die sich mit einem Zusammenspiel aus staatlichen und zivilgesellschaftlichen Mitteln in erprobter Weise erfolgreich gegen russische Desinformationskampagnen behaupten. So verfügt beispielsweise Tschechien über eine Spezialeinheit innerhalb des Innenministeriums, welche auf das Erkennen und Analysieren von Desinformationskampagnen spezialisiert ist und in kurzer Zeit in Abstimmung mit anderen Ministerien und NGOs Gegenmaßnahmen in Stellung bringen kann. Eine ähnliche Spezialeinheit findet sich auch in Estland. Diese beschäftigt sich aber etwas breiter aufgestellt mit hybriden Bedrohungen und ist dem Verteidigungsministerium unterstellt.

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