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75 Jahre NATO
Der zentrale Pfeiler unserer Sicherheit – heute wie damals

Autor: Andrea Rotter, M.A.

Am 4. April 1949 unterzeichneten zwölf Gründungsstaaten den Nordatlantikvertrag und schufen mit der NATO die wohl erfolgreichste und wichtigste Verteidigungsallianz der Geschichte. Der Krieg in der Ukraine unterstreicht ihre fortwährende Relevanz für die europäische Sicherheit – auch und gerade für Deutschland, das sich inzwischen zu einem wichtigen Rückgrat des Bündnisses gewan-delt hat.

„To keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down” – mit diesen Worten erklärte Lord Hastings Lionel Ismay, erster Generalsekretär der NATO, das Rational hinter der Gründung der Nordatlantischen Allianz. 75 Jahre nach ihrer Gründung scheint diese Aufgabenbeschreibung in zwei der drei aufgezählten Punkte die heutige sicherheitspolitische Realität treffend zu charakterisieren – nur im letzten Punkt sind die Erwartungen an Deutschland heute deutlich anders.

Ein anpassungsfähiges Bündnis

Nach den katastrophalen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und der sich anbahnenden Konfrontation zwischen dem von den USA angeführten Westen und der Sowjetunion einigten sich am 4. April 1949 zwölf Staaten mit der Unterzeichnung des Nordatlantikvertrages in Washington, D.C., darauf, mit der NATO ein System der kollektiven Verteidigung zu schaffen. Kernstück des Vertrages ist Artikel 5, in dem sich die Partner zum gegenseitigen Beistand im Falle eines bewaffneten Angriffes verpflichten.

War die Aufgabe der NATO während des Kalten Krieges noch klar definiert, stellte der Zerfall der Sowjetunion schlagartig die weitere Existenzberechtigung der Allianz infrage. Zwar hielt die NATO an ihrer Kernfunktion der Bündnisverteidigung fest, unterzog sich aber zugleich einem Wandlungsprozess bis hin zu einem System der kollektiven Sicherheit. Bedingt durch die Umbrüche im sicherheitspolitischen Umfeld, z. B. die Auflösung des Warschauer Paktes und die wiedererlangte Souveränität der mittel- und osteuropäischen Staaten, erweiterte die NATO sukzessive ihr Aufgabengebiet, um neuen Sicherheitsbedrohungen zu begegnen.

Dialog- und Kooperationsformate (z. B. Partnership for Peace, Mediterranean Dialogue) sowie Krisenmanagement und Konfliktprävention rückten stärker in den Fokus. Neben dem Ziel der Bündnisverteidigung trat die ambitionierte Vision, zum Grundstein für eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur zu werden. Der Beitritt ehemaliger Warschauer Pakt-Staaten in mehreren Erweiterungsrunden unterstrich die anhaltende Attraktivität der Allianz, die schon lange ihrer Rolle als primär militärisches Bündnis entwachsen war und sich immer mehr auch zu einer politischen Allianz entwickelte. Der Zerfall Jugoslawiens führte den Mitgliedstaaten allerdings die Fragilität der europäischen Sicherheit jenseits der NATO-Grenzen vor Augen und entfachte innerhalb der NATO eine Debatte über Einsätze außerhalb des Bündnisgebietes: „NATO will […] either go out of area or it will go out of business“, konstatierte US-Senator Richard Lugar 1993 und unterstrich die Notwendigkeit der NATO, ihr Aufgabenspektrum neu zu definieren. Die Folge waren die ersten Out-of-Area-Einsätze der NATO während des Bosnien- und Kosovo-Krieges oder in Afghanistan, nachdem die Terroranschläge am 11. September 2001 erstmals den Bündnisfall nach Artikel 5 zur Folge hatten.

Bedrohung durch Russland und Rückbesinnung auf die Bündnisverteidigung

Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim 2014 läutete für die NATO abrupt die Rückkehr in die „Artikel-5-Welt“ ein und führte innerhalb der Allianz zu einer Rückbesinnung auf ihre originäre Aufgabe der Abschreckung und Bündnisverteidigung gegenüber der sicherheitspolitischen Bedrohung durch Russland.

Mit den Beschlüssen von Wales 2014 und Warschau 2016 wurden unter anderem mit einer enhanced Forward Presence (verstärkten Vornepräsenz) in Polen und den baltischen Staaten oder der Schaffung einer schnell verlegbaren „Sperrspitze“ (Very High Readiness Joint Task Force, VJTF) die Abschreckungs- und Reaktionsfähigkeit des Bündnisses erhöht. Infolge der tiefgreifenden Zäsur für die europäische Sicherheitsordnung durch Russlands brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine unterzieht sich die NATO seit Februar 2022 einem radikalen Transformationsprozess, um sich auf „eine neue Ära der kollektiven Verteidigung“, vorzubereiten, wie das letztjährige Gipfel-Communiqué von Vilnius festhält. Erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges hat die Allianz neue, regionenspezifische Pläne zur Abschreckung und Verteidigung verabschiedet. Ein neues Streitkräftemodell wurde implementiert, das die Aufstockung der schnellen Eingreiftruppe auf 300.000 Soldatinnen und Soldaten vorsieht und mittlerweile acht NATO-Battlegroups an der Ostflanke auf Brigade-Niveau beinhaltet. Mit den jüngsten Beitritten Finnlands und umfasst das Bündnis inzwischen 32 Mitgliedstaaten, die sich aus freien Stücken zusammengeschlossen haben, um ihre Freiheit, territoriale Integrität und nationale Souveränität auf Grundlage freiheitlich-demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien gemeinsam zu verteidigen.

Deutschland ist seit den Anfängen des Kalten Krieges ein unverzichtbarer Partner dieser Allianz. Von gemeinsamen Einsätzen bis zur aktuellen Abwehr russischer Bedrohungen - die NATO steht für Sicherheit und Stabilität weltweit.

Die USA weiterhin an die europäische Sicherheit binden

Zwar hat der Krieg in der Ukraine die NATO hinsichtlich ihrer Einigkeit und gemeinsamen Strategieplanung wiederbelebt, doch man blickt indes mit Sorge auf die US-amerikanische Präsidentschaftswahl im November 2024. Im Gegensatz zu Präsident Joe Biden, der als überzeugter Transatlantiker die Euro-atlantische Sicherheitspartnerschaft angesichts des Ukraine-Krieges deutlich gestärkt hatte, könnte eine zweite Amtszeit von Donald Trump die Allianz in eine existenzielle Krise stürzen – nämlich dann, wenn gegenüber Partnern und Russland erneut Zweifel an der Verlässlichkeit des – gemessen an seinen konventionellen und nuklearen Kapazitäten – wohl wichtigsten und einflussreichsten Verbündeten geschürt werden sollten.

Der US-Kongress hat im letzten Jahr zwar sichergestellt, dass ein Präsident die USA nicht ohne Weiteres aus der NATO abziehen kann, doch muss man nicht aus der Allianz austreten, um sie von innen zu schwächen oder ihren Kern, den Bündnisfall nach Artikel 5, auszuhöhlen. Unabhängig von Donald Trump ist klar, dass die NATO mit Blick auf die Lastenverteilung innerhalb des Bündnisses „europäischer“ werden muss. Bereits 2011 prangerte Robert Gates, Verteidigungsminister unter Barack Obama, die ungerechte Lastenverteilung in der NATO an und mahnte die Europäer zu mehr Eigenverantwortung – mit nicht allzu viel Erfolg. Zwar haben die europäischen Mitgliedstaaten infolge des Krieges in der Ukraine ihre Verteidigungsausgaben deutlich erhöht, allerdings erreicht nur circa ein Drittel der Staaten das NATO-interne Ziel, mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung auszugeben. Nach wie vor tragen die USA mit rund 70 Prozent des aggregierten Verteidigungsbudgets innerhalb der Allianz die Hauptlast. Ein Umstand, der nicht nur wegen einer potenziellen Wiederwahl Donald Trumps und seines transaktionalen Politikverständnisses, sondern auch aufgrund der zunehmenden strategischen Fokussierung der USA auf den Indo-Pazifik im Widerspruch zu den europäischen Sicherheitsinteressen steht.

Deutschland – vom Frontstaat zu einem wichtigen Rückgrat

Um den europäischen Pfeiler der NATO zu stärken, kommt gerade der Bundesrepublik Deutschland eine zentrale Bedeutung zu. Selbst lange Zeit Frontstaat im Kalten Krieg und auf die Solidarität der anderen NATO-Staaten angewiesen, hat sich Deutschland seit seinem Beitritt 1955 inzwischen zu einem wichtigen Rückgrat der Abschreckungs- und Verteidigungsstrategie des Bündnisses entwickelt – konzeptionell wie militärisch. Sei es als Impulsgeber für das Framework Nation Concept (Rahmennationenkonzept), das die europäische Zusammenarbeit innerhalb der NATO stärken soll, als zentraler Truppensteller bei NATO-Operationen wie beispielsweise im Kosovo oder bis zum Abzug der internationalen Koalition in Afghanistan, sowie als maßgebliche Stütze bei der strategischen Neuaufstellung der NATO, indem die Bundesrepublik die multinationale Battlegroup in Litauen anführt oder eine Panzergrenadierkompanie als Teil der enhanced Vigilance Activities (verstärkten Wachsamkeits-Aktivitäten) in der Slowakei bereitstellt.

Nicht nur aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke, sondern auch wegen seiner zentralen Lage im Herzen Europas kommt Deutschland also eine besondere Rolle in der Bündnisverteidigung zu. Diese wird angesichts der sicherheitspolitischen Bedrohungen und künftigen Herausforderungen auch in Zukunft fortführen und ausbauen müssen. Das erwarten nicht nur unsere Partner von uns. Es liegt auch in unserem eigenen sicherheitspolitischen Interesse, die NATO mit ausreichend politischem Willen, finanziellen Mitteln und konventionellen Fähigkeiten aktiv mitzugestalten und handlungsfähig zu machen, damit sie auch in den kommenden Jahren der zentrale Pfeiler unserer Sicherheitspolitik bleibt. 

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Leiterin: Andrea Rotter, M.A.
Außen- und Sicherheitspolitik
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